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UNIVERSITEIT GENT
FACULTEIT LETTEREN EN WIJSBEGEERTE
Vakgroep Duitse Letterkunde
Die narratologische Konstruktion von Weiblichkeit auf
dem Kontinuum zwischen Emanzipation und Konformismus.
Eine gender-orientierte Textanalyse von zwei deutsch-türkischen Romanen: Das
Leben ist eine Karawanserei hat zwei Türen aus einer kam ich rein aus der anderen
ging ich raus von Emine Sevgi Özdamar (1992) und Die Tochter des Schmieds von
Selim Özdogan (2005)
Promotor: Dr. Elke Gilson
Verhandeling voorgelegd tot het verkrijgen van de graad
MASTER IN DE VERGELIJKENDE MODERNE LETTERKUNDE
door Jasmien Vandermeeren
2007 - 2008
Dankwort
Mein Dank gilt
meiner Mutter, die alle mögliche Werte und Tugenden des Lebens immer betont hat, der nie
pessimistisch ist und immer lacht...die ich gerne meine Herzensfreundin nenne, obgleich sie mich
noch immer erstaunt und ich sie vielleicht nie ganz kennen werde!
meinen Freunden und Freundinnen: den Menschen aus meiner unmittelbaren Umgebung,
nämlich Laila (tausend Mal Dank!), Gwen, Björn, Juliska, Riekie, Liesbet, Jan, David, Davy,
Jorn, Elke, Helena, Christel….Dank für die Intelligenz, den Humor, die Ausflüge, das unendliche
Plaudern und Kaffeetrinken…ihr werdet mir fehlen, als ich in Berlin leben werde.
meiner Promotorin, Dr.Elke Gilson, die mich immer persönlich beraten konnte und die mich
dazu angeregt hat, auf Deutsch zu schreiben, so dass ich die deutsche Sprache noch mehr als
vorher liebe.
meinem Bruder, der jetzt in Nepal lebt und trotzdem immer in meinen Träumen zum Vorschein
kommt…ich weiβ, dass er stolz auf mich ist und ich bin stolz auf ihn!
Meinem Vater und Annabel, meiner jüngeren Schwester Fleur…
Sebastian Schutyser, Patrick Fauck und Sam Louwyck, weil sie ‘the sky is the limit’ als ultime
Richtlinie fur das Leben betrachten…alle Künstler mit egoistischen Charakterzügen, aber mit
weichen Herzen. Respekt!
den Menschen auf verschiedenen Arbeitsstellen: meinen Kollegen der Bijloke, der flämischen
Oper, der Biobäckerei, usw.
INHALTSVERZEICHNIS
1.
Die Rezeption der deutsch-türkischen Literatur:
von Stereotypisierung bis zur literarischen Anerkennung…...………………………….1
2.
Die gender-orientierte Erzähltextanalyse als Synthese
von Narratologie und Feminismus…………………………………………………….3
3.
Die Ich-Erzählerin in der Karawanserei:
Das Fremde als Baustein der Identität…………………………………………………..7
4.
Der auktoriale Erzähler in der Tochter des Schmieds:
Die Idealisierung vom Eigenen………………………………………………………....17
5.
Die Raumdarstellung in der Karawanserei:
Das Fremde als Zuhause……………………………………………………………….33
6.
Die Raumdarstellung in der Tochter des Schmieds :
Die sozio-ökonomische Funktionalisierung und
mentale Dualisierung von Räumen……………………………………………………..45
7.
Die Handlung und der Plot in der Karawanserei:
Weibliche Flaneusen und Pikaros, männliche Casanovas……………………………...52
8.
Die Handlung und der Plot in der Tochter des Schmieds:
Kontinuität und Zyklizität……………………………………………………………...66
9.
Die Figurencharakterisierung:
Von Kategorisierung in der Tochter des Schmieds bis zur
Personalisierung in der Karawanserei…………………………………………………74
10.
Schlussfolgerung……………………………………………………………………...79
11.
Bibliographie………………………………………………………………………….82
1.
Die
Rezeption
der
deutsch-türkischen
Literatur:
von
Stereotypisierung bis zur literarischen Anerkennung
I mean to say that in discussions of the Orient, the Orient is all absence, whereas one
feels the Orientalist and what he says as presence; yet we must not forget that the
Orientalist’s presence is enabled by the Orient’s effective absence. 1
-Edward Said
Das Zitat aus Edward W. Saids Orientalism ist bis in die neunziger Jahre
charakteristisch
Literaturkritik
für
die
und
Qualifizierung
Literaturwissenschaft
der
in
Migrationsliteratur
Deutschland.
Das
durch
die
okzidentale
Orientbild ist laut Said nur eine ideologische Konstruktion, um die Alterität
der orientalischen Kultur zu erfassen. Es hat mehr als zwanzig Jahre zu einer
stereotypisierten
Rezeption
von
AutorInnen
nicht-deutscher
Herkunft
aus
dem orientalischen Gebiet beigetragen. Die Literaturwissenschaftler wurden
sich der Stereotypisierung von jenen AutorInnen bewusst, und wollten sich
ab
den
neunziger
Jahren
von
Etiketten
wie
‘Gastarbeiterliteratur’,
‘Ausländerliteratur’ und ‘Betroffenheitsliteratur’ distanzieren.
Nach
neueren
Veröffentlichungen wurde die literarische, ästhetische Qualität der Literatur
von
AutorInnen
Johnson
skizziert
nicht-deutscher
in
ihrem
Herkunft
kritischen
allmählich
Beitrag
über
anerkannt.
die
Sheila
Literatur
von
deutschschreibenden Autorinnen islamischer Herkunft die unterschiedlichen
Phasen
in
der
Rezeption
von
Migrantinnenliteratur.
Man
könnte
die
Entwicklung auch auf die Gesamtliteratur von AutorInnen nichtdeutscher
Herkunft
projizieren.
Seit
den
sechziger
Jahren
gibt
es
AutorInnen
nichtdeutscher Herkunft, die auf Deutsch schreiben. Das Interesse an der
‘Mischsprache’ von MigrantInnen, an Schreiben in der Fremde, wurde erst
in den achtziger Jahren sehr aktuell: damals fingen MigrantInnen an, “sich
Deutsch als Sprache ihrer Kreativität anzueignen”. 2 Alev Tekinay äußert
sich
1
besonders
zynisch
über
die
Aufwertung
jener
sogenannten
Edward W. Said: Orientalism. London: Penguin. 2003. S. 208.
Sheila Johnson: “Literatur von deutschschreibenden Autorinnen islamischer Herkunft.” In: German
Studies Review. 20 : 2 (1997). S. 261-278, hier S. 266.
2
Gastarbeiterliteratur um der Sprache willen. Sie verknüpft das plötzliche
Interesse des deutschen Lesepublikums mit der Sättlichkeit des deutschen
Kanons:
In einer Zeit, in der die deutsche Literatur in einer Sackgasse gelandet war und
sowohl in bezug auf Erzählstoffe als auch auf Sprache und Stil etwas eintönig
geworden war, erschienen die Fremden wie rettende Engel.[…] Wir sollen
Rechenschaft ablegen vor Muttersprachlern. Wir sollen Muttersprachlern zeigen,
wie gut wir ihre Muttersprache beherrschen.[…] Aber trotz unserer Verliebtheit in
die deutsche Sprache läßt das Interesse der Deutschen für unsere Literatur nach. 3
Die Sprache wurde außerdem erst dann in das Blickfeld gerückt, als
sie
die
Okzident
stilistische
und
die
und
“kulturelle
Verschmelzung
Vermittlung
zwischen
Orient
Traditionen” 4
literarischer
und
verkörperte.
Iman O. Khalil hat in seinem Essay die damalige Rezeption von arabischen
AutorInnen in Deutschland kritisiert als eine “Rezeptionssicht, die von der
Verwendbarkeit
ausländischer
Literaten
in
Deutschland
aus[ging],
indem
diese Rezeption deren Schrifttum vorwiegend als ein Mittel zur Versöhnung
der Kulturen und Religionen auffasst[e] und es nicht nach der literarischen
Qualität
und
der
‘Gastarbeiterliteratur’
undoppeldeutigen
dichterischen
oder
‘Ausländerliteratur’
Namensgebung
–
interpretiert[e]” 5.
Aussage
nicht
so
war
–
je
sehr
Teil
der
nach
Die
der
deutschen
Literatur, als schon vielmehr Teil einer “Sozialkritik” 6, behauptet Mely
Kiyak in Generation Almanya:
Man kann sagen, dass die Migrantenliteratur nicht für Migranten geschrieben
worden ist. Ein Großteil der Texte war adressiert an die Aufnahmegesellschaft.
Schaut her, so fühlen, so denken, so leben wir. Dadurch hat sie sich selber
diskreditiert. Bis Ende der Achtzigerjahre ging es nicht um Sprache oder Stil,
sondern darum, dass das Geschilderte auch wirklich wahr ist. 7
Die Rezeption hat sich trotzdem in den letzten Jahren geändert:
Sheila Johnson (sowie auch Kiyak, Tekinay, Müller u.a.) bemerkt eine
Verschiebung
von
Nichtrezeption
(Ausschluss),
über
eine
“populäre
3
Alev Tekinay: “In drei Sprachen leben”. In: Denn du tanzt auf einem Seil. Positionen
deutschsprachiger MigrantInnenliteratur. Hrsg. von Sabine Fischer und Moray McGowan. Tübingen:
Stauffenburg 1997 (= Studien zur Inter-und Multikultur, Bd. 2), S. 27-33,hier S. 28.
4
Iman O. Khalil: “Arabische Autoren in Deutschland”. In: Denn du tanzt auf einem Seil. Positionen
deutschsprachiger MigrantInnenliteratur. 1997. S. 115-131, hier S. 121.
5
Ibid.
6
Mely Kiyak: “Generation Almanya. Aus der Nische in die breite Öffentlichkeit.” Rotary
International. 11. 2006.< http://rotary.de/rotary_verlag/rotary_magazin/0611/1106_almanya.pdf>.
S. 46-48, hier S. 47.
7
Ibid.
2
Bestätigung” 8 in den achtziger Jahren (in der Periferie; Trivialliteratur), bis
zur vollständigen literarischen Qualifizierung ab den neunziger Jahren (im
Zentrum; Belletristik). Die Entwicklung der Literatur könnte man auch in
drei Phasen einteilen: zuerst gab es Gastarbeiterliteratur über die Migration,
zweitens gab es eine ‘Betroffenheitsliteratur’ über die sozio-kulturelle Lage
in der Fremde, letztens gab (und gibt) es eine deutsch-türkische Literatur,
die sogar “übernationale” Merkmale aufweist. Mely Kiyak konkludiert mit
Überzeugung:
Die neue deutschtürkische Literatur braucht keine ausgestreckte Hand mehr. Sie ist
angekommen und tritt so lange einen Schritt zur Seite, bis sie ihren Platz in der
Mitte der Gesellschaft dauerhaft einnimmt und von dort aus ihre Wirklichkeit
erzählt, mit rollendem “r” und Prosecco in den Pausen. 9
Die literarische Analyse wird letztendlich immer wichtiger, weil man
einsieht, dass die damaligen stereotypen Kategorisierungen der Diversität
der
deutsch-türkischen
Literatur
nicht
entsprechen.
Die
Aufmerksamkeit
wird jetzt auf die literarischen Prozesse gelenkt, im Gegensatz zu früheren,
inhaltlich
orientierten
Interpretationen,
die
vielmehr
homogenisierend
wirkten. Eine ähnliche Verschiebung im narratologischen Bereich ist für
diese
Arbeit
von
Literaturwissenschaft
größter
war
zwar
Wichtigkeit:
lange
Zeit
ein
die
feministische
inhaltlich
orientierter
Wissenschaftsbereich, hat sich in den letzten zehn Jahren aber mit der
klassischen
Narratologie
Erzähltextanalyse
an
die
versöhnt.
Stelle
So
getreten,
ist
die
eine
die
gender-orientierte
geschlechtsspezifischen
Merkmale der inhaltlichen und formalen Ebene miteinander verknüpft.
2. Die
gender-orientierte
Erzähltextanalyse
als
Synthese
von
Literaturwissenschaftler
und
Narratologie und Feminismus.
In
den
Soziologen
Versöhnung
letzten
sich
zwanzig
darum
zwischen
Jahren
bemüht,
den
haben
eine
wissenschaftliche
unterschiedlichen
interdisziplinäre
kulturwissenschaftlichen
Bereichen und der laut Nünning und Nünning auch “schon vom Ansatz her
8
9
Sheila Johnson. 1997. S. 261-278, hier S. 266.
Mely Kiyak: “Generation Almanya.” S.48.
3
ahistorischen, geschlechtsindifferenten und rein textzentrierten ‘klassischen’
Narratologie” 10 zu erreichen.
Vera und Ansgar Nünning haben
dieser
Versöhnung in ihrer gender-orientierten Textanalyse Gestalt gegeben. Sie
machen
einen
pragmatischen
Unterschied
zwischen
Narratologie
und
Feminismus:
Im Gegensatz zur semiotisch-formalistischen Orientierung der Narratologie sind
feministische
Interpretationen
in
der
großen
Mehrzahl
mimetisch-inhaltlich
ausgerichtet.[…] Aus den jeweiligen Erkenntnisinteressen und Zielsetzungen der
beiden Ansätze ergeben sich auch unterschiedliche methodische und inhaltliche
Präferenzen. Während sich die Narratologie für story und discourse (vgl. Chatman
1978) – d.h. die erzählte Geschichte und die Struktur der erzählerischen
Vermittlung – gleichermaßen interessiert, beschäftigen sich feministische Arbeiten
sehr viel stärker mit dem >Was< als mit dem >Wie< […]. 11
Der
literaturwissenschaftliche
Feminismus
war
lange
Zeit
eine
inhaltlich orientierte Wissenschaft, die auf der Ebene des Erzählten (der
‘story-Ebene’)
versuchte,
die
konkrete
Positionierung
der
Frau
ziemlich
essentialisierend aus dem geschilderten Verhalten abzuleiten. Was erzählt
wird, wird an Hand von soziologischen Begriffen analysiert und als direkter
Ausdruck von ‘Weiblichkeit’ (oder Männlichkeit) interpretiert. Die Frage,
wie
diese
Repräsentationen
literarisch
gestaltet
werden,
wird
von
den
meisten feministischen Untersuchungen nicht beantwortet. Die feministische
Narratologie hat allmählich doch einige Schritte in die Richtung einer
discourse-orientierten
zum
Beispiel
das
Analyse
neue
gemacht.
Interesse
an
Nünning
dem
und
Nünning
erzählenden
erwähnen
Geschlecht,
im
Gegensatz zum erzählten Geschlecht auf der story-Ebene. So ist die Frage
nach dem Geschlecht der Erzählinstanz (bei heterodiegetischen, auktorialen
Erzählinstanzen)
für
meine
Untersuchung
gewiss
relevant.
“Zu
den
Aspekten des Textes, die bei RezipientInnen konventionelle Vorstellungen
von Männlichkeit oder Weiblichkeit aufrufen und so zu einem gendering der
Erzählinstanz führen können, gehören neben dem Inhalt der Erzählung und
dem
Inhalt
der
Kommentare
der
Erzählinstanz
auch
stilistische
10
Vera und Ansgar Nünning: “Von der feministischen Narratologie zur gender-orientierten
Erzähltextanalyse.” In: Erzähltextanalyse und Gender Studies. Hrsg. von Vera und Ansgar Nünning.
Stuttgart, Metzler 2004 (= Serie Sammlung Metzler, Bd. 344), S. 1-32, hier S. 10.
11
Ibid., S. 8.
4
Merkmale[…]. 12”, so behaupten Allrath und Surkamp im Kapittel über die
erzählerische Vermittlung.
Eine gender-orientierte Erzähltextanalyse hat sich aus feministischen
und narratologischen Ansätzen entwickelt. Es geht jedoch laut Nünning und
Nünning “längst nicht mehr nur um >Frauenbilder<, sondern auch um
narrative
Konstruktionen
Vorstellungen
von
Wechselwirkung
–
und
Dekonstruktionen
>Weiblichkeit<
von
und
–
historisch
>Männlichkeit<
Geschlechterkonstruktionen.”
13
variabler
sowie
Die
um
die
gender-orientierte
Erzähltextanalyse führt laut Nünning erstens zu einer Operationalisierung
von Begriffen und Kategorien aus dem Bereich der Kulturwissenschaften
und
Gender
Studies.
Zweitens
wird
auch
erwähnt,
dass
die
‘Kontextualisierung’ von literarischen Arbeiten an die Stelle der vorher
erwähnten
semiotisch-formalistischen
Narratologie
und
des
inhaltlich-
mimetischen Feminismus getreten ist. Die Interaktion zwischen Literatur
und Kontext wird also aufs Neue in den Vordergrund gerückt (im Gegensatz
zu früheren strukturalistischen Methoden). Drittens wird auch noch darauf
hingewiesen,
dass
die
unterschiedlichen
Erzählformen
selbst
historisch
bedingt sind. “So gibt es in jeder Epoche nicht nur bestimmte kulturell
verfügbare Plots[...], sondern auch priviligierte Techniken der erzählerischen
Vermittlung auf der discourse-Ebene[...] Auch alle anderen Bauformen des
Erzählens – z.B. die Raumdarstellung[...], die Zeitdarstellung [...] und die
Figurendarstellung
Nünning
und
Erzähltextanalyse
[...]
behaupten
auch
sinnorientiert
wird
auch
geschichtlichen
viertens,
ist,
dass
dadurch
Bedeutung analysiert wird:
wie
Geschlechtsidentität(en)
Schluss
unterliegen
Nünning
zwischen Form und
untersucht,
–
“Erzählformen
und
das
zur
Geschlechterdifferenz” 15
Funktionspotenzial
von
Veränderungen.” 14
die
dass
gender-orientierte
die
Interaktion
es wird zum
Beispiel
Konstruktion
von
führen
Literatur
können.
Zum
betont:
man
12
Gaby Allrath und Carola Surkamp: “Erzählerische Vermittlung, unzuverlässiges Erzählen,
Multiperspektivität und Bewusstseinsdarstellung.” In: Erzähltextanalyse und Gender Studies. Hrsg.
von Vera und Ansgar Nünning. Stuttgart: Metzler 2004 (= Serie Sammlung Metzler, Bd. 344), S.
143-179, hier S. 148-149.
13
Nünning und Nünning: “Von der feministischen Narratologie zur gender-orientierten
Erzähltextanalyse.” S.22.
14
Ibid., S. 25.
15
Ibid.
5
beschreibt
die
verschiedenen
Erzählformen
(potenziellen)
Schlussfolgerung
ziehen,
nicht
nur,
Funktionen.
dass
die
sondern
Man
könnte
wichtigste
untersucht
hieraus
Verschiebung
ihre
also
von
die
einer
feministischen zur einen gender-orientierten Narratologie wohl die erneute
Verbindung zwischen Inhalt und Form, sowie Text und Kontext ist. Durch
die
effektive
Operationalisierung
erzähltheoretischen
dazu
im
Modellen
Stande,
ist
die
von
geschlechtsspezifischen,
gender-orientierte
geschlechtsspezifische
Merkmale
Analyse
in
übrigens
weiblichen
únd
männlichen literarischen Texten zu erforschen und zu beschreiben.
Die
literarischen
Özdogan 17
Texte
könnte
man
von
Emine
gewiss
auch
Sevgi
mit
Özdamar 16
diesen
und
Selim
geschlechtsspezifischen
Erzählkategorien analysieren. Die beiden Geschichten ähneln sich auf der
story-Ebene: es handelt sich jeweils um ein Mädchen, geboren in Anatolien,
das mit der Familie in der Türkei herumreist. Die Suche nach einer eigenen
Identität, nach einer richtigen Stelle in der (patriarchalen) soziokulturellen
Umgebung ist das Hauptthema. Am Ende wandern die beiden Mädchen
nach Deutschland ein. Die Story ist aber dermaßen von dem Geschlecht der
Erzähler
und
Darstellung
Handlungsträger
(discourse-Ebene)
geprägt,
zu
dass
ganz
sie
auf
der
unterschiedlichen
Ebene
der
literarischen
Darstellungen von Raum, Plot, Handlungen und Figuren geführt hat. Meine
These hat sich aus dieser ins Auge springenden Differenz zwischen story
und discourse entwickelt:
Ich
möchte
untersuchen,
wie
die
Kategorien
der
story-Ebene
(d.h.
‘fabel’ oder die Zeit - und Raumdarstellung, die Personenkonstellation, die
Handlungen)
Erzählinstanzen,
geschlechtslosen
jeweils
gender-orientierte
Fokalisierungsinstanzen
Instanzen;
sie
Merkmale
und
werden
aufweisen.
Figuren
von
sind
Die
keine
soziokulturellen
Genderkonstruktionen bestimmt. Wie und was erzählt wird, sind in dem
Sinne Ausdruck der
Männlichkeit
oder Weiblichkeit
des
erzählten
oder
erzählenden Geschlechts. Die narratologische Inszenierung vom Gender hat
in den beiden Romanen zu einem ganz unterschiedlichen ‘discourse’ (d.h.
16
Emine Sevgi Özdamar: Das Leben ist eine Karawanserei hat zwei Türen aus einer kam ich rein aus
der anderen ging ich raus. Köln: Kiepenheuer und Witsch. 1992.
17
Selim Özdogan: Die Tochter des Schmieds. Berlin: Aufbau. 2005.
6
der
Struktur
der
erzählerischen
Vermittlung
oder
‘sujet’)
geführt.
Die
Karawanserei ist emanzipatorisch, persönlich und kritisch. Die Perspektive
der Ich-Erzählerin ist von größter Wichtigkeit für die Beschreibung und
Modellierung
der
literarischen
Kategorien.
Jene
naive
Perspektive
ist
zugleich auch ein wesentlicher Teil der emanzipatorischen Gestaltung ihrer
Identität. Die Tochter des Schmieds ist
exemplarisch statt emanzipatorisch:
der auktoriale Erzähler will seinen Lesern ein Sozialdokument anbieten,
‘wie es gewesen ist’. Die Suche nach Identität ist hier vielmehr eine
kollektive Suche: sie ist repräsentativ für die Darstellung der türkischen
Vergangenheit,
statt
Tochter
Schmieds
des
emanzipatorisch.
