Mit dem Gesicht nach Mekka

Transkript

Mit dem Gesicht nach Mekka
LEBENSART
23. NOVEMBER 2003 | AUSGABE 48
7
| THEMA DER WOCHE | ISLAMISCHE BEERDIGUNG
KOLUMNE
Moslems sprechen auf dem Kieler Ostfriedhof über ihre Traditionen des Totengedenkens
Gerwin trifft …
Otto Schily
Mit dem Gesicht nach Mekka
Von Susanne Borée
Gerwin: Herr Schily ,welche Rolle spielt
– Hanno
für Sie Moral?
Otto Schily: Moral spielt für mich eine Rolle.
Ich war sehr stark engagiert im Flick-Untersuchungsausschuss, der an Bekanntheitsgrad gewonnen hat. Gerade in diesem Unterfangen ging es darum, dass sich die Politik
daran messen lassen muss, ob sie die
Grundsätze, die sie in der Verfassung verankert hat, auch anwendet. Das ist eine wichtige Frage für die Glaubwürdigkeit der Politik,
damit gerade junge Menschen erkennen
können, dass Worte und Taten übereinstimmen.
Sie wirken immer sehr ausgeglichen. Gibt es
etwas, was Sie zornig macht?
Ich kann sehr ungeduldig sein und manchmal sogar vor Zorn über die Strenge schlagen. Dann müsste ich mich wieder selbst tadeln und mich ein bisschen zurücknehmen.
Leider leiden meine Nächsten darunter, da
muss ich mich kritischer sehen, als es in der
Öffentlichkeit erscheint.
Was bringt Sie denn so richtig unter die
Decke?
Ungerechtigkeit, da kann mich schon der
Zorn überkommen. Oder aber auch mangelnde Großzügigkeit. Ich kann mich sehr
gut an eine Szene erinnern, wo ich mit einer
iranischen Staatsangehörigen unterwegs
war, da sie Probleme mit ihrer Aufenthaltsgenehmigung hatte. Im Amt hieß es dann, sie
müsse erst von Ihrem Heimatstaat eine Bestätigung bekommen, dass Sie keinen Pass
mehr bekommt, dass der alte Pass nicht verlängert wird. Nun gehörte sie einer Familie
an, die in ihrem Heimatland politisch verfolgt wurde. Die iranische Regierung ließ sie
völlig hängen und sagte, sie kriege kein Papier dieser Art. Die deutsche Behörde sagte:
„Wenn Sie das Papier nicht haben, können
wir Ihnen auch nicht weiterhelfen.“ Da habe
ich dann dem Beamten gesagt: „Soll sich
meine Mandantin jetzt in Luft auflösen, oder
wie stellen Sie sich das vor?“ Da sagte der Beamte, das interessiere ihn nicht. Ich habe einen richtigen Wutanfall bekommen und
habe dem Beamten gesagt: „Ich wünsche Ihnen - normalerweise wünsche ich Menschen
nichts Böses, aber Ihnen, damit Sie eine Lehre daraus ziehen - einmal in Ihrem Leben
eine Situation zu erfahren, in der sich jetzt
meine Mandantin befindet!“
Haben Sie Todesangst?
Ich habe sicher dann Todesangst wenn der
Tod vor mir steht, davon bin ich überzeugt,
da ist kein Mensch davon frei. Abstrakt gesehen habe ich das nicht, weil ich den Tod als
Durchgangsstadium sehe, nicht als Ende
Welche Rolle spielt Gott? Ist er ein universaler
Gott?
Es fällt uns schwer, dazu eine Vorstellung zu
bilden, vielleicht können wir das gar nicht.
Vielleicht sind wir dazu nicht in der Lage,
aber mir ist es sehr nah das Verständnis, dass
wir auch in einer Hierarchie von geistigen
Wesen aufgehoben sind, auf einer bestimmten Stufefolge, für mich sind Engel durchaus
eine Realität.
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Otto Schily wurde am 20. Juli 1932 in Bochum
geboren, ist verheiratet und hat zwei Töchter.
Nach seinem Jura-Studium in München, Hamburg und Berlin; machte er sich als Rechtsanwalt
selbständig. Im Stammheim-Prozess 1975 bis
1977 ist Schily als Vertrauensanwalt von Gudrun
Ensslin der einzige nicht entpflichtete Anwalt.