Der
beschreibt
die
auktoriale
Erzähler
Verhältnisse
in
innerhalb
der
einer
anatolischen Familie auf eine nüchterne, sachliche Art und Weise. Die
Unparteilichkeit von Özdogan verrät jedoch eine bewusste Erzählstrategie,
um das Schicksal der Frauen in der Türkei als eine allgemeine Gegebenheit
darzustellen, auf dass das deutsche Lesespublikum sich möglichst gut in die
spezifische
Lage
der
türkischen
Gastarbeiter
einleben
kann.
Die
Einfühlungsgeschichte zeigt allerdings nicht, wie das Leben in der Türkei
auch
zur
Eigenständigkeit
und
Emanzipation
führen
konnte.
Der
Konformismus von Frauen wird in den Vordergrund gerückt, denn es wird
vor allem betont, wie die Frauen sich auf passive Art und Weise ihrem
Schicksal fügten und so das Patriarchat mit aufrecht erhalten haben.
Die
personale
Erzählinstanz
in
der
Karawanserei
und
die
auktoriale
Erzählinstanz in der Tochter des Schmieds sind von größter Bedeutung, um
die jeweilige weibliche und männliche Orientierung der Handlungsträger,
Fokalisierungsinstanzen und Nebenfiguren zu analysieren.
3. Die Ich-Erzählerin in der Karawanserei: das Fremde als Baustein
der Identität.
In seiner Analyse vom Fremden als Ausdruck der Erfahrungsmöglichkeiten
zwischen
Faszination
unterschiedlichen
Modi
und
des
Bedrohung,
hat
“Fremderlebens”
Ortfried
Schäffter
hingewiesen.
auf
Diese
die
Modi
7
basieren
auf
verständlich,
Unterscheidungsmustern,
vorhersehbar
und
die
damit
in
“die
Welt
gewissem
[gliedern],
Maße
sie
beherrschbar
[machen]” 18. Die Deutungsmuster sind jeweils ziemlich scharf umrissen und
werden irgendwo zwischen Faszination und Bedrohung situiert.
Özdamar hat diese Mischung zwischen Faszination und Bedrohung
jeweils in einem anderen Kontext erlebt: sie ist als Kind immer in die Türkei
herumgezogen, ist dann nach Deutschland abgefahren, danach ist sie in die
Türkei zurückgekehrt und im Jahre 1970 ist sie letztendlich in Deutschland
geblieben. Was ihr fremd war, war vorher auch schon Eigenes gewesen und
umgekehrt.
Diese
relative
Eigenheit
und
Fremdheit
führt
durch
die
komplexe Dynamik zu immer wechselnden Standpunkten über die eigene
Identität und die Erkenntnis des Fremden, sowie auch Schäffter es formuliert
hat:
Aus der nicht mehr zu leugnenden Vielzahl eigenständiger Perspektiven und
gleichermaßen “möglicher” Interpretationen der Welt wird erkennbar, daß im
Aufeinandertreffen
unterschiedlicher
Bezugssysteme
kein
unbestreitbares
Fundament und kein allem übergeordneter Bezugspunkt zur Verfügung steht, um
über sie zu entscheiden. Die Vorstellung einer universellen Rationalität wird ebenso
fragwürdig, wie die einer universell beobachtbaren empirischen Welt. 19
Weil
“Eigenes
und
Fremdes
[sich]
wechselseitig
relativieren
und
bestimmen” 20, kann Özdamar ihre persönliche Geschichte in eine Mischung
von
Deutsch
und
Türkisch
übersetzen.
Die
Sprache
der
jungen
Ich-
Erzählerin ist der Beweis dafür, dass Özdamar mit einem Bein in der
deutschen Kultur stand (so zwischen 1965 und 1967, ab 1976 bis heute) und
sich mit dem anderen noch in der türkischen Kultur befand. Die verlorene
Mutter- (und auch Kinder)sprache wird mit neuen Spracherfahrungen aus
Deutschland konfrontiert und ergänzt. Özdamar ist nicht nur auf die Suche
nach der verlorenen Muttersprache gegangen, sondern auch nach der Art
und Weise, die Muttersprache in der Fremde mit dem utopischen, fast
kindisch naiven Verlangen nach der “Brechtschen Sprache” zu versöhnen.
Aus diesem Grund, nämlich der Bewunderung für Brecht, ist sie damals
nach Deutschland eingewandert, so behauptet sie selbst. Die verfremdende
18
Ortfried Schäffter: “Modi des Fremderlebens. Deutungsmuster im Umgang mit Fremdheit.” In: Das
Fremde. Erfahrungsmöglichkeiten zwischen Faszination und Bedrohung. Hrsg. von Ortfried Schäffter.
Opladen: Westdeutscher Verlag, 1991. S. 11-42, hier S. 15.
19
Ibid., S. 25.
20
Ibid.
8
deutsche Sprache sollte ein Komplement zum (fast) fremden Türkischen
werden.
Das
arabischen
Bewusstsein
und
türkischen
des
musikalischen
Sprache
(wie
eine
Rhythmus
der
(fremden)
“Kamelkarawane” 21),
das
wortwörtliche Übersetzen ins – verfremdende – Deutsche und die sogar
kaum unübersetzbare arabische Bildsprache haben zu einer neuen Synthese
geführt,
in
der
Eigenheit
und
Fremdheit
in
einer
engen
Beziehung
zueinander stehen. Die arabische Sprache ist einst für die junge Özdamar
ebenso fremd gewesen, wie das Deutsche in ihren zwanziger Jahren. Das
Nachplappern von Erwachsenen, sei es im Arabischen oder später auch im
Deutschen, ist für sie immer ein Teil der Identitätsbildung geblieben.
Da waren drei deutsche Frauen, die am Theater arbeiteten. Ich hörte ihre Stimmen.
Eine sagte na ja, oder die andere sagte natürlich. Und ich war vor dem Spiegel, ich
hatte Seife in der Hand. Ich kriegte plötzlich Angst. Ich sagte, wessen Affe bin ich.
Ich spreche deutsch, aber von wem habe ich deutsch gelernt? Hätte ich die, wenn
ich diese Menschen als Kind kennen gelernt hätte, geliebt? Ich kenne die Maske
nicht. Ich benutze diese Wörter. Sind das gute Wörter oder nicht? 22
Die Frage, ob sie diese Menschen als Kind geliebt hätte, von denen
sie Deutsch gelernt hat, hat meiner Meinung nach damit zu tun, dass
Özdamar die kindlich-naive, ungehemmte Verwendung einer Sprache mit
autoritären Figuren und Faszination verknüpft: sie wollte arabisch sprechen,
weil ihre Großmutter das Arabische noch kannte, sie wollte Deutsch lernen,
weil sie Bertolt Brecht dermaßen für seine literarischen Qualitäte bewundert
hat. Die Faszination und Bedrohung einer fremden Sprachen ist im oben
erwähnten Zitat jedoch sehr deutlich: ohne die kindliche Faszination für das
Fremde, wird man sich seiner Maske sehr bewusst. Zugleich bin ich der
Meinung, dass Özdamar in ihrem Roman auch vor einer allzu naiven
Faszination fürs Eigene gewarnt hat. Dann bekommt man Angst vor dem
Fremden und Angst um die Identität zu verlieren; diese Angst hindert
Menschen daran, die Grenzen ihrer Kenntnis zu verrücken. Nach Özdamar
gab es diese Angst auch in Deutschland; sie assoziiert die Angst mit der
Verweigerung, ein Stuck des Eigenen hinzugeben. Man läuft kollektiv hinter
21
Özdamar: Karawanserei. S. 55.
Sabine Kroissenbrunner: “Barbara Frischmuth und Emine Sevgi Özdamar. ‘Schrift des Freundes’‘Die Brücke vom goldenen Horn’- ‘Seltsame Sterne starren zur Erde’. Ein literarischer Blickwinkel
zum Thema Türkei und Europa.”19/04/05 <http://www.kreisky.org/kreiskyforum/pdfs/rueck/236.pdf>.
S. 1-11, hier S. 7.
22
9
den Wörtern her, anstatt eine persönliche Balance zwischen Eigenem und
Fremdem zu suchen:
Und dann ist mir auf der Straße aufgefallen, Männer liefen zusammen, als ob sie
hinter ihren Wörtern her laufen würden. Sie sprachen ganz laut ihre Sprache,
griechisch oder türkisch, als ob die Wörter sie von einer Straße in die andere
bringen würden. […] Und jetzt machen die Türken, Italiener, Griechen das nicht
mehr. Die Russen machen das. Die Russen sind noch nicht in Deutschland, die sind
noch in Russland, oder in Polen. Die laufen hinter ihren Wörtern her. Bei mir war
das so, erst habe ich mal in türkisch Tagebücher geführt. Und dann habe ich nach
zwei Jahren angefangen mit deutsch zu mischen. Dann bin ich nach Frankreich mit
Besson, und dann gab es nach zwei Jahren auch französische Wörter. Plötzlich war
da so eine gemischte Sprache. Wenn ich aber am Theater war, egal ob ich die
Sprache wenige [sic] konnte oder nicht, hatte ich gar keine Angst. 23
Die Suche nach Identität ist also eine Suche nach Gleichgewicht
zwischen dem Eigenen und Fremden. Özdamar hat diese Thematik des
Gleichgewichts in der Karawanserei bilderhaft zum Ausdruck gebracht. Sie
hat das Oszillieren in der Identitätssuche (und somit in der Sprache) mit dem
Prozess des Laufenlernens verknüpft :
Großmutter sprach diese arabischen Wörter, die wie eine Kamelkarawane
hintereinander liefen, in meine Augen guckend, in ihrem Kapadokia-Dorfdialekt.
Die Kamelkarawane sammelte sich in meinem Mund, ich sprach die Gebete mit
Grossmutter, so hatten wir zwei Kamelkarawanen, ihre Kamele, die grösser waren
als meine, nahmen meine vor ihre Beine und brachten meinen Kamelen das Laufen
bei. 24
Das Nachahmen ist ein wesentlicher Teil der Identitätssuche: man
gelingt so zur Kenntnis über die Welt, die Vergangenheit und das Eigene.
Die
Großmutter
Geschichten,
türkische
verkörpert
Märchen,
Identität
‘Volksgeist’.
Ihre
märchennahen
mit
ihren
Weisheiten,
oder
Sprache
Bildersprache,
sogar
arabischen
Sprüchen
einen
basiert
mit
auf
Gebeten,
eine
kollektive,
romantischen,
dem
Metaphern
türkischen
orientalischen
Arabischen,
und
uralte
auf
einer
idiomatisierten
Ausdrücken. Das Mädchen ahmt die Sprache der Großmutter nach, aber die
Bedeutung der Wörter kommt erst nachher. Am Anfang ist sie noch zu naiv:
sie
kennt
den
Unterschied
zwischen
wortwörtlichem
und
übertragenem
Wortgebrauch nicht. Sowie sie das Arabische der Großmutter nur der Form
nach kennt, interpretiert sie die Bedeutung der Mahnung zur Solidarität und
zum Mitleid im unten stehenden Zitat der Form nach:
23
Sabine Kroissenbrunner: “Barbara Frischmuth und Emine Sevgi Özdamar”. S. 6-7.
Özdamar: Karawanserei. S. 55.
24
10
Wenn du einen Blinden siehst, geh zu ihm, stell dich neben ihn, mach ein Auge zu,
so findest du seine Nähe. Wenn du einen Stummen triffst auf der Straße, hebe einen
Stein von der Erde, lege den Stein über deine Zunge. 25
Die Erzählerin interpretiert die Aussprache der Großmutter wortwörtlich und
äfft tatsächlich einen behinderten Jungen nach.
Weinend lief ich weiter in die Richtung unserer Gasse, da kam ein Junge, er hatte
kaputte Beine. Beim Gehen legte sein Körper sich mal auf die rechte Seite, mal auf
die linke Seite. Warum, wußte ich nicht, ich fing an, noch Tränen im Gesicht, so zu
laufen wie er. Er kam, rechts, links wackelnd, zu mir, ich ging rechts, links
wackelnd zu ihm. Er schaute mich an, als ob er seinen Augen nicht glauben würde,
ich schaute auf ihn, als ob ich meinen Augen nicht glauben würde, dann kam seine
Mutter, er sagte laut zu ihr: “Muumumutter, dadadas Mämämädchen mamacht
sisisich lüstitig üüüber mimich.” 26
Hier wird gezeigt, wie das Mädchen ihre eigene Identität mit vielen
Rückschlägen
zu
gestalten
versucht.
Sie
nimmt
der
Großmutter
zum
Vorbild, muss aber trotzdem ihre naive Kenntnis je nach der Situation und
Umgebung
anpassen.
Die
Anpassungsfähigkeit
wird
daher
auch
zum
Hauptmerkmal des Mädchens: eben weil sie so oft umhergezogen ist, wird
sie sich überall retten können. Das Umgehen mit dem Fremden ist für sie
eine Lebensweise geworden: sie wird sich immer neu orientieren können.
Die neugierige, emanzipierte und unabhängige Haltung der Ich-Erzählerin
wird von ihrer Familie anerkannt, sie realisieren sich, dass sie ihren Mann
(ihre Frau) stehen wird, auch wenn sie die Geborgenheit der Familie und der
türkischen Umgebung verlassen würde:
Großmutter sagte: “Ihre Füße sind von der Erde weggeflogen. Sie muß fliegen,
sonst kommen ihre Füße nicht mehr zurück auf die Erde.” Vater sagte: “Ich glaube
an meine Tochter, sie ist meine Löwentochter.” Mutter sagte: “Ich kann sie in der
Mitte eines Soldatenheeres als einziges Mädchen allein lassen, ich finde sie da, so
wie ich sie dagelassen habe.” 27
Die Emanzipation wird auch in der Erzählform selbst ausgedrückt: die junge
Erzählerin sieht schon früh ein, dass die Welt keineswegs Anspruch auf die
‘objektive,
eindeutige
Wahrheit’
erheben
kann.
Die
verschiedenen
Perspektiven der Leute in ihrer Umgebung werden anerkannt und nüchtern
beschrieben:
Also, mein Vater war für meine Mutter Müteahhit [Bauunternehmer], für meine
Großmutter Assistent eines arbeitslosen Meisters, für mich war der Mustafa der
Käufer meines Fastentages für 25 Kuruş. Für meinen kleinen Bruder Orhan war
25
Özdamar: Karawanserei. S. 55.
Ibid., S. 135.
27
Ibid., S. 370.
26
11
Mustafa der Mann mit Schnurrbart, für meinen Bruder Ali war der Mustafa der
Mann, vor dem er sich manchmal verstecken mußte. 28
Dadurch dass sie auf humoristische Art und Weise die Vorstellung
von
Mustafa
beschreibt,
relativiert
sie
die
Wahrheitsansprüche
und
Perspektive jedes einzelnen Individuums. Die Ich-Erzählerin wird im Alltag
ständig
mit
inkonsequenten
Äußerungen
der
Leute
in
ihrer
Umgebung
konfrontiert. Da sie immer die Aufmerksamkeit darauf lenkt, wird dem
Leser auch klar gemacht, dass die Welt ein konventionalisierter Schauplatz
ist, in dem Erzählungen, Formeln und sogar Lügen Teil des Lebens sind. Die
‘Anderen’ erscheinen in ihrer Perspektive deshalb öfters als unzuverlässig
und, obwohl das Mädchen sie nicht verurteilt, ist es für sie doch ein
fragwürdiger Charakterzug:
Ich fragte meine Großmutter, warum die Menschen mal so, mal so sind. Sie sagte:
“Ein Hals, aus dem die Stimme rauskommt, hat vierzig Etagen. Wenn man was
sagen will, muß man erst vierzig mal schlucken und dann sprechen, manche Leute
sprechen, ohne zu schlucken, dann steht in der Mitte eine Hand voller Scheiße. 29
Sie erfährt, dass eine gute (d.h. zuverlässige) Kommunikation nicht evident
ist: eben weil sie selbst so ehrlich ist, kommt sie bald zu einer Erkenntnis der
Unehrlichkeit anderer Leute. Handeln und reden stimmen für sie nicht mehr
ohne weiteres überein:
Ich merkte, daß dieses Tamam mı-Tamam 30 zwischen mir und Ali immer klappte,
aber zwischen den anderen Menschen nicht immer klappte. Es hatte auch zwischen
Mehmet Ali Bey und seiner Frau, Tante Müzeyyen, gut geklappt, aber die
Menschen sagten entweder tamam tamam und hielten ihr Jawort nicht, oder sie
sagten kein Tamam. 31
Die
Erzählerin
registriert
die
zahlreichen
Modifizierungen
und
Konnotationen des objektiven Sprachgebrauchs. Je mehr Kontakt sie mit
den Erwachsenen hat, desto mehr parodiert sie die figürlichen Äußerungen.
So sagt sie, wenn sie Tante Sidika erwähnt, immer zu ihren Namen “der es
ein
bißchen
Schwiegereltern
besser
leben
ging
als
muß” 32
einem
dazu.
Sie
Schwiegersohn,
verursacht
der
eigentlich
bei
seinen
eine
Art
Verfremdung gegenüber alten, festen Strukturen in der Sprache. Die IchFigur erwirbt den figürlichen Sprachgebrauch allmählich im Aufwachsen,
während sie am Anfang des Buches noch alles wortwörtlich interpretierte.
28
Özdamar, Karawanserei. S. 63.
Ibid., S. 69.
30
Ibid., S. 184. “tamam mı” bedeutet: “einverstanden?” “tamam” bedeutet: “einverstanden”.
31
Ibid., S. 208.
32
Ibid., S. 170, 191, 193.
29
12
Sie eignet sich die fremden Strukturen der Sprache letztendlich völlig zu.
Ihre Identitätsentwicklung zeigt dem Leser eine hohe Empfindsamkeit für
den metaphorischen Sprachgebrauch. Je älter sie wird, desto mehr benutzt
sie eine kreative, figürliche Sprache:
Mein Vater sprach zu dem Stuhl: “Wenn du gesund bist, bringe ich dir Pokern bei.”
Ich hing mich an das Wort Pokern, als ob es ein über mir hängendes dickes Seil
wäre und ich zog mich an diesem Seil hoch und setzte mich zwischen die
ungeöffneten Möbelpakete und schlief dort ein. 33
Es ist deutlich, dass die Identitätsentwicklung der Ich-Erzählerin sehr stark
mit dem Sprachgebrauch verbunden ist. Die Diskrepanz zwischen Gesagtem
und Gemeintem ist für sie von größter Wichtigkeit: sie entdeckt, dass sie mit
ihrer ‘naiven’ (ehrlichen, wortwörtlichen) Sprache in der Erwachsenenwelt
nicht unbedingt das gewünschte Ziel erreicht. Ihre Liebesgeschichte mit
einem
Musikanten
zeigt
dann
wiederum,
wie
sogar
der
figürliche
Sprachgebrauch und die ‘Liebespantomime’ zu einer schmerzlichen (aber
trotzdem auch lustigen) Situation führen. Sie benutzt die alte konventionelle
Gebärde, um ihre Gefühle zu zeigen, aber das wird vom jungen Sedat falsch
verstanden. Das Mädchen lernt immer mehr dazu, indem sie nach und nach
entdeckt, wie viele (Un)Möglichkeiten es auf dem Kontinuum zwischen
konkretem und abstraktem Sprachgebrauch gibt:
Ich brachte mein Taschentuch an meine Stirn, was bedeuten sollte: Ich brenne,
wann wird dieses Feuer gelöscht werden, ach, ich will auch nicht, daß dieses Feuer
gelöscht wird. Plötzlich sagte ich laut: “Ach, ich will auch nicht, daß dieses Feuer
gelöscht wird.” “Bitte, was hast du gesagt?” Ich sagte irgendwas. 34
Ihre
besondere
Empfindsamkeit
sorgt
aber
dafür,
dass
sie
die
‘gelogene Welt’ 35 nicht ohne weiteres akzeptieren kann. Sie wird sogar
depressiv und muss einige Zeit in der Psychiatrie verbringen, nachdem sie
einen Selbstmordversuch gemacht hat. Die Pubertät versetzt sie in Angst, sie
wird
paranoide,
nervenkrank
und
melancholisch.
So
wird
sie
in
ein
Militärkrankenhaus in Ankara aufgenommen, weil sie eine “Überfunktion
der Schilddrüse” 36 hat, was bedeutet, dass sie ein hormonales Übermaß hat,
ein typisches Phänomen der Pubertät. Sie redet jetzt mit ihrem Körper, die
Hormonen
haben
ihre
Ratio
zerstört.
Die
komische
Szene
mit
dem
33
Özdamar, Karawanserei. S. 314.
Ibid., S. 336.
35
Ibid., S. 157.
36
Ibid., S. 350.
34
13
Psychologen
nämlich
zeigt
uns
versucht,
eine
ihre
eigenartige
körperliche
‘Einfühlungsmethode’:
Sprache
mit
einem
er
hat
ähnlichen
körperlichen Benehmen zu beantworten.
Mit einer Lampe schaute er sich meine Augen, meine Ohren an, er legte sein eines
Ohr auf meine Brust. Dann guckte er mich lange an. “Was haben sie?” Ich wußte es
nicht. Ich sprach nicht. Die Stühle schwiegen. Plötzlich biß der Psychologe in meine
Unterlippe. Ich stand auf, er stand auch auf, mit meiner Unterlippe. Ich lief zur Tür,
er setzte sich auf den Stuhl, auf dem ich gesessen hatte, sagte: “Ihr Problem kommt
vom Jungsein.” 37
Ihre Pubertät führt also zur Sprachlosigkeit und Sprachskepsis: die
Ich-Erzählerin kann zum ersten Mal in ihrem Leben nicht mehr ausdrücken,
was
sie
fühlt.
Die
spitzfindige
Kategorisierung
von
unterschiedlichen
Geisteskrankheiten, wie u.a. “leise und laute Melancholie” 38, deutet auf die
Verknüpfung von Sprache und Krankheit. Die laute Melancholie ist zum
Beispiel eine Äußerung der Überforderung durch die soziale Umgebung.
Sowie das junge Mädchen einst einige Formeln öfters wiederholt hat (zum
Beispiel
die
Erfahrungen
Gebete,
aus
die
ihrem
Hinzufügung
Alltagsleben
zu
zu
‘Tante
ordnen,
Sidika’),
so
um
die
brauchen
die
Geisteskranken jene formelhaften Aussagen auch, um ihre Erfahrungen zu
strukturieren. Es sind ja vor allem Soldaten und andere Militären die da
zusammen
vielleicht
sind;
noch
sie
mehr
brauchen
als
die
manche
Wiederholungen
Ich-Erzählerin,
um
der
und
Toten
Formeln
oder
der
schockierenden Ereignisse einen Platz in ihrem Leben zu geben.
Das
obsessiv-kompulsive
Benehmen
der
kranken
“Militärparade” 39
liegt gewissermaßen in einer Linie mit der Wiederholung von Gebeten und
sonstigen aberglaubischen Ritualen der jungen Ich-Erzählerin; obgleich die
Geisteskranken meiner Meinung nach nicht mehr dazu im Stande sind, sich
von den Toten zu distanzieren: sie sind schon im Diesseits mit ihren
Gedanken. Die Ich-Erzählerin hat öfters ‘ihre’ Toten vergessen, sobald sie
zur Ruhe gekommen war und friedsam einschlafen könnte. Sie ist immer mit
der Vergangenheit fertig gekommen, weil es für sie noch eine Zukunft gibt.
Erst
im
Krankenhaus
bemerkt
sie,
dass
viele
Leute
viel
ernsthaftere
Probleme haben als sie: sie kommen mit der Vergangenheit nicht fertig,
37
Özdamar, Karawanserei. S. 356.
Ibid., S. 356.
39
Ibid., S. 355
38
14
denn es gibt für sie zu viel Leid und gar keine Hoffnung auf eine bessere
Zukunft mehr. Die Wiederholung von Gedanken und Ritualen führt bei den
Geisteskranken nicht mehr zur Kenntnis, wie es früher in der Kindheit der
Erzählerin war. Wohl im Gegenteil: die Leute reden nur durcheinander und
sie verstehen sich nicht mehr. Die Worten von zwei Kranken, dem Kapitän
und dem Unteroffizier, stießen immer zusammen und bilden eine Art
Mischformel, die den Leser vielleicht an die damalige Mischsprache aus den
Gebeten der Ich-Erzählerin erinnern könnte.
Der redende Unteroffizier und der Kapitän wohnten in einem Zimmer. Ihre Sätze
mischten sich miteinander. “Ich will schweigen, heute schweigen/ Die Wäsche
wurde doch sauber/Schweigen ohne traurig zu werden/Erst den Rücken des Hemdes
bügeln/Ein Vogel kam aus dem Himmel herunter/Ein Winterhemd braucht acht
Minuten/Das ist das Schweigen, das du im Himmel siehst/Ein Sommerhemd
braucht fünf Minuten.”
Die
dichterische
wortwörtlichen
Sprache
wird
Sprachgebrauch
hier
also
mit
dem
gemischt,
ohne
dass
die
pragmatischen,
Synthese
einen
Sinn enthält. Die verworrenen Stimmen der Geisteskranken sind vielleicht
Anlass dafür, dass die Erzählerin sich von der Türkei verabschieden will. Sie
versteht als ‘Zigeunerin’ die Menschen in ihrer Umgebung nicht mehr. Ihre
Zigeunermentalität, über die ich im Kapittel über die Raumdarstellung noch
sprechen
werde,
hindert
sie
daran,
die
bürgerlichen
Leute,
sowie
die
Soldaten und sonstige Leute mit einem autoritären Charakter, zu verstehen.
Sie ist wie Karagöz im unterstehenden Zitat:
Mutter sagte: “Diese Männer im Schattenspiel heißen auch Karagöz und Hacivat.
Karagöz ist ein Zigeuner oder Bauer, Hacivat ist ein Stadtmann, Lehrer vielleicht,
und sie sprechen und verstehen sich immer falsch. Dann lachen die Menschen. Im
Schattenspiel gibt es Juden, Griechen, Armenier, Halbstarke, Nutten, jeder spricht
einen anderen Dialekt, jeder ist ein anderes Musikinstrument, redet nach seiner
eigenen Zunge und versteht die anderen nicht, jeder macht an sich tın tın tın. Das ist
unser Land”, sagte sie, “ wir sin dein an Menschen reiches Land, aber ein armes
Land.” 40
Die absurde Steigerung der Realität im Militärkrankenhaus konfrontiert sie
mit der eigenen Unvollkommenheit; sie will in Zukunft die bekannten
Formeln
und
Geschichten
aus
ihrem
Leben
auch
nicht
ad
absurdum
wiederholen. Die benutzte Sprache soll immer zur Kenntnis über die Welt
beitragen und zum Verstehen des Ichs oder des Anderen. Sie kennt jedoch
sich selbst und die anderen nicht mehr. Sie kennt ja alle Register der
40
Özdamar: Karawanserei. S. 157
15
türkischen Sprache, und soll auf die Suche nach einer verfremdenden
Sprache gehen, um ihr die Augen noch weiter zu öffnen. Die Sehnsucht nach
einer anderen, “Brechtschen” Sprache, kommt hier zum Ausdruck. Erst
nachdem
sie
dann
fünf
Monaten
geschwiegen
hat,
kommt
sie
zur
Entscheidung: sie wird nach Deutschland gehen. Die Sprachskepsis hat sich
gelöst,
weil
sie
letztendlich
einsieht,
dass
es
immer
noch
eine
Fluchtmöglichkeit gibt: jede Umgebung hat zwei Türen; wenn man in der
eigenen Umgebung nicht ruhig leben kann, kann man abhauen. Der Titel ist
in
dem
Sinne
Möglichkeit,
eine
sich
Verweisung
von
der
auf
bekannten
das
Ende
des
Umgebung
Buches,
auf
loszureißen.
die
Meiner
Meinung nach schreibt die Ich-Erzählerin auch deswegen über das Holzhaus
der “Tante” Pakize, einer Prostituierten:
Tante Pakize wohnte im Zigeunerviertel, und ihr Holzhaus hatte zwei Türen, weil
sie eine Hure war. Wenn die Polizei durch eine Tür kam, konnte sie durch die
zweite Tür abhauen. 41
Ihr Verlangen, wie eine Hure zu sein, könnte man interpretieren als das
Verlangen, auf einmal abhauen zu können. Die Aussage der Mutter, dass
ihre Tochter eine ‘Mundhure’ ist, ist in dem Sinne auch nicht bedeutungslos:
es könnte auf die Zukunft verweisen, in der das Mädchen tatsächlich die
zweite Tür benutzen werde:
Meine Mutter lachte und sagte: “Es gibt sieben Arten Hurerei in dieser Welt.” Ich
wäre eine Mundhure, die mit der Zunge Hure ist. OROSPU. Das Wort Orospu
gefiel mir. 42
Ihre dichterischen,
literarischen
Qualitäten (oder,
nach
der Mutter,
ihre
“Hurerei”) geben ihr die Möglichkeit, die zweite Tür zu öffnen. Die
Fluchtmöglichkeit ist also am wichtigsten: man sollte immer das Gefühl
haben, dass man frei ist und ohne die Drohung von autoritären Mächten
leben
kann.
Sie
geht
ironisch
genug
auch
mit
dem
Hurenzug
nach
Deutschland. So könnte man konkludieren, dass sie mit dem Soldatenzug
zur männlichen, patriarchalen Welt gebracht wurde und mit dem Hurenzug
aus der männlichen Welt weggezogen ist, auf dem Wege nach totaler
Emanzipation und Freiheit.
41
42
Özdamar: Karawanserei. S. 374.
Ibid., S. 117.
16
4. Der
auktoriale
Erzähler
in
der
Tochter
des
Schmieds:
die
Idealisierung vom Eigenen.
Özdogan hat das Fremde vor allem als “Resonanzboden des Eigenen” 43
betrachtet, einen Modus, der Ortfried Schäffter in seiner Studie über das
Fremde
beschrieben
hat.
Özdogan
ist
in
Deutschland
geboren
und
aufgewachsen; die Tochter des Schmieds ist übrigens sein erstes Buch, das
von der Türkei handelt. Er wollte, dass sein Publikum sich mit der deutschtürkischen Bevölkerung identifizieren könnte. Vor allem die Jugendlichen,
die die Migration selbst nicht mehr erlebt haben, sollen die Tochter des
Schmieds einmal lesen, um die Eltern und somit auch sich selbst besser zu
verstehen. Das Fremde ist für diese Minorität ja “das Ursprüngliche, ohne
das die Eigenheit nicht möglich wäre, zu der sie jedoch im Verlauf einer
Identitätsentwicklung in Distanz treten muß” 44, so behauptet Schäffter. Das
Fremde ist für Özdogan im Wesen die “Entdeckung und Wiedergewinnung
des eigenen Ursprungs” 45. Die deutsch-türkische Bevölkerung soll somit das
“Spannungsverhältnis
zwischen
Abhängigkeit
und
emanzipatorischer
Bewegung” 46 aus dieser Geschichte mitbekommen, so bin ich der Meinung.
Özdogan hat seinen Lesern zeigen wollen, dass die türkische MigrantInnen
auch einst ihre eigene Identität hatten, und das jene Identität heute zwar von
den Deutschen und den jüngeren deutsch-türkischen Generationen, die in
Deutschland aufgewachsen sind, manchmal als ‘fremd’ betrachtet wird, aber
trotzdem auch zur Eigenheit der deutsch-türkischen Bevölkerung geführt
hat.
Einfühlung, Sympathie und empathisches Verstehen bleiben
voraussetzungsvolle Deutungsmuster im Umgang mit Fremdheit. 47
damit
weiterhin
Das Zitat ist meiner Meinung nach sehr gut anwendbar auf die
erzählerische Vermittlung im Buch von Özdogan. Der Schriftsteller hat
sowohl
das
deutsche
Lesepublikum,
als
auch
die
deutsch-türkischen
43
Schäffter: “Modi des Fremderlebens.” S. 16.
Ibid., S. 16.
45
Ibid., S. 18.
46
Ibid., S. 16.
47
Ibid., S. 17.
44
17
Jugendlichen zur Einfühlung und Empathie anspornen wollen. Dieser Zweck
führt hier meiner Meinung nach zu einer weniger originellen Verarbeitung
der
gender-orientierten
kollektiven
Thematik.
deutsch-türkischen
Özdogan
Geschichte
hat
die
überbrücken
Distanz
wollen,
zu
der
indem
er
erkennbare – manchmal sogar orientalistische – Strukturen auf die türkische
Bevölkerung projiziert hat. Die Frau als unterworfenes Subjekt, der Mann
als Held, die traditionelle Scheidung zwischen der Außen- und Innenwelt,
die traditionelle Mutter- und Vaterrolle und andere bekannte Vorstellungen
werden hier vor allem aus deutscher Perspektive betrachtet. Die westliche
Orientierung des Schriftstellers steuert hier die Figuren, die die kollektiven
Erinnerungen
auch
nach
nicht
westlichen
zu
“existentielle[n]
einem
Betrachtungsmustern
“interkulturellen
transkulturelle[n]
umdeuten.
Es
48
Verstehen” ,
Erfahrungen” 49.
Die
kommt
basiert
Geschichte
auf
ist
so
sehr von der männlichen Perspektive geprägt, dass man die beabsichtigte
dokumentierende
(künftigen)
Schilderung
MigrantInnen
Einfühlungsgeschichte
vielmehr
erfährt.
Einfühlungsgeschichten
der
von
condition
als
Sheila
Saliha
eine
Johnson
humaine
typisch
hat
Scheinhardt
der
türkischen
deutsch-türkische
zum
Beispiel
erwähnt,
die
deren
“halbfiktionale[n] Fallstudien, in denen die Individualität der Subjekte in der
wehmütigen
Ähnlichkeit
untergeht” 50,
nicht
zur
Eigenständigkeit
der
deutsch-türkischen Literatur beigetragen haben, laut Johnson.
Der auktoriale Erzähler in der Tochter des Schmieds erzählt die
Geschichte einer anatolischen Familie, in der die weibliche Hauptfigur Gül
ihre Identität zu entwickeln versucht. Es ist jedoch eine Tatsache, dass wir
als Leser nicht oft das Gefühl bekommen, dass Gül eine rein weibliche
Perspektive vertritt. So könnte man behaupten, dass Özdogans Erzählweise
folgender Behauptung widerspricht:
Durch
weibliche
Fokalisierunginstanzen
und
eine
dem
weiblichen
Blick
entsprechende Perspektivenführung, mit der eine identifikatorische Schilderung von
Frauenschicksalen
einhergeht,
werden
weibliches
Erleben
und
weibliche
Wirklichkeitserfahrung aufgewertet: Die Leserin sieht die Ereignisse in der
erzählten Welt nicht dominant durch die Außensicht eines als überindividueller
Normrepräsentant fungierenden männlichen Erzählers, sondern mit den Augen
weiblicher PerspektiventrägerInnen. Die fiktionale Wirklichkeit erscheint als
48
Schäffter: “Modi des Fremderlebens.” S.18.
Ibid.
50
Sheila Johnson: “Literatur von deutschschreibenden Autorinnen islamischer Herkunft.” S. 268.
49
18
weiblich erlebte Wirklichkeit, so dass durch die Bewusstseinsdarstellung einer im
literarischen
wie
außerliterarischen
Bereich
häufig
zu
verzeichnenden
Marginalisierung
weiblicher
Erlebniswelten
entgegengewirkt
und
weibliche
Subjektivität mit ihren besonderen Erfahrungen und Bedürfnissen in den
Vordergrund gerückt wird. 51
Özdogan ist ja ein männlicher Erzähler, aber er hat vor allem versucht, jene
“identifikatorische
Schilderung
von
Frauenschicksalen”
wiederzugeben.
Wir, Leser, sollten uns also möglichst gut in der Situation der weiblichen
Hauptfigur Gül einleben können. Trotz seines Versuchs ist es ihm aber nicht
gelungen, die Weiblichkeit zu ‘subjektivieren’, sowie es im Zitat steht. Die
Frauen in seinem Roman sind weniger subjektiv und dynamisch als der
Schmied
geschildert,
Abhängigkeit
von
sie
bekommen
Männern.
Meiner
also
nur
Meinung
Bedeutung
nach
ist
durch
die
ihre
spezifische
weibliche Wirklichkeitserfahrung in den Hintergrund gestellt worden, eben
weil der Schmied die zentrale Stelle im Buch einnimmt. Der Plot handelt vor
allem über die Lebensgeschichte von Gül, aber sie dreht sich wie ein Satellit
um den Schmied, so dass er immer im Mittelpunkt der Geschichte stehen
bleibt.
Der Titel – die Tochter des Schmieds – verrät eine Art Werturteil,
indem er gleich zwei Identitäten miteinander verbindet. Der Genitiv drückt
somit die Abhängigkeitslage der weiblichen Hauptfigur aus. Die familiäre
Identität der Tochter wird in einem Atemzug mit der sozio-kulturellen
Identität des Schmieds erwähnt. ‘Der Schmied’ ist mit einem symbolischen
Status
versehen,
während
‘die
Tochter’
nur
auf
die
spezifische
Rolle
innerhalb die Familie hinweist. Die Hauptfigur wird im Titel so dargestellt,
als ob ihre Existenz (und auch ihre Handlungen durch die ganze Geschichte)
völlig vom sonderbaren Status des Schmieds abhängig wäre(n). Hätte da
zum Beispiel “die Tochter eines Assistenten vom arbeitslosen Baumeister” 52
gestanden, dann wäre das Werturteil ganz anders gewesen. ‘Der Schmied’
ist in dem Sinne eine konnotierte Benennung: die familiäre Geschichte (und
mehr spezifisch die Geschichte von Gül) ist durch den beruflichen Status des
Schmieds
geprägt.
Sein
sozio-kultureller
Status
impliziert
Geborgenheit,
Sicherheit, Ansehen, Wohlstand und eine gewisse Abhängigkeit.
51
Allrath und Surkamp: “Erzählerische Vermittlung, unzuverlässiges Erzählen, Multiperspektivität
und Bewusstseinsdarstellung.” S. 170.
52
Özdamar: Karawanserei. S. 63
19
Obwohl man das Gefühl bekommt, Özdogan habe dem Schmied mit Absicht
sowohl weibliche als auch männliche Eigenschaften beigemessen, um die
Gender-Stereotypisierung zu vermeiden, mutet diese Figur sehr (männlich)
idealisiert und stereotypisiert an: der Schmied verkörpert den balancierten,
unkomplizierten und zugleich empfindsamen Menschen. Der Erzähler lässt
trotz
des
beabsichtigten
Gleichgewichts
keine
Gelegenheit
aus,
um
die
Männlichkeit des Schmieds zu unterstreichen. Schon der erste Satz des
Buches spielt auf den Stolz des Schmieds an:
- Mach meinen Mann nicht zum Mörder, habe ich [Fatma, seine Frau] ihm gesagt,
halt an, mach meinen Mann nicht zum Mörder. Halt an, und laß mich raus, und
dann verpiß dich, so schnell du kannst. Timur atmet hörbar aus und wendet seinen
Kopf ab, damit Fatma nicht sieht, wie seine Augen feucht werden. 53
Der Vorausblick auf den Moment, in dem ein Fahrer die Frau von
Timur zu entführen versucht, zeigt dem Leser unmittelbar, wie die Ehre als
zentraler Aspekt in der Geschichte vorgeführt wird und in einem Atemzug
auch mit der Empfindsamkeit von Timur verknüpft wird. Die Liebe für seine
Frau macht Timur weich ums Herz, obgleich diese starke Gestalt nicht
gezögert hätte, den Entführer mit bloßen Händen zu ermorden, falls es zu
einem Treffen gekommen wäre. Die Betonung seiner ‘Schwäche’ (seine
Augen
werden
Unzuverlässigkeit
feucht)
der
sollte
empathisch
Erzählinstanz,
weil
wirken,
jene
führt
immer
jedoch
wieder
zur
versucht,
Timur als idealen Gatten zu schildern. Seine Schwächen sind in dem Sinne
keine wirklichen Beschränkungen seiner Männlichkeit, sondern zeigen nur
das
ideale
Gleichgewicht
der
Charaktereigenschaften.
Die
bedingungslose
Liebe für seine Frau zeigt uns die Bereitwilligkeit und Verantwortlichkeit
des idealen Gatten, um aus dieser Mußehe eine Tugend zu machen. Seine
Mutter hat ihn zwar verheiraten wollen, als er noch nicht ganz dazu bereit
war, aber nachher sieht er ein, dass seine Mutter die best mögliche
Entscheidung getroffen hat.
Timur zündete sich eine Zigarette an und lächelte. Vielleicht hatte sie keine Brüste,
aber sie war schön. Sie war schön wie ein Stück vom Mond. Sie war schon, als
wären da immer noch Sterne in seinen Haaren. 54
Die Erzählinstanz lässt nie nach, die charismatischen Eigenschaften
von Timur ausführlich zu betonen. Timur ist nicht nur der ideale Gatte,
53
54
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 7.
Ibid., S. 16
20
sondern auch ein Muster für seine soziale Umgebung, ein charismatischer,
sympathischer Mann mit den Charakterzügen eines Leiters. Das Bett, das er
für die eigene Hochzeitsnacht geschmiedet hat, ist “mittlerweile berühmt in
der ganzen Stadt” 55. Fleißigkeit und Fertigkeit sind die Hauptmerkmale des
Schmieds; auch wenn er reich ist, ist das nur so, weil er immer hart für sein
Geld gearbeitet hat.
Er wird schwitzen für sein Geld, er wird in der Gluthitze des Sommers schwitzen
für das Geld, mit dem er sich ein Radio kaufen will. Es ist das einzige Radio in der
Straße, und die Nachbarn versammeln sich beim Schmied, um den Stimmen aus
diesem Gerät zu lauschen. 56
Der Schmied schließt dann letztendlich auch noch Lautsprecher an den
Apparat
an,
so
dass
die
ganze
Nachbarschaft
mithören
kann.
Das
altruistische Benehmen ist kennzeichnend für den Schmied: er hat den
Respekt verdient, sowie er auch sein Geld verdient hat. Es ist ihm sozusagen
nicht
wie
Tugenden
eine
reife
Frucht
und
(körperlichen)
in
den
Schoß
Fertigkeiten
gefallen:
führten
seine
zu
einer
(mentalen)
perfekten
Kombination von Respekt und Sympathie der anderen Leute. Sein Status ist
so ansehnlich, weil man alles in allem sagen könnte, dass er ein idealer
Gatte, Vater, Ernährer, Sohn, Nachbar, Kaufmann und Freund ist.
Die
Komplementarität
von
Mann
und
Frau
wird
hier
auch
exemplarisch dargestellt: Fatma und Timur sind das prototypische Beispiel
eines sich perfekt ergänzenden Paares. Das sanfte Wesen von Fatma wird
dem
starken,
Charakterzüge
heroischen
sind
Charakter
auf
des
Schmieds
geschlechtsspezifische,
entgegengesetzt.
Die
dualisierte
und
stereotypisierte Art und Weise beschrieben: Timur ist stolz, er steht in
hohem Ansehen, hat keine Angst, ist impulsiv, manchmal verschwenderisch
und störrisch, er will sich vor allem beweisen. Fatma ist lieb und geliebt, sie
ist geduldig, sparsam und verständnisvoll. Der stolze bzw. liebe Charakter
von Timur und Fatma wird jeweils von der soziokulturellen Umgebung auf
ähnliche Art und Weise beantwortet: der Stolz führt zum Ansehen und sogar
zum Neid, während die Liebenswürdigkeit zur Sympathie der Gemeinde
führt. Timur und Fatma haben jedoch auch nicht-geschlechtsspezifischen
Eigenschaften, die – wie ich oben erwähnt habe – das ideale Gleichgewicht
55
56
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 88.
Ibid., S. 89
21
in den Vordergrund rücken. Zum Beispiel die Selbständigkeit von Fatma
und
die
Sorgsamkeit
von
Timur
sind
keine
gender-stereotypisierten
Merkmale, für die Komplementarität sind sie aber von größter Wichtigkeit,
weil sie als Tugenden im Familienkreis gelten: die Selbständigkeit von
Fatma macht sie zur verantwortlichen Mutter, während die Sorgsamkeit von
Timur ihn zum beliebten Vater macht.