Noch Jahre später muss Schily versichern, sich
nicht mit den Zielen der RAF zu identifizieren
und sich gegen den Vorwurf wehren, er habe die
Terroristen in Stammheim aktiv unterstützt. Als
Gründungsmitglied der Grünen zog er in 1983 in
den Deutschen Bundestag ein. 1998 wechselte
er zur SPD. Seit Oktober 1998 ist er Bundesminister des Innern
Hanno Gerwin ist Journalist und
Theologe und hat sich aufgemacht, um dem Glauben bzw.
den religiösen Ansichten prominenter Menschen auf die Spur zu
kommen. „Gerwin trifft – was Deutschlands Promis glauben“ , ist im Bibel TV über Digital Astra
donnerstags 21:45 Uhr und samstags 19 Uhr zu
empfangen (www.Gerwin.de).
KIEL – Die Männer versammeln sich schweigend um das
Grab. Sie heben die Hände in
Hüfthöhe und öffnen sie zum
Gebet. Nach einigen Augenblicken der Sammlung hebt
Imam Mustafa Koç seine Hände an die Stirn. „Wir beten immer, wenn wir an Gräbern unserer moslemischen Glaubensbrüder vorbeikommen“,
erklärt er. So auch für ein dreijähriges afghanisches Kind,
das in Kiel ertrunken ist.
Die arabischen Schriftzeichen auf den Grabplatten zeigen es deutlich: dieser Teil des
Kieler Ostfriedhofes wird von
den sechs moslemischen Gemeinden in Kiel genutzt. Die
Männer von der Merkez-Moschee beten an den Gräbern
mit Toten aus ganz verschiedenen Ländern: neben dem
afghanischen Kind gibt es
Gräber mit Toten aus der Türkei oder Indonesien.
Noch sind es nur wenige
Grabstellen. „Denn die meisten unserer Glaubensbrüder
ziehen es immer noch vor,
ihre verstorbenen Angehörigen in ihre Heimatländer auszufliegen und dort bestatten
zu lassen“, so Ahmet Korkmaz, ein langjähriges Gemeindeglied. Dort fühlen sie
sich besser aufgehoben, da
alle Vorübergehenden Muslime sind und für sie beten oder
Verse aus dem Koran rezitieren. Außerdem rechnen viele
Türken immer noch damit,
ihren Lebensabend in ihrer
alten Heimat verbringen zu
können und dann ihren verstorbenen Angehörigen nahe
zu sein.
Riten bei einem moslemischen
Begräbnis
Aus dem Gebot des Korans
nach einem möglichst respektvollem Umgang mit dem
Leichnam folgt, dass er möglichst schnell beerdigt werden
sollte. Dazu besteht natürlich
im Wüstenklima eine fast
schon zwingende Notwendigkeit, wird hier zu Lande aber –
wenn irgend möglich – weiter
gepflegt. Dabei wird der Verstorbene auf die rechte Seite
gelegt, wie der Geistliche
Mustafa Koç erzählt. Das Gesicht schaut dabei in Richtung
der heiligen Stadt Mekka, so
dass der Körper insgesamt in
Ahmet Korkmaz (oben links) und Imam Mustafa Koç (oben rechts) berichten von moslemischen Sitten und Gebräuchen bei einer Beerdigung.
Ein Besuch auf dem moslemischen Teil des Kieler Ostfriedhofs zeigt eine arabische Grabinschrift und ein Gebet für die Toten. Fotos: Ahlschwede
unseren Breitengraden in
Nord-Süd-Richtung ruht.
Als letzten Dienst am Toten träufeln die Hinterbliebenen Wasser entlang des linken und rechten Rands des
Grabes. Dies soll den Toten
wieder „wecken“. Während
die Trauergemeinde nun die
Familie des Toten aufsucht,
um sie zu trösten, verbleibt
der Imam noch einige Zeit auf
dem Friedhof. Er spricht dem
Verstorbenen Antworten und
Wendungen vor, die er den
Engeln zu geben hat.
Waschung und Vorbereitung
in der Moschee
Auf dem Rückweg vom moslemischen Friedhofsstück
läuten die Glocken der Fried-
hofskapelle im christlichen
Bereich. Interessiert werfen
die Männer um Imam
Mustafa Koç und Ahmet Korkmaz einen Blick in die Kapelle. Dort steht schon ein Sarg
neben dem Altar, die Trauergemeinde sammelt sich.
Dem moslemischen Begräbnis gehe ebenfalls eine
Feier in der Moschee voran,
so der Geistliche Mustafa Koç.