Nach dem Tod der Fatma werden dieses Gleichgewicht und die
Komplementarität gründlich zerstört. Die neue Frau von Timur soll den
Kontrast mit Fatma unterstreichen: sie wirkt unsympatisch und kümmert
sich nicht so viel um die Kinder. So bestätigt Özdogan das Stereotyp der
‘bösen
Stiefmutter’,
die
ihre
eigenen
Kinder
denen
der
anderen
Frau
vorzieht. In einem Gespräch mit Güls Lehrerin werden die formelhaften
Aussagen über Stiefmütter für wahr gehalten:
- Das Mädchen, dessen Mutter stirbt, hält sich für eine Mutter, sagt man. Weißt du
das? –Ja. Meistens glauben die Leute, daß Gül nicht zuhört, wenn die Worte der
Ahnen in ihrer Gegenwart zitiert werden. Wer keine Mutter hat, hat auch keinen
Vater. Stiefmütter geben verwässerten Ayran [Yoghurtgetränk] und die verbrannte
Ecke des Brotes. Sie kennt diese Sprichwörter, die für sie alle das gleiche bedeuten:
Sie muß auf ihre Schwestern achtgeben. 57
Während es in der Karawanserei hauptsächlich darum geht, die
Volksweisheit wenigstens zu parodieren oder die Arbitrarität und Willkür
von Sprichwörtern anzuzeigen, wird in der Tochter des Schmieds vor allem
davon ausgegangen, dass in jenen Sprichwörtern ein wahrer Kern steckt. Die
Sprichwörter sind meiner Meinung nach in der Karawanserei vielmehr
ironisiert:
sie
sind
keine
wirkliche
Richtschnur
des
Handelns,
sondern
zeigen öfters, wie Erwachsene ganz opportunistisch mit Formeln umgehen,
wie sie mit anderen Worten diese figürlichen Sprüche manchmal ein bißchen
ändern, um aus ihnen einen Vorteil zu ziehen. Özdogan hat aber vor allem
den
Wahrheitsanspruch
betonen
wollen:
die
orale
Überlieferung
von
Volksweisheit führt zur Kenntnis über die Welt und kann zur Richtlinie des
Handelns werden.
Die Mutter von Timur (die Großmutter von Gül) wird auch sehr
negativ beschrieben, woraus man schließen könnte, dass die Frauen in dieser
Geschichte kaum Anspruch auf positive Bewertung machen (Fatma ist also
57
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 100.
22
die Ausnahme). Die antipathische Großmutter kümmert sich nur um ihren
eigenen Sohn, in dem Moment, in dem er und Fatma krank sind. Deswegen
stirbt die Frau des Schmieds letztendlich, weil bei ihr die Krankheit zu weit
fortgeschritten war. Sowohl die Großmutter Zeliha als auch die neue Frau
Arzu
machen
sich
also
der
Pflichtverletzung
schuldig.
Der
Erzähler
verzichtet auf eine tiefgehende Motivierung des Benehmens der beiden
Frauen. Nur ab und zu bekommen wir einige Gedanken, die zum Abbauen
der negativen Vorurteile beitragen sollen. Vorher muß der Leser schon
gedacht haben, dass Schwiegermütter und Stiefmütter in der Türkei zum
größten Teil opportunistisch, hart und gefühllos sind. Özdogan hat ja vor
allem die pragmatische Einstellung von Frauen in einer von Männern
regierten Welt betonen wollen; zum Glück gibt es manchmal auch eine
Betonung der emotionalen ‘Schwäche’ von Frauen:
Arzu setzt sich ans Bett und streicht über Güls Stirn. Und weint. Sie weint nicht um
das kranke Kind. Sie weint um sich selbst. Womit hat sie dieses Schicksal verdient?
Was kann sie dafür, daß ihr erster Gemahl kein Mann war? Und ist es ihre Schuld,
daß sie danach keiner mehr haben wollte? Was tut sie hier? Sie ist gerade neunzehn
Jahre alt und muß sich auf einmal um diese drei Kinder kümmern. Drei Mädchen,
die ihr völlig fremd sind, und ein Mann, der den Schmerz über den Tod seiner Frau
noch lange nicht verwunden hat. 58
Hier wird also auf die Schwierigkeit einer Mußehe angespielt, so
dass das deutsche Lesepublikum wenigstens verstehen kann, wieso Arzu
sich nicht so leicht in die traditionelle Mutterrolle einfühlen kann. Die
Erzählinstanz spart jedoch mit ihrem Lob, und öfters zeigen die Gedanken
der Stiefmutter bwz. Großmutter eine Art Arroganz und Opportunismus auf.
Der erste Ehemann von Arzu war impotent: gerade deswegen will Arzu mit
ihrem zweiten Mann nicht mehr in einem schlechten Licht stehen. Özdogan
lässt aber herausscheinen, dass Arzu ziemlich oberflächlich auf die soziale
Druck der Umgebung reagiert. Sie denkt nicht wirklich für sich selbst,
sondern lässt sich sehr stark von den Meinungen anderer Leute beeinflussen:
- Wir wollen nicht zum Gespött der Leute werden, sagt ihre Mutter. Diesen Satz hat
Gül schon sehr oft gehört. […]Arzu hat ihre Gründe, nicht zum Stadtgespräch
werden zu wollen. Sie ist froh, daß langsam vergessen wird, was mit ihrem ersten
Ehemann war. Froh, daß vielleicht irgendwann ganz vergessen sein wird, daß sie
schon einmal verheiratet war. Wenn sich der Klatsch erst verbreitet hat, gibt es
kaum noch ein Entkommen. Arzu möchte nicht auffallen, es sei denn dadurch, daß
ihr Mann groß und stark ist und Geld hat. Es sei denn durch ein Kopftuch aus reiner
58
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 69.
23
Seide aus Bursa. Es soll schon über sie geredet werden, aber bewundernd und mit
leisem Neid. 59
Der Gegensatz zur ersten Frau des Schmieds ist kaum verholen: Arzu will
nur um des äußeren Scheins willen in hohem Ansehen stehen, während die
Fatma gerade um ihr sanftes Wesen gerühmt wird und auf diese Art und
Weise der Gemeinde Respekt abgewinnt.
Die Großmutter wird genau so negativ beschrieben: die Erzählinstanz
betont vom Anfang der Geschichte an schon ihre Habgier. Ihr unehrliches
Benehmen verursacht sogar eine Vertrauensfrage bei ihrer Enkelin und
ihrem Sohn. Sie beschuldigt Gül unberechtigt des Diebstahls, so dass ihr
Sohn einsehen muß, dass er seiner eigenen Mutter nicht unbedingt vertrauen
darf:
Er kann nicht nur nicht beweisen, daß Gül es nicht war, sondern er kann auch seine
Mutter nicht beschuldigen, gelogen zu haben.[…] Timur ist in die Hocke gegangen,
starrt
auf den
Boden und
murmelt
vor
sich hin.
–
Sogar
ihre
Enkelin…wahrscheinlich
hat
sie
ihn
verkauft…kaufen,
verkaufen,
kaufen,
verkaufen…das bißchen Traubensaft… 60
Timur denkt also, dass seine Mutter den getrockneten Traubensaft
verkauft hat und Gül nachher des Diebstahls beschuldigt hat. Die negative
Beurteilung
der
patriarchalischen
beiden
Systems:
Frauen
passt
die Eifersucht
zur
von
Stereotypisierung
Frauen
auf andere
des
(nicht
verwandte) Frauen wird in der Tochter des Schmieds öfters betont, sowie
auch die schwierige Beziehung einer Frau zur Schwiegermutter. In der
Karawanserei
wird
gerade
dieses
Stereotyp
entkräftet,
weil
Ayse
(die
Großmutter) sich nicht sosehr mit ihrem Sohn beschäftigt, sondern vielmehr
mit
den
weiblichen
patriarchalischen
Gestalten
Beziehung
zu
zwischen
tun
hat.
Die
Mutter
und
Sohn,
Darstellung
der
Schwiegermutter
und Schwiegertochter wird durch die Geschichte von Özdogan aufrecht
erhalten, während ihr in der Karawanserei mit der Auswanderung der IchFigur sogar ein Ende bereitet wird, weil die weibliche Hauptfigur sich
überhaupt nicht in der Türkei verheiraten würde und deswegen auch nie die
Tradition
weitersetzen
könnte.
Die
zyklische
Tradition
des
weiblichen
Autoritätserwerbs wird ganz deutlich durchbrochen. Sogar die Mutter der
Ich-Figur aus der Karawanserei wird keineswegs von ihrer Schwiegermutter
59
60
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 105-106.
Ibid., S. 82-83.
24
unterdrückt; im Gegensatz dazu wird der Großmutter öfters durch ihre
Schwiegertochter der Kopf gewaschen. Als einige ‘Brautschauerinnen’ auf
einmal vorbeikommen, um zu sehen, ob sie ihren Sohn mit der Hauptfigur
verheiraten könnten, wird ganz klar, dass die Großmutter keine Macht oder
Autorität mehr hat:
Sie [die Mutter] sagte: “Arme Frauen, sie denken, der Bauunternehmer Mustafa ist
ein reicher Mann.” Meine Großmutter sagte: “Warum hast du das Mädchen nicht
gegeben. Sie haben wie gute Menschen ausgesehen. Die Zeit des Mädchens ist
gekommen.” Mutter sagte: “Greisin, heirate du, wen du willst, meine Tochter wird
in die Schule gehen.”Großmutter sagte: “Was habe ich denn gesagt, habe ich was
Schlechtes gesagt?” Ich habe gesagt, die Zeit für das Mädchen ist gekommen.” 61
Die Großmutter spielt hier die gekränkte Unschuld, sie reagiert
sogar
sarkastisch auf die Mahnung ihrer Schwiegertochter. So schränkt sie gleich
die Tragweite ihrer Worten ein, als ob man jene Worten nicht ernst nehmen
sollte. Fatma und Ayse streiten sich zwar mehrmals, aber es ist allerdings
vielmehr unschuldig und scherzhaft gemeint.
Deniz Kandiyoti hat in seiner komparativen Untersuchung über den
Islam und das Patriarchat, das klassische Patriarchat zu definieren versucht.
Er geht auf die spezifische Beziehung zwischen Müttern und Söhnen bzw.
Schwiegertöchtern ein:
A woman’s life cycle in the patrilocally extended family is such that the deprivation
and hardship she may experience as a young bride are eventually superseded by the
control and authority she will have over her own daughters-in-law. The powerful
postmenopausal matriarch thus is the other side of the coin of this form of
patriarchy. The cyclical nature of women’s power and their anticipation of
inheriting the authority of senior women encourages a thorough internalization of
this form of patriarchy by the women themselves. Subordination to men is offset by
the control older women have over younger women. Women have access to the
only type of labor power they can control, and to old-age security, however, through
their married sons. Since sons are a woman’s most critical resource, ensuring their
lifelong loyalty is an enduring preoccupation. Older women have a vested interest in
the suppression of romantic love between youngsters to keep the conjugal bond
secondary and to claim their son’s primary allegiance. 62
In
der
Tochter
des
Schmieds
gibt
es
die
neutrale
Wiedergabe
eines
klassischen Patriarchats, sowie es oben definiert wurde. Die Beziehung
zwischen
Zeliha
(Großmutter)
und
Fatma
ist
prototypisch:
Zeliha
übt
Kontrolle über ihre Schwiegertochter aus, weil sie die zyklische Tradition
der
patriarchalischen
Autoritätsverhältnisse
aufrecht
erhalten
will.
Die
61
Özdamar: Karawanserei. S. 272.
Deniz Kandiyoti: “Islam and Patriarchy”. In: Women in Middle Eastern History. Shifting
Boundaries in Sex and Gender. Hrsg. von Nikki R. Keddie und Beth Baron. New Haven, London:
Yale University Press. 1991. S. 23-42, hier S.32-33.
62
25
Erzählinstanz berichtet ganz
Zeliha
und
Prügelszene
ihrem
im
Sohn
neutral über das Machtsverhältnis
bzw.
untenstehenden
ihrer
Zitat
Schwiegertochter.
zeigt
uns,
wie
zwischen
Die
kindische
die
auktoriale
Erzählinstanz alles ziemlich rudimentär darstellt, als ob das Patriarchat nur
mit Macht, Kontrolle und Körperstrafen zu tun hat. Meiner Meinung nach
wird
das
Verhältnis
Schwiegermutter
–
Schwiegertochter
zu
einem
obligatorischen Machtsspiel reduziert, auch wenn es in dem Patriarchat vor
allem um Ehrlichkeit und Respekt geht, nach meiner Meinung.
- Hör mal, sagte er eines Abends zu Fatma, hör mal, ich glaube, ich weiß, was wir
tun können. Das nächste Mal, wenn meine Mutter sich beschwert, dann ziehe ich
dich hier ins Zimmer, und ich schlage auf die Sitzkissen und brülle ein wenig
herum, und du schreist auf wie vor Schmerz, dann gehe ich raus, und du bleibst
noch ein wenig drinnen. […] Timur erzählte seinen Freunden begeistert von diesem
Trick, und sie lachten gemeinsam, stießen an und tranken. Und als der Herbst zu
Ende ging, wußte es die ganze Stadt. 63
Die scheinbare Spitzfindigkeit des Tricks von Timur zeigt uns indirekt, dass
die Erzählinstanz davon ausgeht, dass Timur wohl der einzige gewesen
wäre, der sich auf kluge Art und Weise den altmodischen Gebräuchen der
älteren Generation zuwidergesetzt hat. Timur wird als normwidriger Held,
als burschenhafter Rebell gezeichnet, der das Machtsspiel seiner Mutter mit
einem ebenso fragwürdigen Spiel beantwortet, und somit die Tradition von
Körperstrafen bestätigt, statt sie zu verwerfen. Es wird nicht auf die Frage
eingegangen, ob zum Beispiel seine Freunde das Prügeln auch missbilligen.
Die Erzählinstanz will vielmehr die Homogenität der ganzen Gesellschaft
betonen, in der es auffällt, wenn jemand aus der Reihe tanzt, denn sonst
hätte die Gemeinde doch überhaupt kein Interesse an dieser ‘unerhörten
Begebenheit’ gezeigt. In der Tochter des Schmieds ist Timur nicht so sehr
der Beweis dafür, dass der Patriarchat allmählich an Einfluss einbüßt, weil
er eher eine Ausnahme ist, die die Regel bestätigt. Seinen sonderbaren
Charakter kann man ebenfalls nicht als bewusst emanzipiert bezeichnen,
denn sein Zaubertrick ist eine phantastische, heuchlerische Flucht aus der
Wirklichkeit: die Wurzel des Problems wird durch das inszenierte Prügeln
nicht angefasst, Timur vermeidet nur eine Konfrontation mit seiner Mutter.
Der auktoriale Erzähler gibt nie ein Urteil, Kritik an der Gesellschaft
wird nur indirekt in den Gedanken der Figuren wiedergegeben. Meiner
63
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 19.
26
Meinung sieht die Geschichte den Einfühlungsgeschichten auch so ähnlich
aus: die Erzählinstanz will nur zeigen, wie es gewesen ist. Die traditionelle
Gesellschaft
geschildert,
wird
in
Homogenität
Gedächtnis
als
der
der
monolithische
jede
Normwidrigkeit
türkischen
hinzu:
Einheit
direkt
Gesellschaft
Eindeutigkeit,
von
Normen
ins
passt
Kontinuität,
Auge
besser
und
Werten
springt.
im
Die
kollektiven
Tradition
usw.
sind
Komponenten die die Einfühlung fördern, so dass das deutsche Publikum
den Ursprung des deutsch-türkischen Verhältnisses besser verstehen kann.
Der
Lebenslauf
von
Gül
ist
sehr
charakteristisch
für
die
Beständigkeit des patriarchalischen Systems. Es wird von Anfang an schon
deutlich, dass Gül die traditionelle Mutterrolle übernehmen wird. Meiner
Meinung nach ist Gül auch deswegen der Liebling ihres Vaters: sie ist
bereit, ihr eigenes Leben für die Familie zu opfern. Sie ist das Prototyp der
sorgsamen, schlichten Frau, die mit ihrem Schicksal zufrieden ist und die
sich den Umständen ziemlich passiv anpasst, ohne sich zu fragen, ob es
überhaupt noch andere Möglichkeiten im Leben gäbe. Man könnte sie
flexibel nennen, aber dann ist diese Flexibilität nicht sosehr als aktive
Anpassungsfähigkeit zu verstehen, wie es in der Karawanserei der Fall war.
Gül ist überhaupt nicht kritisch, sie tut nur so, was von ihr erwartet wird. So
wird allmählich deutlich, dass Gül sich nur konformiert, während die IchErzählerin
in
der
Karawanserei
durch
ihre
Anpassungsfähigkeit
eine
weitgehende Emanzipation erreicht. Gül wird denn auch letztendlich ins
patriarchalische
System
eingereiht:
ihre
Schwiegermutter
Berrin
bekommt
die Macht über sie, bis sie mit ihrem Mann Fuat nach Deutschland zieht, um
nie wieder in die Türkei zurückzukehren. Im Gegensatz zur Hauptfigur in
der Karawanserei stellt sich aber heraus, dass Gül und Fuat, wie manche
Gastarbeiter
in
Deutschland,
nur
schnell
Geld
verdienen
wollten
und
schließlich in Deutschland geblieben sind, weil ihre Kinder da ein Leben
aufgebaut hatten. Es gibt eine Art missbilligenden Hauptton, dadurch dass
der Erzähler verstehen lässt, dass es nie der Wunsch von Gül war, aus der
Türkei auszureisen. Vielmehr scheint er uns zu sagen, dass die Männer ihre
Frauen
aus
den
geschlossenen
Familienkreis
gezogen
haben,
um
des
Kapitalismus willen. Es wird hier stark verallgemeinernd über die Zukunft
27
von Gül und Fuat in Deutschland geschrieben, mit einem ganz sachlichen
und nüchternen Schreibstil. Man könnte aus dem unten zitierten Absatz
konkludieren, dass die Entwicklung für die meisten Gastarbeiter ähnlich
ausgesehen haben wird.
Es soll nur für ein Jahr sein, ein weiteres Jahr, in dem sie zu zweit Geld verdienen
wollen. Die Ersparnisse würden noch nicht reichen, hat Fuat gesagt, als er im
Sommer da war. Sie werden sehr lange nicht reichen, jahrelang, und wenn er
schließlich ein eigenes Haus hat bauen lassen, eins mit europäischen Toiletten, mit
Wannenbad und Heizung, mitten in der Stadt, in der er aufgewachsen ist, werden
sie fast vergessen haben, daß sie zurückkehren wollten in die Türkei. Längst werden
sie ihre Töchter nachgeholt haben, die in Deutschland aufwachsen, dort zur Schule
gehen, heiraten und Kinder kriegen werden. Sie werden ihre Rückkehr immer
wieder so lange in eine unbestimmte Zukunft verschoben haben, bis sie selbst nicht
mehr daran glauben, bis sie sich schließlich eingestehen, daß sie wahrscheinlich für
immer in Deutschland bleiben werden, bei ihren Kindern und Enkeln. 64
Die unbewogene, fast unpersönliche Beschreibung des Handels und
Wandels von Fuat und Gül könnte man auf die spezifische Lage von
türkischen
Einwanderer
erweitern:
alle
haben
einst
in
die
Heimat
zurückkehren wollen, aber viele sind in Deutschland geblieben, weil sie und
ihre Kinder sich da inzwischen an die Fremde gewöhnt haben. Es scheint
jedoch mehr eine zwangsläufige Dynamik zu sein, als eine ganz freiwillige
Entscheidung. Die passive Anpassungsfähigkeit von Gül, über die ich schon
geredet habe, passt ja gut zu dieser zwangsläufigen Situation: es ist ihr alles
nur so passiert, ohne dass sie es wirklich so wollte.
Der Erzähler ist weiterhin – wie ich oben schon erwähnte - sehr
sparsam mit Kommentaren: wir bekommen welchen fast nur durch Güls
Gedanken mit. Sie tadelt zum Beispiel oft ihre Stiefmutter und wird sogar
ihre Großmutter böse, aber trotzdem bekommen wir als Leser nicht oft das
Gefühl, dass sie ein Mensch von Fleisch und Blut ist, weil ihre Handlungen
vor allem eine Art Evozierung von Tugenden und Verantwortlichkeit sind.
Der Erzähler hat vor allem betont, wie sie unter allen Umständen ihr
sauberes,
beruhigendes
Wesen
bewahrt
hat.
Sie
ist
eigentlich
genauso
balanciert wie der Schmied, und das mutet vielleicht ein Bißchen unwirklich
an. Auch wenn ihre Mutter stirbt, denkt sie nicht gleich an sich selbst,
sondern an den Vater: sie antizipiert die gewaltige Reaktion ihres Vaters und
versucht, sein impulsives Handeln zu dämpfen:
64
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 303.
28
Gül lief ganz schnell in die Küche, nahm einen Löffel und lief dann zurück
Zimmer, im Vorbeilaufen hörte sie, wie ihre Tante weinte. Sie gab ihrem Vater
Löffel, und im gleichen Moment hörte sie den Türklopfer. Gül sagte: - Mama ist
Einen winzigen Moment verharrte Timur regungslos, dann schleuderte er
Löffel, den er in der Hand hielt, mit voller Wucht gegen die Wand. Es bröckelte
wenig Putz ab. 65
ins
den
tot.
den
ein
Das ist eine unheimlich verantwortliche, ausgewogene Reaktion auf
die herzzerreißende Nachricht, dass ihre Mutter gestorben ist. Hier wollte
der Erzähler dem Leser also klar machen, dass die Beziehung zwischen
Vater und Tochter auf Komplementarität beruht. Die Tochter des Schmieds
ist, wie ihre Mutter Fatma, eine Ergänzung für den männlichen, manchmal
impulsiven
Charakter
des
Schmieds.
Das
altruistische
Benehmen
des
Mädchens ist übrigens grenzenlos, es beschränkt sich nicht auf den Vater:
nie macht sie etwas für sich selbst, ihre Handlungen stehen immer im
Zeichen ihrer Familie. So übernimmt sie also nach dem Tod ihrer Mutter
gleich die Mutterrolle, als ob es ganz selbstverständlich sei.
Menschen laufen hin und her, Gül weiß nicht, wo Melike und Sibel sind, sie sieht
Tante Hülya und Onkel Yücel, sie sieht Nachbarn und auch Menschen, die sie noch
nie vorher gesehen hat. Sie hat aufgehört zu weinen und denkt: Ich muß ein großes
Mädchen sein, ich muß auf Melike und Sibel achtgeben. 66
Die
Erzählinstanz
hat
sich
außerdem
sehr
darum
bemüht,
die
Kontraste mit den jüngeren Schwestern von Gül zu betonen. Sie ist als
Hauptfigur sehr positiv beschrieben worden und ist als älteste Tochter
gewiss
auch
die
meist
Verantwortungsvolle.
Im
Gegensatz
zum
nicht
vorhersagbaren Charakter ihrer Schwester, reagiert sie immer konsequent
und schwindet ihre Verantwortlichkeit niemals. Auch wenn die Töchter
zusammen in der Schmiede sitzen, sind die Unterschiede ganz deutlich:
Melike ist sehr opportunistisch und sogar verschwenderisch, im Gegensatz
zu Gül:
[…] und manchmal kommt genau in diesem Moment Melike reingestürmt, als hätte
sie von einem Versteck aus zugesehen und gewartet, bis es Essen gibt. Sobald sie
satt ist, verschwindet Melike wieder und Gül betätigt den Blasebalg, wofür ihr
Vater ihr manchmal ein paar Kuruş gibt. Nachdem der erste Schnee gefallen ist,
verbringt auch Melike ihre Mittagspausen in der Schmiede, müht sich sogar mit
dem Blasebalg, um ebenfalls einige Kuruş zu bekommen, mit denen sie sofort beim
Krämer Süßigkeiten oder Knabberzeug kauft. Weil Gül ihr Geld in einem Versteck
aufbewahrt, anstatt es auszugeben, wird sie oft von Melike angebettelt […]. 67
65
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 57.
Ibid., S. 59.
67
Ibid., S. 84.
66
29
Gül ist also tatsächlich in allem ein Muster der Tugend; ihre
Schwestern hingegen sind mehr egoistisch und rechnen weniger mit anderen
Leuten. Der Erzähler schildert das Verhalten von Gül so idealistisch und
kontrastiv, weil er meiner Meinung nach vor allem die ganz besonderen
Qualitäten der Lieblingstochter unterstreichen will. Es muss dem Leser
deutlich werden, weshalb sie und ihr Vater so eine enge Beziehung haben
und wieso das Buch die Tochter des Schmieds heißt und nicht die Töchter
des Schmieds. Die extrem positive Aufwertung von Gül enthält jedoch auch
eine Falle: es ist, als ob der Erzähler tatsächlich sein Werturteil über das
passive Benehmen von Gül ausgesprochen hat. Der Leser bekommt das
Gefühl, dass der anspruchslose Lebensstil von Gül in der Türkei noch immer
mehr Respekt abzwingen wird, als eine relativ emanzipierte Haltung von
Frauen. Die Lieblingstochter des Schmieds ist ja zugleich auch die meist
folgsame, die meist sittliche. Der Erzähler beschreibt ganz nüchtern, ganz
sachlich, wie Gül ihr unglückliches Schicksal erleiden muss. Nur die letzten
zwei Seiten der Erzählung springen ganz direkt ins Auge, weil sie zum
ersten Mal undoppeldeutig angeben, wie Gül nach dem Ende ihres Lebens
verlangt. Vorher ist sie eben nicht dazu im Stande, jemandem die Faust zu
zeigen. Auch wenn Gül eine unglückliche Ehe führt, wird fast nie darüber
gesprochen, wie schwer das alles für Gül gewesen sein muss. Sie selbst
redet fast nie darüber, weil sie nicht so egoistisch sein will.
Gül erzählt nicht viel an diesen zwei, drei Tagen auf der Truhe, sie erwähnt, daß
Fuat nicht mehr spielt, sie erzählt, wie Ceyda gezahnt hat, wie sie Durchfall hatte,
sie erzählt, wie sie selbst in den Brunnen gefallen ist. Doch sie behält für sich, wie
schwer ihr das Leben mit Fuat fällt, auch wenn sie ihn lieben möchte. Wie laut er
werden kann, wenn er getrunken hat, und wie er eingeschlafen ist, als sie gerade
erzählte, wie sie sich mit seiner Mutter gestritten hat, wie sie das Gefühl nicht los
wird, daß er ihr auch sonst nicht zuhört. Sie behält ihre Sorgen für sich, ihre
Schwestern haben eigene, und die sind ihnen bestimmt genug. 68
Der
große
Gegensatz
zu
den
unverholenen
Gedanken
von
der
Frauengemeinde in der Karawanserei ist bemerkenswert. Da wird in dem
privaten Bereich ganz offen über die Familie und ins Besondere über die
Männer geredet.
“Wie geht es dir?” “Mir geht es gut.” “Wie geht es deinem Mann?” “Gut, er bringt
jeden Tag seinen unheiligen Schwanz auf den Straßen spazieren.” “Wie geht es
deiner Tochter?” “Gut, sie spaziert, mit ihrem Busen wackelnd.” […] “Wie geht es
deiner anderen Tochter?” “Gut, sie kriegt unten viele Haare. Meiner Tochter habe
68
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 272.
30
ich gesagt, laß uns diese Haare abziehen, das ist Sünde, […]. “Wenn sie sich in der
Hochzeitsnacht so ihrem Mann zeigt, wird er sagen, ich hab Makarios Bart
geheiratet.” 69
Die
Figuren
in
der
Karawanserei
reden
also
ohne
Scham
über
das
Alltagsleben und die viele kleine Details des privaten Lebens. Körperlichkeit
und
intime
Gefühle
werden
von
den
Frauen
mit
einer
Art
Grobheit
besprochen. Der auktoriale Erzähler in der Tochter des Schmieds redet
dagegen ganz nüchtern und schüchtern: der Absatz oben zeugt von der
Bescheidenheit und dem Altruismus von Gül. Ihr introvertierter Charakter
ist vielleicht bewundernswert, denn sie wollte doch ihre Schwester nicht
beunruhigen, aber trotzdem finde ich, dass ihre Schweigsamkeit gerade in
diesem kleinen Familienkreis unwirklich anmutet. Weil der Erzähler auf die
fundamentale Einsamkeit von Gül anspielen will, verbricht er mit Absicht
das Bündnis zwischen den Schwestern. Gül schämt sich auf einmal vor ihren
Schwestern und sie hört deswegen lieber zu, als das sie ihnen alles übers
eigene Leben erzählen wollte. Der Erzähler lässt auch hier nicht nach, um
sozusagen in einem Atemzug auch die Charme von Gül zu erwähnen: sie
selbst schweigt lieber, aber es wird ihr nie zu viel sein, um anderen
zuzuhören. “Und sie wird sich daran gewöhnen, daß die Menschen ihr
vertrauen, ohne daß sie je verstehen wird, warum das so ist.” 70, so erwähnt
die Erzählinstanz. Die Leser sollten andermal davon überzeugt werden, dass
Gül sehr altruistisch ist; außerdem denke ich, dass in diesem Absatz die
‘passive Flexibilität’ von Gül angedeutet wird. Mit anderen Worten, es wird
hier noch einmal angespielt auf den bescheidenen, demütigen Charakter von
der Hauptfigur, auf ihre Biegsamkeit und ihre Fähigkeit, sich unter allen
Umständen so gut wie möglich zu benehmen. Trotzdem bekam ich immer
mehr das Gefühl, dass ihrem schlichten Charakter eine Art Idealisierung von
alten Tugenden und zugleich auch eine Heroisierung von türkischen Frauen
im unfreien System des traditionellen Patriarchats zu Grunde liegt. Frauen
sind in diesem System eine wesentliche Ergänzung zu ihren ernährenden
Männern; das Eheleben ist schwer für sie, aber sie fügen sich großherzig in
ihr Schicksal, weil Komplementarität für sie am wichtigsten ist.
69
70
Özdamar: Karawanserei. S. 163.
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 278.
31
Der Charakter von Fuat ist aber nicht nur der Beweis für eine Art
Komplementarität mit Gül, sondern ist ebenso eine Bestätigung des noblen
Charakters des Schmiedes. Fuat wird besonders negativ geschildert, so dass
man schon glauben muss, dass der Schmied wirklich eine Ausnahme ist,
weil er für seine Frauen so ein guter Gatte war. Außerdem vermeidet die
Erzählinstanz auf sturrische Art und Weise, zu beschreiben, weshalb Fuat
sich so und so benimmt. Eben weil Fuat so eine statische Gestalt bleibt,
können wir sein Benehmen nicht leicht begründen. Deshalb scheint es so, als
ob Fuat ein sehr egoistischer, materialistischer und sogar bedauernswerter
Mann ist. Gerade das Umgekehrte des Schmieds, mit anderen Worten. Fuat
repräsentiert ja das ziemlich stereotypisierte Prototyp der neuen, jungen
Generation, die in den fünfziger und sechziger Jahren nach Deutschland
gezogen ist. Er ist ein Mann, der weiß, was es alles an Geld und Reichtum in
der Welt gibt. Er kann es aber selbst nicht genießen und das frustriert.
Deswegen würde er sich später auch entscheiden, nach Deutschland zu
ziehen. Es ist, als ob der Erzähler hätte sagen wollen: sehen sie mal,
diejenigen, die später nach Deutschland gezogen sind, waren nur vom
materialistischen Westen geblendet worden. Sie wollten doch nur von der
allgemeinen
Verbesserung
der
Lebensumstände
mitprofitieren.
Zugleich
aber wird Fuat weniger sympathisch als der Schmied dargestellt: Fuat will
nicht “schwitzen für sein Geld” 71, er kennt nicht die richtige Balance
zwischen Geld Verdienen und Geld Spenden, sowie der Schmied.
Meiner Meinung nach gibt es in der Tochter des Schmieds keinen
glaubwürdigen Erzähler, weil er manches selektiv verschweigt und manches
überbetont. Ich habe in diesem Kapittel zeigen wollen, dass der Charakter
von
Gül
und
Timur
gewissermaßen
aufgebessert
wurde,
während
die
Stiefmutter Arzu, die Großmutter Zeliha, die Schwiegermutter Berrin und
Güls
Mann
überwiegend
negativ
beschrieben
wurden.
Der
saubere
Charakter von Gül und ihrem Vater sind jeweils exemplarisch vorgeführt
worden. Sie kennen noch die alten Tugenden; sie können noch schlicht leben
und sind vor allem altruistisch. Die anderen Figuren weisen egoistische
Charakterzüge auf, ohne dass es andere, positive Merkmale gibt, die zu
71
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 89.
32
einem
Gleichgewicht
Pflichtverletzung
usw.:
führen
das
könnten:
sind
Geldgier,
alles
Ehrgeiz,
Merkmale,
die
Verschwendung,
wir
bei
den
Nebenfiguren bemerken konnten. Nur Gül und Timur haben ein ideales
Gleichgewicht erreicht, daher bin ich der Meinung, dass es sich hier doch
um eine gewisse Stereotypisierung von traditionellen Typen aus der alten
türkischen Gesellschaft handelt. Die von klein auf verantwortliche Hausfrau
und der stolze Schmied verkörpern so das traditionelle Alltagsleben, in dem
die familiäre Geborgenheit am wichtigsten war und in dem die Gesellschaft
noch nicht vom hemmungslosen Kapitalismus korrumpiert wurde.
5. Die
Raumdarstellung
in
der
Karawanserei:
das
Fremde
als
Zuhause
In der gender-orientierten Erzähltextanalyse von Nünning und Nünning wird
vor allem betont, dass die Komponenten einer literarischen Struktur in
hohem
Maße
geschlechtsspezifisch
sind.
Das
gilt
also
auch
für
die
Raumdarstellung, denn, so behauptet Natascha Würzbach in der genderorientierten Erzähltextanalyse:
Die narrative Raumdarstellung bietet sich für geschlechterrelevante Implikationen und Aussagen
nicht zuletzt deshalb an, weil Raum als kulturelles Phänomen zum einen vielfältigen
Semantisierungen unterworfen ist, zum anderen aber auch mimetisch auf die soziale Realität
verweisen kann. […] Dabei sind es auch die verschiedenen Arten der Wahrnehmung,
Beschreibung und Beurteilung von Räumen im Erzähltext, die geschlechterrelevante
Orientierungen und Konnotationen zeigen. 72 [Hervorhebung im Text]
Die Raumdarstellung in der Karawanserei ist auch zweierlei Art: sie ist
zum Teil mimetisch aufgebaut, erhält aber Konnotationen. Das Verknüpfen
von realem Objekt und Konnotation sehen wir vor allem in der Metaphorik,
die
mit
einer
Karawanserei
verbunden
ist:
die
Karawanserei
ist
ein
ottomanisches Gebäude, eine zeitliche Ruhestätte für die Handelskarawanen.
Wenn das Leben wie eine Karawanserei ist, so ist es eine zeitliche
Ruhestätte, an der man sich miteinander treffen kann, an der man eine Art
gebrechliche lingua franca gebraucht um sich zu verständigen, an der man
72
Natascha Würzbach: “Raumdarstellung.” In: Erzähltextanalyse und Gender Studies. Hrsg.von Vera
und Ansgar Nünning. Stuttgart: Metzler 2004 (= Serie Sammlung Metzler, Bd. 344) S. 49-71, hier S.
49.
33
sich in der Fremde kürzere Zeit zu Hause fühlen kann. Es ist jedoch wichtig,
dass Raum und Zeit in der Karawanserei implizit miteinander verbunden
sind: sobald der herumziehende Kaufmann sich in der Umgebung der
Karawanserei auskennt, muss er wieder abhauen. “Die Hunde bellen, aber
die Karawane geht ihren Weg” 73, behauptet Mustafa. Die Handelskarawane
führt dann weiter von Geschäft zu Geschäft; an jedem Ort gewinnt man
etwas dazu und lässt man einige Sachen hinterher. Jene kaufmännische
‘Tauschmentalität’
oder
vielleicht
auch
‘Zigeunermentalität’
ist
kennzeichnend für die Hauptfigur. An jedem Ort hat sie ein Stück von ihrer
Naivität hinterlassen, während sie immer auch etwas Wertvolles zu ihrem
‘Gepäck’ hinzugefügt hat. Außerdem lebt sie auch wie die Zigeuner am
Rande der Gesellschaft und betrachtet sie die bürgerliche Welt von der
Außenseite
wie
einen
engen,
seelenlosen
Platz.
Die
territoriale
Gebundenheit ist für die meisten Leute eine Art Sicherheit, es verschafft
ihnen die (kollektive) Identität. Die Erzählerin schöpft ihre Identität jedoch
aus der Marginalität und Ungebundenheit: sie ist wie ein orientalischer
Ahasverus, ein ewiger Wanderer. Das ewige Wandern, die Heimatlosigkeit
bedeutet für manche Leute eine Bedrohung des Eigenen, aber für die IchErzählerin hat es eben zur Unabhängigkeit und Emanzipation geführt. Ihre
persönliche Handelskarawane hat immer ihren eigen Weg gegangen und hat
der Ich-Erzählerin Gewinn eingebracht. Die Faszination fürs Fremde führt ja
zur Emanzipation. Das hat Özdamar in der Karawanserei thematisieren
wollen: die Ich-Erzählerin brauchte dieses ewige Herumziehen, um ihre
eigene Identität zu entdecken und entwickeln. Wer kein festes Ort zum
Wohnen hat, kennt eine Art Freiheit, die anderen Leuten nur Schreck
einjagt.
Die
Eltern
der
Ich-Figur
haben
auch
eine
Art
Nomadenleben
geführt, sie sind immer von einem Ort zum anderen gezogen, bis die
Erzählerin diesen Lebensstil ausendlich ganz und gar verkörpert hat.
Das Leben der – noch ungeborenen – Ich-Erzählerin fängt auch
damit an, dass sie und ihre Mutter unterwegs sind. Für die Soldaten und die
Ich-Erzählerin
Mutterschoß
73
steht
(“Man
der
holte
Zug
sie
Symbol
mit
für
dem
eine
Entfremdung
‘Schwarzen
Zug’
aus
aus
dem
ihren
Özdamar: Karawanserei. S. 157.
34
Mutterschößen” 74).
Karawane,
die
Er
zu
ist
für
einer
die
Soldaten
unbestimmten
und
die
Erzählerin
Karawanserei
führt,
eine
in
der
verschiedene Völker einander nicht nur begegnen, sondern auch bekämpfen:
der
männliche
Kriegsschauplatz
ist
eine
Abspiegelung
der
männlich
orientierten Welt, in der die Soldaten und die Erzählerin nach dem Losreißen
von
den
Mutterschößen
deshalb
auch
wie
letztendlich
ein
ankommen
Kriegsschauplatz,
werden.
ein
Kampf
Das
um
Leben
Macht,
ist
um
Territorium, um Leben und Tod. Die Ich-Erzählerin teilt das Schicksal der
Soldaten, weil sie selbst für ihr Leben kämpfen muss: als Baby scheint sie
am Anfang nicht lebensfähig zu sein und muss sie die Mutter durch lautes
Weinen vom Gegenteil überzeugen.
Die Ich-Erzählerin wird von ihrer Mutter gleich nach ihrer Geburt in
ein
frisch
gegrabenes
Grab
gelegt,
und
von
der
Großmutter
wieder
herausgeholt. Der Friedhof ist für die Großmutter und die Ich-Erzählerin
auch eine Art Karawanserei, in der man zwischen dem Jenseits und dem
Diesseits den Toten begegnen kann. Außerdem gibt es diese Friedhöfe
überall,
in
der
Stadt
und
in
dem
Dorf:
hier
verschwindet
also
der
Unterschied zwischen Zivilisation und Chaos, hier kommt die Zeit zum
Stillstand. Ein Friedhof ist ein Ort des Glaubens, des Aberglaubens, des
Kontaktes
mit
‘alten
Bekannten’
und
des
Bewusstseins
der
eigenen
Lebensgeschichte. Die Zahl der Toten wächst mit dem Alter heran: je älter
man wird, umso größer wird der Anteil der Toten im Leben. Die Weisheit
der
Großmutter
ist
zum
Teil
aus
dem
Bewusstsein
der
zeitlichen
Begrenztheit allen Lebens entstanden. Die Ich-Erzählerin kommt auf dem
Friedhof zum ersten Mal mit dem Arabischen und der Gestik und Mimik der
betenden Frau in Kontakt. In einer kindlich-naiven Weise imitiert sie die
Gebärden der Großmutter und interpretiert die klagenden Worte je nach dem
Rhythmus, obgleich sie diese Wörter nicht versteht.
“Bismillâhirrahmanirrahim
Elhamdü
lillâhirabbil
âlemin.
Errahmanirrahim,
Mâlüki yevmiddin.[…].” Als die Buchstaben aus dem Mund meiner Großmutter im
Himmel des Friedhofs eine schöne Stimme und ein schönes Bild wurden, pustete
meine Großmutter sie mit ihrem Atem nach links und rechts. “Die Toten brauchen
es”. Ich sah die Buchstaben, manche sahen aus wie Vogel, manche wie ein Herz, an
dem ein Pfeil steckt, manche wie eine Karawane, manche wie schlafende Tiere,
74
Özdamar: Karawanserei. S. 9-10.
35
manche wie ein Fluss, manche wie im Wind auseinanderfliegende Bäume, manche
wie laufende Schlangen, manche wie unter Regen und Wind frierende Bäume. 75
Der
“enge
Wechselbezug
zwischen
Raumerfahrung
und
Identitätskonstitution” 76, über den Natascha Würzbach in der Analyse der
Raumdarstellung redet, kommt hier nach vorne. Die junge Ich-Erzählerin
identifiziert sich mit der Großmutter und zugleich auch mit den alten,
traditionellen Bräuchen ihrer Voreltern. Die Emanzipation liegt darin, dass
die ‘Friedhoferfahrung’, die Begegnung mit den Toten, bald von der IchErzählerin verinnerlicht wird und zur Kenntnis über die Welt beiträgt. Jedes
Mal kommen neue Toten dazu, die mit dem Leben im Alltag verwoben
gewesen sind und bleiben. Indem sie der Toten gedenkt, wird das junge
Mädchen
(sowie
die
Großmutter)
sich
der
Schwierigkeiten
und
der
Vergänglichkeit des Lebens bewusst. Die Aufzählung von Toten mutet
zugleich kindlich-naiv und überlegt an: es ist Teil einer religiösen Tradition
von Totenehrung, funktioniert jedoch auch als ein kindliches, pragmatisches
und abergläubisches Ritual, um vielleicht ins Paradies zu kommen. Die
egoistische Motivierung wird sogar noch deutlicher, weil sie während des
Aufzählens
letztendlich
friedlich
einschläft,
so
dass
die
Totenehrung
vielmehr als ein Spiel des “Schäfchen zählens” betrachtet werden kann:
[…] für den hundertachtzehnten toten Sodaten, für den hundertneunzehnten toten
Soldaten,
für
den
hundertzwanzigsten
toten
Soldaten,
für
den
hunderteinundzwanzigsten toten Soldaten, für den hundertzweiundzwanzigsten
toten Soldaten, für den hundertdreiundzwanzigsten toten Soldaten. Als ich am
morgen wach wurde, wußte ich nicht mehr, beim wievielten toten Soldaten ich
geblieben war. 77
Ihr
Ziel,
aufzuzählen,
ist
nämlich
alle vier
selbstverständlich
Millionen
ein
Beweis
Soldaten
dafür,
in
dass
einem
Gebet
das
junge
Mädchen noch nicht sosehr mit dem abstrakten Konzept der Totenehrung
vertraut ist; es ist für sie sogar unmöglich, den Tod als etwas Allgemeines zu
betrachten. Sie muss alle einzelnen Toten benennen und ist daher nicht
wirklich dazu im Stande, das Gebet als kontemplativ-meditative Handlung
an sich zu betrachten. Trotzdem ist das Gebet ihre Art und Weise, über den
Alltag nachzudenken, in dem Tod und Leben untrennbar scheinen. Sie
ordnet die Eindrücke des Alltags in einer Auflistung; die Reihenfolge
75
Özdamar: Karawanserei. S. 18.
Würzbach: “Raumdarstellung.” S. 55.
77
Özdamar: Karawanserei. S. 202.
76
36
widerspiegelt
ihre
eigene
Erfahrung
und
markiert
die
wichtigsten
Begegnungen. Ihre Gedanken sind in dem Sinne wie eine mentale, innere
Karawanserei gestaltet, in der man Leuten begegnet, fremde Sprachen
(Arabisch)
redet
und
nachäfft
und
eine
zeitliche
Ruhestätte
in
dem
chaotischen Leben des Alltags finden kann.