Dabei habe die Reinigung des
Verstorbenen eine zentrale
Bedeutung: Zunächst wird
der Gestorbene dreimal gewaschen, vom Haaransatz bis
zu den Füßen. Diesen Dienst
leisten bei verstorbenen Männern nur Männer beziehungsweise bei Frauen nur
Frauen.
Danach werden Männer
drei- und Frauen fünfmal mit
einem weißen Tuch umwickelt. Frauen wird zusätzlich Kopf und Brust mit einem
weißen Tuch bedeckt. Dann
sprechen Imam und Gemeinde im Wechsel dreimal die
vorgeschriebenen Gebete.
Totengeleit und weitere Formen der Erinnerung
Schließlich geben die Angehörigen dem Verstorbenen
das Totengeleit. Dies ist
durchaus wörtlich zu verstehen. Denn jeder will bei der
Überführung des Toten mithelfen, ihn ein Stück weit zu
tragen.
Wenn der Tote beerdigt ist,
sind allerdings die Gräber
ähnlich bepflanzt wie auf dem
christlichen Friedhofsteil. Offenbar findet eine unmerkliche Angleichung an die Umgebung statt. Nein, bestimmte
Blumen oder Sträucher hätten
im Islam keine symbolische
Bedeutung, so Ahmet Korkmaz. „Etwa ein halbes Jahr
nach der Beerdigung werden
die Gräber dann schön gestaltet“, ergänzt der 56-Jährige.
Grabpflege an sich sei aber
kein wesentlicher Bestandteil
des Gedenkens. Als viel wichtiger sieht er das Gebet und
Rezitieren von Koranversen
auf dem Friedhof an. Damit
würde man der Seele des Verstorbenen Unterstützung geben, damit sie den rechten
Weg ins Paradies findet.
Grab als Kulturdenkmal
| THEMA DER WOCHE |
Ein Friesenhaus oder eine
kunstvolle alte Fassade legt
die Kontaktaufnahme mit
Denkmalschützern schnell
nahe. Aber wie verhält es sich
bei einem Grabmal, das älter
als dreißig Jahre ist? Zeugnisse bestimmter Epochen der
Grabkultur, Gräber von Persönlichkeiten oder besonders
kunstvoll gestaltete Gräber
kommen in Betracht, als
Denkmal geschützt zu werden.
„Manche Friedhofsverwaltung ist beim Schutz von
Kulturdenkmalen engagiert",
sagte Dr. Heiko Schulze von
Landesamt für Denkmalschutz in Schleswig-Holstein
im Gespräch. Zunächst ist der
Gang zum Friedhofsbetreiber
der erste wichtige Schritt.
Beim Südfriedhof in Kiel oder
Denkmalschutz von Gräbern in Hamburg und Schleswig-Holstein
beim Ohlsdorfer Friedhof in
Hamburg existieren Listen
von Gräbern, die gesammelt
als Kulturdenkmal eingestuft
sind. „Der Aufwand für ein
Einzelgrab ein Denkmalschutzverfahren durchzuführen, ist beträchtlich", sagte der Experte. Der Weg der
seitens der Behörde beschritten wird, sieht vielmehr vor,
Gesamtanlagen von Friedhöfen mit Denkmalschutz zu
belegen. Die Mehrzahl der
Friedhöfe im Norden wird
von den Kirchengemeinden
betrieben. Ein Denkmalschutzverfahren für ganze
Friedhöfe findet also stets im
Einvernehmen mit der Nordelbischen Landeskirche
statt. Grundlage hierfür ist
der Kirchen-Staatsvertrag von
1957.
Nach dem Gespräch mit
dem Friedhofsbetreiber lohnt
sich auf jeden Fall eine Nachfrage bei der Denkmalschutzbehörde. Grabmale aus der
Zeit vor 1870 sind automatisch Denkmal.
Im Unterschied zu Hamburg werden die Denkmale in
Schleswig-Holstein „zweistufig" behandelt: So wird zwischen Kulturdenkmalen und
besonderen Kulturdenkmalen unterschieden. Für die Erhaltung besonderer, das heißt
höherwertiger Kulturdenkmale, hilft der Denkmalschutz
bei den Anträgen für Zuschüsse, zumindest aber mit zinsgünstigen Krediten. Für beide
„Stufen“ des Schutzes gibt es
die Möglichkeit die bauliche
Unterhaltung steuerlich abzusetzen.
(che)
Bald hundert Jahre erinnert dies Grab an die zweieinhalbjährige
Foto: Henningsen
Jutta Kutter auf dem Kieler Nordfriedhof.

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