Die Karawanserei ist auch ein mimetischer, geographischer Raum.
Das Herumreisen der Hauptfigur und der Familie führt jeweils zu einer
neuen (zeitlichen) Ruhestätte: Malatya in Anatolien, der Großstadt Istanbul,
der
Kleinstadt
Yenisehir
(in
der
“religiösen
Straße”
und
in
der
“Bürokratenstraße”) und Bursa. Der geographische Raum ist jeweils mit
soziokulturellen,
ideologischen
und
emotionellen
Konnotationen
verknüpft.
Der Gegensatz zwischen der Großstadt und dem Land (oder der Kleinstadt)
impliziert ja manches für die Freiheit und Gebundenheit der Frau. Die
positiven
und
negativen
außerdem
von
den
Merkmale
drei
der
Generationen
Stadt
(Kind,
und
des
Mutter,
Landes
werden
Großmutter)
ganz
unterschiedlich bewertet. Die Stadt ist für die junge Hauptfigur ein Ort, an
dem materieller Luxus vorhanden ist.
Der Regen hörte auf, Mustafa kam und gab mir eine Lira. Ich konnte in Istanbul mit
einer Lira viermal ins Kino gehen und 36 Filme sehen. In unserer religiösen Straße
gab es keine Elektrizität, gab es kein Kino. Ich schluckte die eine Lira, so wollte
ich, wenn eines Tages Elektrizität da ist, die Lira rausspucken und ins Kino gehen. 78
Die spezifische Namensgebung der “religiösen Straße” deutet schon
darauf hin, dass die Religion in Istanbul nicht mehr ‘sichtbar’ ist, im
Gegensatz zur konkret greifbaren Religion in Yenisehir. Religiöse Namen
und sonstige religiösen Symbolen sind eher Ausnahmen; deshalb wird hier
über
religiöse βe’
Strageredet
‘die
und über
nicht mehrere
relig
iösen
Straβen. Das Kopftuch ist eine Art Parameter, der die Religiosität einer
Gemeinde widerspiegelt. Das Tragen eines Kopftuches ist hier jedoch nicht
nur
als
religiöses
Symbol
mit
identifizierender
Funktion
gemeint:
als
Mitglied der Gemeinde ist man der sozialen Kontrolle der Umgebung
unterworfen.
In
inkludierend,
sie
Kopftuch
78
tragen,
einer
religiösen
Gruppe
sind
Symbole
halten
jene
Gruppe
zusammen.
als
Zeichen
der
bereitwilligen
Man
dann
auch
oft
kann
also
das
in
eine
Integration
Özdamar: Karawanserei. S. 81.
37
geschlossene Gemeinschaft. So bemerkt die Ich-Erzählerin, dass ihre Mutter
in der religiösen Straβe plötzlich ein Kopftuch trägt. Die Mutter steht
zwischen der Generation ihres Kindes, das wahrscheinlich in Zukunft kein
Kopftuch mehr tragen wird, und der Generation der Großmutter:
Meine Mutter Fatma hatte jetzt kein Kopftuch. “Wo ist das Kopftuch, Mutter?” Sie
sagte, das Kopftuch werde sie nur für fremde Leute tragen. Ich hatte sie bis heute
noch nicht mit Kopftuch gesehen. Nur meine Groβmutter trug zwei Kopftücher
übereinander. “Warum trägst du für die Leute Kopftuch, Mutter?” Fatma sagte:
“Hier ist eine religiöse Straße, man muss die Menschen nicht stören.” Wenn Vater
unsere Villa fertig gebaut hat, braucht sie dort kein Kopftuch tragen, weil dort nur
die Memurs (Bürokraten) wohnen werden. 79
Das Kopftuch ist Teil einer Tradition geworden und hat mit dem
ursprünglichen Glauben noch wenig zu tun. Özdamar hat mit der ‘religiösen
Straße’ anzeigen wollen, dass es sogar in der einen oder anderen Straße ganz
unterschiedliche Regeln in Bezug auf das Tragen des Kopftuches geben
kann. So macht sie deutlich, dass dieses Symbol der Religion ebenso arbiträr
wie andere kulturelle Symbole in unserer sozialen Umgebung ist. Das
Beispiel der Großmutter ist der Beweis eines temporalen Bestimmtseins von
Symbolen: das Kopftuch wurde von den älteren Generationen als Symbol
der Ehre betrachtet, während es die jüngeren Generationen (vor allem in den
Städten)
als
Kopftuches
Symbol
wurde
der
ja
Ungleichheit
nicht
vom
betrachten.
Profeten
Das
Mohammed
Tragen
eines
auferlegt:
seine
Ehefrauen wurden nur geschleiert, damit man sie von seinen Geliebten
unterscheiden könne. Später wurde der Schleier dann als Symbol für die
Ehre verwendet. Die Erkenntnis, dass Symbole vor allem historisch und
kulturell bedingt und in dem Sinne auch oft Zeichen der Macht sind, hat
dafür gesorgt, dass man das Kopftuch nicht als dem Islam ohnehin inhärent
betrachtete.
vielmehr
Das
Mädchen
von
realisiert
Tradition,
sich
sehr
früh,
Aberglauben
und
dass
die
Religion
soziokulturellen
Machtverhältnissen bestimmt ist.
Der Unterschied
zwischen
dem
modernen
und
dem
traditionellen
Glauben und der damit zusammenhängenden Position der Frauen, ist also in
den geographischen Räumen sichtbar: die Diskrepanz zwischen der Stadt
und dem Lande hängt mit den Reformen von Atatürk im Interbellum
zusammen.
79
Atatürk
hat
die
Position
der
Frauen
wesentlich
verbessern
Özdamar: Karawanserei. S. 66.
38
wollen, indem er die Rechte der Frauen mit neuen Gesetzen erweiterte. Aus
heutiger Sicht hat man sich jedoch realisiert, dass diese Reformen nur
teilweise den gewünschten Effekt erreicht haben. Nermin Abadan-Unat hat
in seinem Beitrag über die gesetzlichen und edukativen Reformen Folgendes
behauptet:
It would be a mistake, however, to think that state authority and elitist legislation
have been able to transform all strata of society. On the contrary, progressive
legislation has led to sharp polarizations between traditionally oriented
predominantly rural values, and the progressive values adopted in urban areas. 80
Als die junge Ich-Erzählerin die Ferien in Anatolien (einer neuen
Karawanserei) verbringt, spürt sie schon die Kluft zwischen dem modernen
Istanbul
und
dem
traditionellen
Anatolien.
Sie
demaskiert
gleich
die
herrschenden Vorurteile und Klischees. Die Türkei ist in der Außenpolitik
immer
als
modernistischer
Staat
gezeigt
worden,
mit
Istanbul
als
tonangebender Stadt, während man die traditionellen Regionen am liebsten
im Dunklen ließ:
Später, als ich die Negative der Photos sah, erinnerte mich das sehr an diese Zeit, an die
weiße Sonne und die schwarzen Menschen. Also deswegen fragte die Lehrerin in Istanbul, ob
ich einen Schwanz am Arsch habe, weil ich in dieser Stadt [=Malatya] geboren bin. Die
Menschen in Istanbul waren die entwickelten Photos, die man gerne an die Wände hängt, und
die Menschen in Anatolien waren die Negative, die man irgendwo im Staub liegen läßt und
vergißt. 81
Jener Schwanz am Arsch, über den im obenstehenden Zitat die Rede ist, ist
Ausdruck der so genannten Zurückgebliebenheit von Menschen auf dem
Lande. Da ist die Zeit zum Stillstand gekommen,
wichtiger
als
Kultur
und
Individualität.
Religion und Natur sind
Geschleierte
Frauen
sind
in
Anatolien zum Beispiel noch ein wesentlicher Teil des soziokulturellen
Raums. Die Bildersprache der Ich-Erzählerin weist subtil darauf hin:
Diese zwei Monate, in denen ich dort war, waren wie ein einziger sehr sehr langer
Tag, und
er fing mit Morgenröte an.[…] Ich sah in dem Garten den Schleier
der Morgenröte, die Schlangen spazierengehen zwischen den Granatapfelbäumen. 82
Der
Schleier
der
Morgenröte
ist
Zeichen
der
symbolischen
Gestaltung der ganzen geographischen und soziokulturellen Umgebung: die
Natur der Menschen wird hier verschleiert. Später, als die Frauen ins
80
Nermin Abadan-Unat: “Legal and Educational Reforms.” In: Women in Middle Eastern History.
Shifting Boundaries in Sex and Gender. Hrsg. von Nikki R. Keddie und Beth Baron. New Haven,
London: Yale University Press. 1991. S. 177 – 194, hier S. 181-182.
81
Özdamar: Karawanserei. S. 48.
82
Ibid., S. 24.
39
Türkische
Bad
(“ein[en]
Mutterbauch” 83)
gehen,
ziehen
sie
der
Ich-
Erzählerin auch einen Schleier an. Auf der Straße begegnet sie dann
wiederum
zahllosen
anderen
geschleierten
schwarzen
Löchern
gebrochene
schwarze
Frauen,
Geister” 84
die
sie
beschreibt.
als
Erst
“aus
im
‘Mutterbauch’ verschwindet der Schleier, aber nicht die Vorurteile der ganz
geschlossenen Frauengemeinde:
Da kam eine sehr schöne Frau in das Badehaus rein. Das ganze nackte Fleisch von
den anderen Frauen hörte auf, sich zu bewegen, nur ihre Münder machten sich auf,
der Frauenchor flüsterte: “Die Hure ist da.” […] Wir gingen als lange Schlange
hinter dieser Hure her aus dem Badehaus. Sie stieg in eine Kutsche, ohne Schleier,
und der Kutschwagen spritzte Straßenschmutz auf uns Verschleierte, und ich
schwor mir, eines Tages so wie diese Hure zu werden. 85
Diese
Szene
ist
übertrieben
dramatisch
gestaltet
worden:
die
eifersüchtige, hissende, giftige Schlange (die sozusagen wie die Zungen der
Frauen ist) geht hinter der ‘Hure’ aus dem Badehaus, um nur noch die
Kutsche der ungeschleierten Frau abfahren zu sehen und zugleich unter
ihrem Straßenschmutz begraben zu werden. Die Erzählerin verspricht sich
selbst, sich eines Tages auch so zu benehmen wie diese ‘Hure’: die positive
Bewertung des Non-Konformismus spricht für die emanzipierte Haltung der
Erzählerin. Sie bewundert diese schöne, ungeschleierte Frau und distanziert
sich zugleich von den Vorurteilen der geschlossenen Frauengemeinde.
Das
Herumziehen
der
Erzählerin
ist
ein
wesentlicher
Teil
der
Raumdarstellung: jede Grenzüberschreitung, die in die Fremde fuhr, hat eine
Entwicklung der Identität zu Stande gebracht. Es gibt in der Erzählung kein
wirkliches Zuhause, sondern nur Karawansereien, d.h. zeitliche Ruhestätten.
Die Hauptfigur und die Familie verlassen das erste Haus, weil der Vater
Mustafa eine neue Arbeitsstelle in einer Kleinstadt erworben hat. Das Haus,
das sie hinter sich lassen,
wird
mit
einem
Grabstein
verglichen:
ein
materielles Denkmal, das traurig hinter seinen Bewohnern herschaut:
[…] unser schiefes Holzhaus war dunkel. Er [Personalisierung von Haus] stand da
wie ein großer Grabstein und schaute auf uns wie ein Mensch, der hinter dem Sarg
seiner Mutter herschaut. 86
83
Özdamar: Karawanserei. S. 50
Ibid., S. 50
85
Ibid., S. 52
86
Ibid., S. 64.
84
40
Die
kindlich-naive
Haltung
der
Erzählerin
ist
an
der
Zukunft
orientiert: es ist für sie wie eine große Abenteuer. Das Haus schaut ihr
hinterher, und nicht umgekehrt. Diese Perspektive weist darauf hin, dass sie
sich schon von der alten Umgebung verabschiedet hat. Die Großmutter
hängt am Anfang noch an der alten Umgebung, weil die Fremde ihr Angst
einflößt. Die Bindung mit der sozialen Umgebung ist für alte Leute eine
Sicherheit, die sie am liebsten behalten. Junge Leute sind dagegen sehr
anpassungsfähig:
Ich fiel mit Benzingeruch in den Schlaf und wachte in einem anderen Holzhaus in
der Kleinstadt auf. Ich stand sofort auf, ging schnell raus und suchte das Meer. Ich
sah eine im Himmel ertrunkene Gasse. Das Meer war nicht da, drei Mädchen
standen vor mir in meiner Größe. Sofort haben wir angefangen, Seksek zu
spielen. 87
Dieses ‘andere Holzhaus’ ist zwar anders, aber doch erkennbar. Draußen
trifft die Erzählerin sofort einige Mädchen, die die ‘universelle Sprache’ des
Spieles Seksek gleich benutzen, um Kontakt zu suchen. Die Flexibilität des
jungen Mädchens ist laut Regula Müller jedoch auch in der Gestalt der
Großmutter vertreten:
Die Verbindung der Großmutter zu den anderen Frauen ist im Roman von zentraler
Bedeutung: Ihren emotionalen Rückhalt findet sie fast ausschließlich in
angestammten Frauenräumen, in der Familie, in der Nachbarschaft oder im
Frauenbad.
Auch
wenn
sie
ihr
traditionell-religiöses
Leben
weitgehend
aufrechterhält, ist es ihr aufgrund ihrer gefestigten Identität möglich, das Maß an
Flexibilität aufzubringen, das ihr in der ‘modernen’ Gegenwart abverlangt wird.
Ihrer Enkelin folgend, verlässt sie immer öfter bisher angestammte Frauenorte, wie
das Haus oder gar die Gasse, in der die Familie wohnt. 88
Die Großmutter entwickelt sich in der Geschichte: obwohl sie am
Anfang vor allem Angst vor dem ewigen Herumziehen hat, geht sie immer
mehr spazieren, weil das Haus für sie die Bedeutung eines Schutzraumes
verloren hat. Das Überschreiten der Grenze wird von Regula Müller als eine
“imaginäre
Überschreitung
der
Geschlechtergrenze” 89
gekennzeichnet.
Die
Karawanserei ist in dem Sinne auch ein Knotenpunkt zwischen der Männerund Frauenwelt. Das Mädchen fühlt sich zu Hause in der Fremde, d.h. sie
fühlt sich auch in der Männerwelt zu Hause. Die Erzählerin bekommt
Mitleid mit den jungen Frauen, die sich nur in ihrer ‘Frauenwelt’ aufhalten.
87
Özdamar: Karawanserei. S. 65.
Regula Müller: “Türkische Frauengeschichten.” In: Denn du tanzt auf einem Seil. Positionen
deutschsprachiger MigrantInnenliteratur. Hrsg. von Sabine Fischer und Moray McGowan. (= Band 2
Studien zur Inter-und Multikultur) Tübingen: Stauffenburg. 1997. S. 138.
89
Ibid., S. 145.
88
41
In der ‘seelenlosen Gasse’ in Bursa stehen diese Frauen vor ihrem Fenster,
und gucken hinter ihren Männern her, die über die Brücke in eine andere
Welt verschwinden.
Es war nichts da, was ihnen Angst geben könnte. Sie konnten sehen, ihre Hände
bewegten sich, sie waren jung, so jung, noch unreife, von einem Quittenbaum
runtergenommene Quitten, und sie standen da, als ob sie ständig in sich selbst
regneten. Sie trugen öfter Kleider mit Blumenmuster[…]. Aber sie gingen damit
nicht raus auf die Gasse, als ob sie, wenn sie rausgingen, die Blumen verlieren
würden. Ich saß am Fenster und dachte, wenn ein Schiff jetzt kommt und alle diese
Frauen in sich aufnimmt und wegfährt, werden diese Frauen den Kapitän und die
Schiffsarbeiter nicht fragen, wohin. 90
Die seelenlose, stille Gasse mit ihren Steinhäusern steht Symbol für
das moderne Leben: die Frauen haben den Respekt vor der Arbeit des
Mannes verloren, sie sind nicht mehr in ihre Männer verliebt, sie würden die
Ehemänner verlassen, sollte es die Möglichkeit geben. Die geruchlosen,
seelenlosen, lautlosen Häuser dieser Frauen werden von der Ich-Erzählerin
mit
einem
Verlust
der
ursprünglichen
Werte
verknüpft.
Die
Liebe
ist
verschwunden und die Ehre ist an ihre Stelle getreten. Die Ehre und der
Reichtum der Frauen haben die Gemütlichkeit verdrängt, sie tragen das
Leben - wie ihre Röcke - nur mit größter Mühe.
Das Mädchen geht allzu gerne aus der seelenlosen Gasse über die
Brücke: auf der anderen Seite gibt es die Arbeitswelt der Männer, die die
meisten Frauen nur als unbestimmten Punkt an ihrem Horizont kennen.
Nach der Geburt ihrer Schwester “Schwarze Rose” sieht sie ein, dass ihre
Mutter sie nicht mehr zu Hause braucht, sie “schlief [jetzt] mit einem
anderen Mädchen im Bett.” 91 Die Aufmerksamkeit der Mutter geht jetzt an
ihren jüngsten Spross: das emanzipatorische Handeln der Ich-Erzählerin hat
alles damit zu tun, dass sie sich geschätzt fühlen will. Sie ist jetzt nicht mehr
das
einzige,
jüngste
Mädchen
im
Hause,
deshalb
rebelliert
sie,
um
wenigstens die Aufmerksamkeit des Vaters zu bekommen:
Mit der Geburt meiner Schwester Schwarze Rose fingen für mich Vallahi Billahi- Tage an.
Ich kam abends nach meinem Vater vom Bach nach Hause, und er fragte mich immer, ob ich
ein Junge wäre, ich sagte: “Vallahi Billahi[Bei Gott und Fürwahr], ich bin kein Junge.” 92
90
Özdamar: Karawanserei. S. 119.
Ibid., S. 141.
92
Ibid., S. 146
91
42
Die Großmutter geht bald auch spazieren und wartet auf das Mädchen beim
Brunnen. Sie erzählt ihr immer über die neuen Toten, denen sie auf ihrem
Wege begegnet ist, und das Mädchen erzählt ihr, was alles am Bach passiert
ist: es ist wie ein geheimes Bündnis, das sie geschlossen haben. Außerdem
verschaffen sie einander ein Alibi, um Mustafa zu beruhigen:
Vater fragte mich: “wo warst du?” Ich sagte: “Vallahi, Billahi, ich war mit meiner
Großmutter zusammen.” Vater fragte Großmutter: “Wo seid ihr so lange geblieben, Mutter?”
Großmutter sagte: “Wir sind zum Atatürk gegangen.” 93
Die burschenhafte Mentalität der Ich-Erzählerin wird wiederum von der
Großmutter kopiert: sie erscheint als moderne “Flaneuse” 94 am Schauplatz
des
Alltagslebens.
Flaneuse
noch
Würzbach
mal
im
hat
die
feministische
Bezeichnung
Kontext
der
narratologischen
einer
Raumdarstellung
benutzt:
Den zivilisatorischen Gegenpol zur freien Natur bildet die Stadt und insbesondere
die Groβstadt, ein Phänomen des 20. Jahrhunderts. Auch zu diesem
gesellschaftlichen Raum war der Frau ohne männliche Begleitung der Zugang
zunächst verwehrt (Nord 1991). So wird das Hinausgehen in die Straβen und der
Besuch ihrer öffentlichen Gebäude zu einem emanzipatorischen Akt […] Der
männlichen Figur des Flaneurs wird die weibliche der Flaneuse zugeordnet […]. 95
Regula
Müller
erwähnt
weiter
noch
die
“Frauen
in
96
Grenzbereichen” , die für das junge Mädchen eine entscheidende Rolle in
der Ausprägung der Identität gespielt haben. Oben habe ich schon die ‘Hure’
im
Badehaus
erwähnt,
die
von
der
Erzählerin
wegen
ihres
Non-
Konformismus bewundert wurde. Es gibt jedoch noch andere Figuren, laut
Müller, die den Gesichtskreis des jungen Mädchens erweitern.
Dadurch entsteht im Roman ein sehr
Ausprägungen, während die Männerwelt
wo die Geschlechtergrenzen fließender
sich ebenfalls entlang der Grenzen der
überschritten haben. 97
präzises Bild der Frauenwelt in all ihren
keine klaren Umrisse annimmt. An Orten,
sind, trifft die Ich-Erzählerin Frauen, die
gesellschaftlichen Norm bewegen oder diese
Das Mädchen bewundert diese Frauen, weil sie alle dem Klischeebild der
fast
sakralisierten,
ehrbaren
Frau
in
der
türkischen
Gesellschaft
widersprechen. Ihr a-typisches Benehmen hängt sehr stark mit der Ehre von
Frauen zusammen: die Huren, die Verrückten und die politisch engagierten
Frauen sind in dem Sinne eigentlich eine Entkräftung der männlichen
93
Özdamar: Karawanserei. S. 148.
Würzbach: “Raumdarstellung.” S.55.
95
Ibid., S. 55
96
Müller: “Türkische Frauengeschichten.” S. 145.
97
Ibid.
94
43
Stereotypisierung von Frauen. Özdamar hat den öffentlichen Bereich der
Gesellschaft mit einer Vielzahl von Frauentypen gestaltet, im Gegensatz
zum privaten Bereich der Familienwohnung, in dem sich nur Mutterfiguren
aufhalten. Die Erzählerin betrachtet die
drauβen
fast
Sloterdijk
wie
hat
philosophischen
einen
griechischen
die
‘vater- und mutterlose’ Welt
Schauplatz
Begriffspaar
Buch
“Kritik
des
Kynismus.
Zynismus-Kynismus
der
zynischen
in
Vernunft”
Peter
seinem
benutzt.
Den
Kynismus hat er als die einzige mögliche Lösung für die allgegenwärtige
Problematik des zynischen Denkens dargestellt. Diogenes ist für Sloterdijk
die
Verkörperung
jenes
ursprünglichen
Kynismus.
Sowie
Diogenes
mit
seinem körperlichen Benehmen die öffentliche Ordnung der idealistischen
(platonischen)
Philosophen
Karawanserei
(in
gestört
hat,
wortwörtlicher
so
und
stören
die
übertragener
Randfiguren
der
Bedeutung)
die
stereotypisierten Verhältnisse in der türkischen traditionellen
Der
Körper
gilt
in
diesen
‘niedrigen
Regionen’
der
Gesellschaft.
Gesellschaft
als
Kommunikationsmittel, sowie im griechischen Kynismus.
Unsere Nachbarinnen sagten: “In Bursa wachsen die Verrückten an den Bäumen.”
Der Polizistnachbar hatte drei Töchter, sie sagten: “wir gehen zu unserem
Verrückten.” Ich ging mit, zu einem leeren Grundstück, dort
β sa ein sehr alter
Mann, er hockte da, wir hockten um ihn rum, er nahm sein Pipi in seine Hand, so
ein Stück Fleisch, zog daran und sagte: “Das heisst die WARE.” 98
Es gibt im privaten Bereich der Karawanserei auch Anzeigen dafür, dass
viele Tabus ganz offen besprochen werden können: da findet man also eine
körperliche
(kynische)
Sprache,
die
dem
Klischee
der
sexuellen
Tabuisierung in der Türkei widerspricht.
Die Raumdarstellung in der Karawanserei ist zum Schluss wie ein Netz
von Karawansereien zu betrachten. Das Herumziehen der Familie und die
zahlreichen
zeitlichen
Karawansereien
sind
mit
der
Identitätsentwicklung
der Ich-Erzählerin verknüpft. Sie bekommt immer mehr Information über
ihre Umgebung und überschreitet verschiedene Schwellen, die jeweils einen
Übergang vom
Arbitrarität
Materiellen
Sinnlichen
von
(z.B.
zum
Symbolen
das
(z.B.
Haus,
Ideellen
das
die
markieren.
So
erfährt
sie
die
Wertlosigkeit
des
Kopftuch),
die
seelenlose
Gasse),
die
zeitliche
Beschränktheit des Lebens (an Hand der Totengedenkung). Letztendlich gibt
98
Özdamar: Karawanserei. S. 176.
44
es auch einen Übergang vom Ideellen zum Körperlichen (der gleich die
Pubertät ankündigen könnte): die stereotypisierte und sogar auch idealisierte
Beschreibung von Frauen und Männern wird entkräftet, dadurch dass das
Mädchen die Grenze zwischen beiden Geschlechtern überschreitet. Die IchErzählerin geht über die Brücke in die Männerwelt hinein und begegnet da
in der Öffentlichkeit vielen weiblichen Figuren die gerade das Körperliche
repräsentieren, im Gegensatz zur ideellen Darstellung der Mutter- (und
Vater)figur.
und
des
Diese
Grenzüberschreitungen
innerlichen
Wachstums.
In
sind
der
Zeichen
der
Raumdarstellung
Emanzipation
wurde
schon
deutlich, dass Özdamar eine ganz persönliche Geschichte geschrieben hat,
die nicht sosehr von den Handlungen, sondern vielmehr von der spezifischen
Perspektive der Ich-Erzählerin geprägt ist.
6. Die Raumdarstellung in der Tochter des Schmieds: die sozioökonomische
Funktionalisierung
und
mentale
Dualisierung
von
Räumen.
Die Geschichte von Özdogan ist – wenn nicht weniger literarisch gelungen –
doch vielmehr von einer männlichen Perspektive geprägt. Das erzählende
Geschlecht
(auf
Geschlecht
der
(die
discourse-Ebene)
so
geschlechtsspezifischen
genannte
Merkmale
ist
dominanter
Tochter
des
auktorialen
des
als
das
erzählte
Schmieds):
Erzählers
haben
die
ihren
Stempel auf die ganze Geschichte gedrückt. Die Tochter des Schmieds wird
zwar als Hauptfigur in den Vordergrund gestellt, aber die hinzukommenden
Kommentare und Informationen sind meist aus männlichem Blickwinkel
beschrieben worden. Die Gestaltung der Räume ist männlich orientiert: die
Arbeitswelt des Schmiedes formt den Ausgangspunkt der Erzählung und
echot in die weiblichen Bereiche weiter.
Im
Gegensatz
zum
persönlichen
Charakter
der
Raumbeschreibung
bei Özdamar, dank der Ich-Perspektive, ist die Raumdarstellung in der
Tochter
des
Schmieds
Bedeutungsganzen,
mehr stereotypisiert.
die
von
der
Die Räume sind
sozio-kulturellen
kollektive
(symbolischen)
45
Wirklichkeit geprägt sind. Die sozio-kulturelle Umgebung ist auch eine
gender-orientierte
Umgebung:
deshalb
gibt
es
hier
auch
geschlechtsspezifische Unterschiede in der Beschreibung von Räumen durch
Timur (den Vater) und Gül (die Tochter). Natascha Würzbach erwähnt in
Bezug auf die geschlechterorientierte Territorialisierung:
Wo
männliche
und
weibliche
Figuren
als
Fokalisierungsinstanzen
und
Handlungsträger denselben sozialen Raum teilen, werden in der Erzählliteratur
geschlechtsspezifische Unterschiede im Erleben und Handeln verdeutlicht. Dabei
werden geschlechtsstereotype Prägungen und ihr kultureller Wandel in dem bisher
wenig beachteten Bereich der Raumdarstellung in der Erzählfiktion sichtbar. 99
Die geschlechtsstereotypen Prägungen sind vor allem in der Tochter
des Schmieds ganz deutlich hervorgehoben. Dabei fällt auf, dass alle Räume
mehr oder weniger funktionalisiert und dualisiert sind: es sind ökonomische
Räume,
in
der
Männer
und
Frauen
eine
gewisse
Aufgabenverteilung
erfüllen. So gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen dem Dorf und der
Stadt,
zwischen
dem
öffentlichen
und
privaten
Bereich,
zwischen
dem
Arbeitsplatz und der häuslicher Umgebung usw. Die mentale Dualisierung
der Räume gilt vor allem für Gül: die Elternwohnung assoziiert sie mit
Pflichterfüllung,
die
Schmiede
mit
freiwilliger
Dienstbarkeit.
Die
Funktionalisierung der Räume hat mit der sozio-ökonomischen Struktur
der Gesellschaft zu tun. Die Handlungsräume des Schmieds sind zum
Beispiel an seine Berufstätigkeiten orientiert: die Stadt, das Dorf und sogar
die Übergangszone zwischen dem Dorf und der Stadt sind im Großen und
Ganzen als Arbeitsplatz gestaltet worden. Es gibt die Schmiede in der Stadt,
den Apfelgarten am Rande der Stadt, das Teppichgewebe zu Hause, den
Weinberg im Dorf und die Geschäfte zwischen der Stadt und dem Dorf. Die
geschäftstüchtige Einstellung von Timur ist also das prototypische Beispiel
einer
erfolgreichen
Kultivierung
der
Umgebung,
die
zur
Bequemlichkeit
führt und der Familie außerdem Ansehen verschafft.
Die Schmiede in der Stadt ist für Timur ein Ort der Kreativität, der
Selbstbestätigung. Der breitschultrige Schmied kann hier nicht nur seine
Kraft
demonstrieren,
sondern
auch
seine
Fertigkeit.
Die
Schmiede
repräsentiert Stolz und zugleich auch eine Art männlicher Geborgenheit für
die Frauen seiner Umgebung. Sowohl seine erste Frau Fatma, als auch seine
99
Würzbach: “Raumdarstellung”. S. 52.
46
Töchter kommen oft zu ihm zu Besuch, da es in der Schmiede immer warm
ist und sie manchmal ein bißchen Geld bekommen, um sich etwas zu
kaufen. Meiner Meinung nach ist die Schmiede für die Kinder den Ersatz
der familiären Wohnung. Nach dem Tod ihrer Mutter sind die Kinder der
Autorität der Stiefmutter ausgeliefert, deshalb ist die Schmiede für sie ein
Schutzraum und “Ort der familiären Geborgenheit” 100. Diese Merkmale sind
laut Würzbach normalerweise mit dem traditionellen Haus verbunden. Die
Schmiede ist also ein Ort der Vaterliebe (anstatt der verlorenen Mutterliebe),
der väterlichen Sorgsamkeit und zugleich auch ein Ort des materiellen
Schutzes (Geld, Wärme, usw.) und männlicher Verantwortung.
Im Gegensatz dazu steht das Elternhaus, das vor allem mit der Stiefmutter
assoziiert wird. Gül ist das einzige der Kinder, das sich noch genau daran
erinnern kann, wie es zu Hause mit ihrer biologischen Mutter war. Die
schmerzliche Erinnerung an die Zeit mit ihrer Mutter wird dann noch
verstärkt, als sie zum ersten Mal mit der Familie ohne die Mutter ins
Sommerhaus zieht.
Sie hatte verdrängt, daß die Stadtkinder sich über ihre Aussprache lustig machen.
Und sie hat nicht daran gedacht, daß sie zu Hause niemanden mehr hat, mit dem sie
spielen kann. Es gibt kein Kitzeln und keine Raufereien, und es gibt keine
Koseworte mehr, weder hier noch auf dem Dorf. 101
Auf der selben Seite wird nicht nur auf die fehlenden Koseworte und
Zuneigung
gewiesen,
sondern
auch
auf
das
unzulängliche
Verantwortlichkeitsgefühl von Arzu. Sie lässt die Kinder allein zu Hause,
während sie stundenlang mit den Nachbarn plaudert. Gül langweilt sich zu
Hause, im Gegensatz zur Zeit, in der ihre Mutter noch am Leben war. Sie ist
immer gerne zu Hause gewesen und, da jetzt die Mutter nicht mehr da ist,
könnten wir sagen, dass sie keinen einzigen Ort mehr hat, wo sie zur Ruhe
kommen kann. Das hat auch damit zu tun, dass Gül ein sehr ängstliches
Kind ist; sie hat vor manchem draußen Angst. Sogar der Kuhstall und der
Garten machen ihr Angst; das weiß zum Beispiel ihr Vater sehr genau, aber
das hat Arzu noch nicht einmal bemerkt. Gegenüber der Pflichtverletzung
von Arzu steht dann auch noch, dass sie die Hausarbeiten öfters von Gül
erledigen lässt. Im unten zitierten Aufsatz stellt sich heraus, dass Arzu nicht
100
101
Würzbach: “Raumdarstellung”. S. 52.
Özdogan: die Tochter des Schmieds. S. 72.
47
nur stolz ist, sondern auch sehr opportunistisch (und sogar faul). Das Haus
wird immer mehr mit der Autorität von Arzu verknüpft; die Kinder sind
letztendlich nicht mehr gerne da.
Arzu verbringt viel Zeit mit den Nachbarinnen, hält Schwätzchen oder lädt die Frauen zu sich
ein, um ihnen Kaffee zu machen. Die wenigsten können sich Kaffee leisten, aber Arzus
Mann verdient genug und sie ist stolz darauf. Wenn Arzu zu Hause ist, soll Gül in Rufweite
bleiben, denn ihrer Mutter fällt dann oft ein, daß Wasser aus dem Brunnen gepumpt werden
muß, die Zimmer zu fegen, die Decken und Kissen auszuklopfen sind. 102
Es ist natürlich wiederum ein sehr erkennbares Problem, dass Kinder
es schwierig finden, Aufgaben für eine Stiefmutter zu erledigen, die erstens
nicht lieb ist und zweitens unverschämt mit dem Reichtum ihres Mannes
angibt,
anstatt
sich
wirklich
stereotypisierte Verknüpfung
um
von
seine
Haus
und
Kinder
zu
kümmern.
Pflichterfüllung
wird
Die
vom
Erzähler problematisiert, denn er geht undoppeldeutig auf den Stolz von
Arzu ein: es wäre für Gül kein großes Problem gewesen, die Hausarbeiten
zu erledigen, falls Arzu so bescheiden und sanft wie Fatma gewesen wäre
oder wenigstens eine ähnliche Art Fleißigkeit zur Schau gestellt hätte. Der
Leser spürt aufs Neue den unverholenen Gegensatz zum “sanften und
sauberen
Wesen”
von
Fatma:
sie
plauderte
auch
manchmal,
aber
ihr
Pflichtsbewusstsein war viel größer: erst als sie alle mögliche Hausarbeiten
erledigt hatte, ging sie zu ihren Freundinnen und dennoch war sie nicht so
frech, unverstört sitzen zu bleiben, als ihr Mann zu Hause ankam:
Als Fatma ihn erblickte, sprang sie auf, doch er bedeutete ihr, sitzen zu bleiben,
stieg ab, führte sein Pferd am Zügel in den Stall und rauchte auf den Stufen vor dem
Haus eine Zigarette, während er zusah, wie die Sonne unterging.[…] [Fatma:] Du
bist früh dran, ich habe gedacht, du kommst so spät wie in den letzten Tagen. Das
Essen ist fertig. Drinnen blickte der Schmied auf den Teppich im Webstuhl, sah,
daß sie gearbeitet hatte, und lächelte leise in sich hinein. 103
Früher war das Haus also für den Schmied (und später auch für die
Kinder) tatsächlich ein Ort, wo man zur Ruhe kommen könnte, wo die Frau
pflichtsbewusst alle möglichen Aufgaben erfüllte, auf dass sie Abends ihren
Mann und ihre Kinder verwöhnen könnte. Bei der Stiefmutter ist das ganz
anders geworden: die Kinder werden allein gelassen, sie bekommen oft
keine Aufmerksamkeit, langweilen sich zu Hause, während die Stiefmutter
sich mit ihren Freundinnen amüsiert. Sie sollten nicht in Rufweite bleiben,
weil Arzu auf die Kinder achten will, sondern weil sie ab und zu von ihr
102
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 75.
Ibid., S. 22.
103
48
einige Aufgaben bekommen. Der weiblich orientierte Handlungsraum (die
Wohnung) ist daher auch weniger wichtig als der männlich orientierte Raum
(die Schmiede): da können die Mädchen in aller Gemütlichkeit während
ihrer Mittagspause sitzen, ohne dass sie dieses oder jenes erledigen müssen.
Besser gesagt: in der Schmiede können sie noch ruhig Kind bleiben.
Für Gül kommt der Schritt zur Selbständigkeit und Befreiung von
stiefmütterlicher Autorität erst, nachdem sie die Schule verlassen hat. Ihre
Stiefmutter will nicht mehr, dass sie immer zu Hause sitzt, sie soll einen
Beruf erlernen. Das bedeutet aber nicht, dass Gül sich jetzt in den
öffentlichen Raum begeben wird, der von Männern regiert wird. Gül wird
im Haus von Esra, einer Schneiderin, mit der Nähmaschine arbeiten lernen.
Bald wird das Nähzimmer für sie ein neues Zuhause, in dem sie sich vor
allem um Esras Töchterchen Candan kümmert und in dem sie zum ersten
Mal – seit ihrer Mutter gestorben ist - erfährt, wie es ist, eine andere Person
als den Schmied zu bewundern:
Esra Abla, sagt Gül zu ihr, große Schwester Esra. Sie sagt das, weil Esra das
möchte, denn wenn jemand sie Tante Esra nennt, kommt sie sich so alt vor. Endlich
hat Gül auch jemanden, zu dem sie Abla sagen kann wie ihre Geschwister zu ihr. 104
Der neue Arbeitsplatz gilt für Gül als ein Freiraum, in dem sie sich
geliebt fühlt; auf dem Weg zu Esra kann sie außerdem noch mit Mädchen in
ihrem
Alter
spielen,
so
dass
man
tatsächlich
von
einer
grenzüberschreitenden Situation reden kann: auf dem Wege ist sie noch ein
Kind,
während
sie
im
Arbeitsraum
oder
in
der
Elternwohnung
schon
vielmehr eine Erwachsene ist. Ihr Mutterinstinkt, der vor allem durch
Candan, die Tochter von Esra, stärker geworden ist, wird zu Hause auch
spürbar, weil Gül immer öfter mit ihren jüngeren Schwestern (Melike und
Sibel) über ihre Erfahrungen mit Fatma redet. Die jüngeren Schwestern sind
völlig von Güls Wissen über die Vergangenheit abhängig, weil sie noch zu
jung waren, als das sie alles bewusst erlebt hätten. So erzählt Gül über ihre
Mutter jetzt alles, was ihr einfällt und fühlt sich gleich ganz erleichtert.
Meiner Meinung nach ist Gül ab diesem Moment eine junge Frau: die
Erzählungen werden zu einem Ritual, in dem Gül ihre Kenntnis über die
Vergangenheit vermittelt, wie einst die junge Fatma ihre Märchen den
104
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 156.
49
Frauen aus dem Dorf erzählt hat. Sie ist die unentbehrliche Verbindung
zwischen den jüngeren Schwestern und der gestorbenen Mutter, ohne Gül
werden Melike und Sibel sich nicht einmal ihrer Herkunft bewusst. Die drei
Töchter werden von nun an öfters zu Hause auf der Holztruhe der Mutter
sitzen und Gül zuhören. Diese Truhe ist meiner Meinung nach wie ein
Mikrobereich, in dem die jungen Frauen sich aus dem Jetzt losreißen und
sich in den mentalen Raum ihrer gemeinsamen Herkunft zurückziehen; in
diesem Raum gibt es keine Stiefmutter. Würzbach hat diese mentalen
Räume schon als “einen Gewinn an (innerer) Freiheit” 105 beschrieben. Für
Gül ist das allerdings der Fall: sie bekommt jetzt die Chance, ihrer Mutter
einen Platz im Alltagsleben zu schenken, während sie vorher doch immer
darüber
geschwiegen
hat,
um
Arzu
nicht
zu
beleidigen
und
die
stiefmütterliche Autorität nicht zu unterminieren. Das geheime Bündnis gibt
den Schwestern eine eigene Identität und verbindet sie auch in Zukunft.
Die Wohnung der Schwiegereltern, in der Gül sogar ohne ihren
Mann Fuat leben muss, bedeutet das tatsächliche Ende der unbesorgten
Kindheit,
in
der
Gül
fünfzehnjähriges,
neu
patriarchalischen
System,
Pflichten”
106
trotz
allem
verheiratetes
“die
noch
Mädchen
wenigsten
ziemlich
hat
sie,
Rechte
frei
ganz
und
war.
Als
gemäß
dem
die
meisten
. Die Wohnung ist – jetzt noch mehr als früher - der Ort, in dem
Gül der Willkür und Autorität ihrer Schwiegereltern ausgeliefert ist. Sie
sollte sich um ihre Neffen und Nichten kümmern und ganz gehorsam alle
möglichen Aufgaben erledigen. Folgendes Zitat aus der Erzähltextanalyse
von Nünning und Nünning scheint gerade auf Die Tochter des Schmieds
besonders anwendbar zu sein: “Als eine für weibliche Figuren typische
Fluchtmöglichkeit erweist sich der Rückzug in den psychischen Innenraum,
den beispielsweise die Protagonistin
in
May Sinclairs
autobiografischem
Roman Mary Olivier. A life (1919) in ihrem poetischen und philosophischen
Erleben vollzieht” 107. Auch Gül fängt an, Romane zu lesen, um der
Einsamkeit in ihrem Leben ein bißchen zu entfliehen. Die phantastischen
105
Würzbach: “Raumdarstellung”. S. 61.
Özdogan: die Tochter des Schmieds. S. 220.
107
Würzbach: “Raumdarstellung”. S. 53.
106
50
Romane sind aber vielmehr eine Konfrontation mit der Realität, als dass sie
eine wahre Fluchtmöglichkeit bieten.
In den Büchern steht, wie junge Frauen sich fühlen können, da steht etwas über
Schande und Leid, über Gerede und Klatsch, über Aufrichtigkeit und Mut. Doch
nirgends steht, wie es sein kann, im Haus der Schwiegereltern als Dienstmagd zu
hausen, weil der Ehemann beim Militär ist. 108
Im Gegensatz zur Karawanserei gibt es für Gül also keine wirkliche
Fluchtmöglichkeit: Gül lebt und arbeitet in weiblich orientierten Räumen,
die sehr stark funktionalisiert sind. Die Elternwohnung, die Wohnung der
Schwiegereltern, das Nähzimmer: es sind alles weibliche Bereiche, in denen
Gül arbeitet und lebt, ohne dass es einen Zugang zum öffentlichen Raum
gibt.
Die
Schmiede
ist
eine
Ausnahme
im
männlichen
(öffentlichen)
Bereich, weil sie einen Ersatz bietet für die Töchter (vor allem aber für Gül),
die die Elternwohnung schon längst nicht mehr als Schutzraum betrachten,
sondern als Raum der Pflichterfüllung und stiefmütterlichen Autorität. Man
könnte jedoch konkludieren, dass die Räume in der Tochter des Schmieds
sehr stark abgegrenzt wurden: die Männer haben ihre Umgebung ganz
kultiviert,
während
Dienstmagd
die
Frauen
funktionieren.
vor
Die
allem
Grenzen
zu
Hause
werden
nie
bleiben
und
überschritten,
als
Gül
konformiert sich und passt sich den Normen und Regeln der Gesellschaft an.
Die
Freiheitsberaubung
ist
Teil
des
patriarchalischen
Systems,
in
dem
Frauen sich nicht im öffentlichen Raum oder in Grenzbereichen aufhalten.
Es ist bemerkenswert, wie die zwei Erzählungen von Özdogan und Özdamar
ganz
unterschiedlich
mit
den
dualisierten
Räumen
umgehen.
In
der
Karawanserei fühlt die Hauptfigur sich in der Fremde zu Hause, sie liebt es,
Grenzen zu überschreiten, sie sieht letztendlich ein, dass jede Umgebung
zugleich eine Fluchtmöglichkeit bietet; man muss nicht unbedingt irgendwo
bleiben,
wo
Großmutter
man
sind
sich
wie
nicht
moderne
glücklich
fühlt.
Flaneusen,
die
Die
Hauptfigur
sich
am
und
die
liebsten
im
öffentlichen Raum aufhalten. In der Tochter des Schmieds fühlt Gül sich vor
allem fremd und nirgendwo zu Hause, es ist also gerade das Umgekehrte
der Karawanserei. Es gibt hier keinen Ausweg, keine zwei Türen; es gibt
nur eine Tür, die jemanden einschließt und die Freiheit einschränkt. Die
108
Özdogan: die Tochter des Schmieds. S. 222.
51
zwei Bücher sind im Wesen wie zwei Extremen auf einem Kontinuum
zwischen totaler Emanzipation und radikalem Konformismus.
7. Die
Handlung
und
der
Plot
in
der
Karawanserei:
weibliche
Flaneusen und Pikaros, männliche Casanovas.
In der gender-orientierten Analyse der Handlung, des Plots und einiger
Plotmuster,
ist
Andrea
Gutenberg
von
einer
“wechelseitige[n]
Abhängigkeit von Plot bzw. story-line und Geschlechtszugehörigkeit der
handelnden Figur” 109 ausgegangen. Auf der Ebene der Darstellung, laut
Gutenberg, werden Plotelemente selektiert auf der paradigmatischen Achse
und
kombiniert
“Schlussgebung” 110
auf
der
oder
syntagmatischen
die
Achse.
Positionierung
des
Die
Autors
paradigmatische
am
Ende
der
Erzählung, ist sowohl in der Karawanserei als in der Tochter des Schmieds
mit der Migration verbunden. Die Hauptfiguren verlassen die bekannte
Umgebung, um in Deutschland arbeiten zu können. Die Hauptfigur der
Karawanserei macht das jedoch, um sich selbst zu entdecken; sie geht
niemanden hinterher. Die Hauptfigur der Tochter des Schmieds geht ihrem
Mann
hinterher,
er
wollte
eigentlich
nur
wegen
des
Geldes
nach
Deutschland ziehen. Diese zwei Schlussgebungen könnte man als zwei
mögliche
hängt
Legitimationen
mit
der
der
Migration
bestimmen.
“Selektionsentscheidungen
des
Jene
Legitimation
Autors/der
Autorin” 111
zusammen, der/die das für ihn/sie wichtigste Motiv der Auswanderung den
deutschen Lesern verständlich machen wollte. Die Selektionsentscheidungen
von Özdamar und Özdogan sind im Wesen nicht so verschieden, aber die
Art und Weise der Kombination ist ja ganz anders. Die zwei Romane enden
zwar mit der Migration der beiden Hauptfiguren nach Deutschland, aber bei
Özdamar wird wenigstens impliziert, dass der Zug sie nur in eine neue
Karawanserei
bringt.
Ihr
Abenteuer
fängt
sozusagen
erst
an;
die
Selbstentwicklung ist nicht zu Ende. Im Gegensatz zu jenem offenen Ende,
109
Andrea Gutenberg: “Handlung, Plot und Plotmuster.” In: Erzähltextanalyse und Gender Studies.
Stuttgart: Metzler. 2004.(=Serie Sammlung Metzler, Bd.344) S. 98- 121, hier S. 99.
110
Ibid., S. 104.
111
Ibid.
52
hat Özdogan mit der Auswanderung von Gül das tatsächliche Ende der
engen Beziehung zwischen Gül und dem Schmied betonen wollen, so bin
ich der Meinung. Die Tochter des Schmieds ist am Ende völlig unabhängig
von ihrem Vater, aber sie ist im Wesen nicht glücklich. Die Trennung von
der Familie wird vielmehr negativ bewertet. Während die Emanzipation für
die
Hauptfigur
Unabhängigkeit
Todeswunsch
der
Karawanserei
von
am
Gül
mit
Ende des
nur
Glückliches
fundamentaler
Buches
ist
impliziert,
ist
die
verbunden.
Der
eine nüchterne Bitte
um
Einsamkeit
wie
Erlösung. Man könnte sagen, dass die Migration für die Erzählinstanz der
Karawanserei Ausgangspunkt eines neuen, ganz individuell erlebten Lebens
gewesen ist, während sie von die Erzählinstanz in der Tochter des Schmieds
mehr
als
Endpunkt
eines
goldenen,
kollektiv
orientierten
Zeitalters
beschrieben wurde.
Die
Kombination
Gutenberg
“durch
Relationen,
durch
von
zeitliche,
Handlungen
räumliche,
Phasenbildung,
Motivationsrelationen” 112
und/oder
und
biografische
Kausalitätsin
Ereignissen
eine
bzw.
Art
und
ist
nach
thematische
Bedingungsrelationen
Konfiguration
eingerahmt
worden. Die Karawanserei ist in dem Sinne eher räumlich und biografisch:
es handelt von den Ereignissen eines Mädchens (und ihrer Familie) an
verschiedenen Orten, auβerdem basiert die Erzählung auf der Kindheit von
Özdamar und ihren persönlichen Erfahrungen. Die Tochter des Schmieds ist
vielmehr zeitlich und thematisch: es handelt vom Handel und Wandel einer
Familie im Laufe der Zeit; das Geschehen basiert hier vielmehr auf den
groβen Themata des Lebens: der Ehe, dem Tod, der Elternschaft u.a.
Gutenberg
redet
übrigens
auch
über
“makrostrukturelle
Konfigurierungstypen wie z.B. Progression, Stasis, Teleologie, Zirkularität,
Kontingenz,
Konzentrik,
denen
Teleologie
gelten,
und
Merkmale.
und
Zyklik,
Progression
Diskontinuität
Die
Dialogizität
als
sowie auch
Diskontinuität
ist
bei
Simultaneität” 113,
oder
männlich
konnotierte
Wiederholung als
Özdamar
in
der
in
Strukturen
frauenzentrierte
Tat
in
den
Vordergrund gerückt: die Tradition des männlichen Patriarchats, die mit
112
113
Gutenberg: “Handlung, Plot, Plotmuster”. S. 104
Ibid., S. 104.
53
dem
Heiratsbund
jeweils
besiegelt
wird,
wird
hier
im
Gegensatz
zur
Geschichte von Özdogan nicht weitergesetzt: die Ich-Erzählerin will (und
muss sogar von ihrer Mutter) zuerst studieren und dann arbeiten, von einer
Heirat ist überhaupt nicht die Rede. Wiederholung gibt es nur noch in den
abergläubischen
Ritualen,
die
die
Großmutter
und
das
junge
Mädchen
miteinander verbinden. Die arabischen und türkischen Gebete und Rituale
sind jedoch nur nach der Form eine Wiederholung als eine Bestätigung der
Tradition. Nach ihrer Inhalt sind sie aber vielmehr eine ganz dynamische
Widerspiegelung der Entwicklung des Mädchens. Das Mädchen setzt die
Tradition der Großmutter weiter, aber sie macht etwas ganz Persönliches
daraus.
Die Plottypologie von Gutenberg handelt dann weiter vor allem über
frauenzentrierte Plotmuster, die zum Beispiel in den Romanen des 20.
Jahrhunderts vor Handen sind.
Zu
der
auf
Zusammenführung
und
wechselseitige
Ergänzung
eines
gegengeschlechtlichen
Paares
hinauslaufende
Plotausrichtung
gibt
es
zwei
Alternativen: Erstens die Konzentration der Protagonistin auf sich selbst, d.h. auf
die eigene Vergangenheit oder die gegenwärtige bzw. zukünftige Selbstentfaltung
und -verwirklichung in psychologischer (spiritual quest) und/oder beruflich-sozialer
Hinsicht (social quest) und zweitens die Ausrichtung weiblichen Begehrens und des
Plotgeschehens auf die Interaktion verschiedener Figuren innerhalb der Familie. 114
Trotzdem ist die Typologie nicht ohne weiteres auf die Karawanserei
zutreffend; es
ist eine Kombination der beiden Alternativen.
Die Ich-
Erzählerin in der Karawanserei konzentriert sich auf die Figuren ihrer
Familie únd auf ihre Selbstentfaltung. Am wichtigsten ist jedoch nicht die
Interaktion
verschiedener
Figuren
innerhalb
der
Familie,
sondern
die
kindlich-naive Perspektive, mit der sie jene Handlungen beschreibt. Der
Familienplot
ist
zum
Beispiel
mehr
oder
weniger
in
der
Erzählung
anwesend, aber die Ereignisse innerhalb der Familie sind nicht wichtiger als
die Handlungen von Randfiguren und Nebenfiguren in der Erzählung. Ihr
eigenes marginales Benehmen hat dafür gesorgt, dass die Handlungen der
Nebenfiguren
im
Zentrum
unserer
Aufmerksamkeit
angelangt
sind.
Ihre
Familie umfasst in dem Sinne auch die Huren, die Verrückten, die politisch
orientierten Freundinnen ihrer Mutter usw. Die Perspektive des Mädchens
hat das Konzept einer Familie erweitert und umgestaltet: alle Tanten und
114
Gutenberg: “Handlung, Plot, Plotmuster.” S. 112.
54
Onkel und Ablas (Schwestern) zählen auch mit, und diese umfangreiche
Gruppe repräsentiert eben die Pluralität der türkischen Bevölkerung.
Der Schwesternplot, den Gutenberg in der Analyse erwähnt, ist auch
auf keineswegs traditionelle Art und Weise in der Geschichte dargestellt.
Die Großmutter ist eigentlich wie eine Schwester für die Ich-Erzählerin;
dass
steht
in
schroffem
Gegensatz
zu
der
familiären
Beziehung
der
Schwestern in der Tochter des Schmieds und ihrer gemeinsamen Abneigung
gegenüber
der
Großmutter
Zeliha.
Die
Großmutter
Ayşe
ist
in
der
Karawanserei eine Schwester für die Hauptfigur, sie fühlt sich am tiefsten
mit
ihrer
Großmutter
“Zungenhure” 115,
charakterisiert
wie
wurde.
verbunden.
auch
Es
die
gibt
Fatma
nennt
Ich-Erzählerin
eine
Menge
schon
Ayşe
auch
von
ihrer
Ähnlichkeiten
eine
Mutter
zwischen
der
Großmutter und der Ich-Erzählerin, die die Generationskluft überbrücken
und eine gleichartige Mischung zwischen Naivität und Weisheit aufweisen.
Sogar die körperliche Haltung der beiden ähnelt sich:
Am besten war es, wenn ich zusammen mit meiner Großmutter auf der Straße ging.
Großmutter lief schlingernd, ich lief auch schlingernd, sie sagte: “Schlingere nicht
so, Schwester.” Auch ich sagte: “Schlingere nicht so, Großmutter.” So schlingerten
wir weiter […] 116
Der “Mutter-Tochterplot” 117 ist in der Karawanserei ebenfalls auf
eine ganz andere Art und Weise wirksam, als die Definition von Gutenberg
in der Analyse expliziert hat:
[…] die Gefahr von symbiotischen Mutter-Tochter-Beziehungen [wird] durch ihre
negativen
Konsequenzen
für
die
stagnierende
oder
regressive
Persönlichkeitsentwicklung der Tochter dargestellt. […] die Übermacht der Mutter
[steht] häufig einer erfolgreichen Identitätssuche der Protagonistin im Wege […]. 118
Meiner
Tochter
eine
Meinung
nach
positive,
nachsichtige
Freiheitsbeschränkung
neigende
ist
die
Beziehung
und
zwischen
keineswegs
Beziehung.
Die
zur
Mutter
Mutter
und
Tradition
und
hat
allerdings
immer von ihrer Tochter verlangt, dass sie sich nicht verheiraten würde und
möglichst lang zur Schule gehen würde. Trotzdem reagiert Fatma manchmal
ziemlich
paradox;
untenstehendes
Zitat
verrät
die
offene,
progressive
Einstellung der Mutter:
115
Özdamar: Karawanserei. S. 257.
Ibid., S. 259.
117
Gutenberg: “Handlung, Plot, Plotmuster.” S. 115.
118
Ibid., S. 114.
116
55
“Siehst du, meine Tochter, siehst du, das ist die Welt.
offener Platz ist, alle Menschen stehen dort und
miteinander.” Dann sagte sie wie meine Großmutter:
kann man nicht essen, die Haut von Menschen kann
Mensch mehr als eine süße Zunge?” 119
Die
Stelle
könnte
interpretiert
werden
als
Denke dir, daß die Welt ein
waschen sich und sprechen
“Das Fleisch von Menschen
man nicht anziehen. Hat ein
eine
Anspielung
auf
die
Karawanserei, in der man sich als Mensch frei bewegen darf und nichts als
die Zunge braucht, um glücklich zu sein. Vielleicht hätte sie ihrer Tochter
sagen wollen: du sollst deine literarischen Talente richtig benutzen, dafür
sollst du nicht unbedingt hier in der Türkei bleiben. Im Gegensatz zur
progressiven Einstellung will sie ihre Tochter nicht verlieren, die mütterliche
Liebe und Sorge sind dafür zu stark:
Ich sagte: “Ich werde nach Deutschland gehen.” Mutter sagte: “Wenn du gehst, hast
du nicht mal ein Gehirn, das man über einen Schwanz schmieren kann.” “Ich werde
gehen.” Mutter sagte: “Trennungsschmerz sind vierzig Nägel, die in einen Körper
geschlagen werden.” […] Mutter sagte: “Nimm das Geld, nimm das Wort
Deutschland nicht mehr in den Mund.” 120
Das einzige Plotmuster von Gutenberg, das schon anwendbar ist,
wurde
im
Zitat
“männerzentrierte[n]
über
das
“frauenzentrierte
Variante[n]
Pendant”
von
Freundschaftsplots” 121
des
herbefohlen:
Im Vergleich zu Männergemeinschaften wirken Frauengemeinschaften […] eher
wie marginale Antigesellschaften, deren Mitglieder als allein stehende Frauen von
gesellschaftlicher Macht und sexueller Erfüllung ausgeschlossen, aber auch dem
patriarchalen Einflussbereich entzogen sind. 122
Die Mutter der Ich-Erzählerin ist keine allein stehende Frau, aber sie ist
trotzdem zum größten Teil dem Einfluss ihres Mannes entzogen.
Die
Arbeitslosigkeit von Mustafa hat eine Art Machtsvakuum verursacht. Seine
Autorität
ist
geschwächt:
sein
Aufenthalt
in
Nightclubs,
seine
verschwenderischen Launen und unvorsichtigen Darlehen sind alle Zeichen
der unzulänglichen
Verantwortlichkeit
der Vaterfigur.
Im
Gegenteil
zum
Schmied in der Erzählung von Özdogan, ist hier vielmehr die Rede von
menschlichem
(schwächem),
unüberlegtem
Benehmen
und
realistischen
Handlungen anstatt von Idealisierung. Die Mutter und Großmutter sind zwar
durch die aussichtslose Lage von Mustafa unglücklich, zugleich aber haben
sie eine größere Freiheit als andere Frauen. Sie hätten normalerweise keinen
119
Özdamar: Karawanserei. S. 263.
Ibid., S. 369-370.
121
Ibid.
122
Gutenberg: “Handlung, Plot, Plotmuster.” S. 117.
120
56
Zugang
zur
Öffentlichkeit,
aber
durch
die
dauernde
Abwesenheit
von
Mustafa nutzt Fatma ihre Chance aus, sich immer mehr in den öffentlichen
Bereichen aufzuhalten:
Mutter sagte: “Sidika Hanım, du bist Witwe, ich bin auch Witwe, Mustafa hat den
Weg nach Hause vergessen, laß uns vom Schicksalengel einen seiner Tage klauen.”
[…] Wir blieben bis Mitternacht im Bad. Uns erwarteten zu Hause keine Männer. 123
Die Erzählerin beschreibt mit komischen Formeln, wie die Frauen
“ihren
Würmer
spazieren
richtig
[geführt
[haben]” 124
ausgeschüttelt
haben]” 125,
wie
sie
mit
oder
anderen
ihre
“Schachtel
Worten
in
den
öffentlichen Bereichen spazieren gegangen sind und gegen den Wunsch des
Ehemannes nicht nur brav zu Hause geblieben sind. Das Mädchen lernt, dass
die Frauen oft zu ihrem Mann lügen, und sie macht dasselbe auch schon früh
gegenüber ihrem Vater. Es wird ja auf humoristische Weise mit der
Scheinautorität
von
Mustafa
umgegangen:
die
Großmutter
und
die
Hauptfigur sagen immer wieder, dass sie entweder zum Atatürk gegangen
sind oder zum einen oder anderen Heiligen. Patriotismus und Religion
werden hier also als Ausrede benutzt, um den Mann des Hauses zu
beruhigen.
“Allah sei Dank, daß es so viele heilige Männer gibt, so lüften alle Frauen im
Frühling ihr in Mottenpulver gelegtes Leben und ihre Schachteln.” Wenn die
Frauen nach ihren Männer [sic] nach Hause kamen, fragten die Männer: “Wo seid
ihr geblieben?” Dann zogen die Frauen ihre Wörter sehr in die Länge, machten ihre
Münder klein und sagten: “Wir sind zum heiligen Grabe von Hyzanthi Efendi
gegangen.” Dann schwiegen die Männer. 126
Je älter sie wird, je mehr sieht sie ein, dass ihre Eltern auch zur
‘lügenden Welt’ gehören. Die alten sozialen Strukturen der Familie sind nur
noch leere Hüllen, in denen Männer und Frauen nicht sosehr komplementär
sind (sowie zum Beispiel in der Tochter des Schmieds), sondern eher
unabhängig
voneinander
funktionieren.
Die
moralischen
Grenzen
der
Männer- und Frauengemeinschaft werden jeweils erweitert, so dass es nur
noch ‘Grauzonen’ gibt, in der Frauen und Männer sich so frei wie möglich
zu
bewegen
versuchen,
in
denen
sie
‘einen
weiteren
Tag
vom
Schicksalengel klauen’. Die Männer sitzen im Café, die Frauen im Badehaus
123
Özdamar: Karawanserei. S. 261.
Ibid., S. 174.
125
Ibid., S. 220.
126
Ibid,. S. 247.
124
57
oder auf dem Friedhof; zu Hause gibt es fast keine Geborgenheit oder Ruhe
mehr.
Mein Vater ging weiter zum Café und zum Nightclub, meine Mutter sagte: “Euer
Vater ist zu seinem Arbeitsplatz gegangen.” Wir wußten, wo er arbeitete, wir holten
ihn manchmal von seinem Arbeitsplatz, er spielte dort Poker. 127
Die Haltung von Mustafa ist kennzeichnend für den modernen Mann in den
sechziger Jahren. Wie Fuat in Der Tochter des Schmieds ist er auf der Suche
nach Abenteuer, nach Reichtum und flüchtigem Glück. Er ist ein Casanova,
der die Frauen des Hauses mit sympathischem Benehmen will charmieren.
Trotzdem fällt auf, dass Mustafa – anders als Fuat – seine Frau nicht
unterdrückt oder belügt:
es
gibt eine Art
stillschweigendes
Abkommen
zwischen den beiden, weil sie zu zweit Opfer der modernen, ‘lügenden’
Welt sind.
“Hanım, ich gehe zum Café, heute wollte der soundso-Bey kommen, er ist ein
sauberer Mann, vielleicht leiht er mir Geld. Fatma mein Lämmchen, geh auch du
raus.” […] Zwischendurch kam er nach Hause, trank seinen Rakı und sagte:
“Fatma, trink du auch.” 128
Es wird vielfach darauf hingewiesen, dass Mustafa noch die äußere
Macht in der Familie hat, aber dass er seine restliche Macht durch sein
Macho-Benehmen
unterminiert. Er nennt sich selbst naiv, aber er sitzt als
naiver, braver Mensch doch jeden Tag im Nightclub. Er belügt also vor
allem sich selbst, weil er eigentlich lieber faulenzt und sich für einen reichen
Mann ausgibt, als dass er sein Benehmen zu bessern versucht. Obgleich
Regula Müller noch behauptet, dass “seine Rolle als Familienoberhaupt
nicht in Frage gestellt [wird]” 129, bin ich nicht dieser Meinung. Das
obenstehende Zitat, über den angeblichen Arbeitsplatz von Mustafa, zeigt
dem Leser, wie sogar die junge Hauptfigur sich nicht hinters Licht führen
lässt: sie weiß ganz genau, dass ihr Vater seine Verantwortlichkeit in der
Familie nicht aufnimmt. Das zeigt uns auch folgendes Zitat:
Wenn mein Vater unsere Schulzeugnisse oder Hefte unterschrieb, schaute er nicht
auf die Noten, er schaute mir ins Gesicht und sagte: “Wo soll ich unterschreiben,
meine Tochter?” Einmal sagte ich zu ihm: “Ich gehe in die 9. Klasse.” Ich ging aber
in die 7. Klasse. Er sagte: “Bravo, meine Tochter, lerne, meine Tochter, für dieses
Land. Werde ein Mensch, werde nicht so ein Esel wie dein Vater. 130
127
Özdamar: Karawanserei. S. 250.
Ibid.
129
Müller: “Türkische Frauengeschichte(n).” S. 141.
130
Özdamar: Karawanserei. S. 250.
128
58
Hier
wird
ganz
klar
gemacht,
dass
ihr
Vater
nur
noch
eine
Art
Scheinverantwortlichkeit trägt und, wie Müller auch behauptet, dass “der
Vater sich nur auf Kosten seiner Frau erhalten [kann]” 131. Die Unterschrift
der Schulzeugnisse ist eine Formfrage geworden, es geht nicht mehr um den
Inhalt. Das Patriarchat ist im Wesen wie eine Unterschrift: es ist nur formell,
hat inhaltlich jedoch an Kraft eingebüßt. Diese Diskontinuität zwischen dem
alten Patriarchat und der modernen Gesellschaft beeinflusst in hohem Maße
das
Benehmen
Selbstmordversuch
der
Mutter,
macht.
Sie
so
wird
dass
Fatma
von
der
letztendlich
Gesellschaft
einen
ständig
überfordert, weil sie ihren richtigen Platz in der Frauengemeinde nicht mehr
findet. Eine Frau ohne Freundinnen wird fast dazu gezwungen, jeden Tag zu
Hause zu sitzen. Die soziale Bindung, die Frauen früher überall hatten, ist in
der modernen Stadt fast völlig verschwunden. Auβerdem gibt esür f sie zu
Hause auch nichts mehr zu tun: sie haben keine Möbel mehr, kein Essen
mehr zum Kochen. Ayşe hat jedoch wegen des Bündnisses mit ihrer Enkelin
eine Art und Weise gefunden, mit dem modernen Lebensstil umzugehen und
sich trotzdem zu amüsieren, obgleich sie auch allein ist.
Die ‘emanzipierte’ Handlung der Großmutter ist im Großen und
Ganzen aus dem pikaresken Benehmen des Mädchens entstanden: dadurch,
dass die Ich-Figur sich immer mehr in den Randbereichen der Gesellschaft
aufhält, geht die Großmutter auch öfters spazieren. Sie beeinflussen sich
außerdem gegenseitig: das junge Mädchen wäre vielleicht auch nie so
abergläubisch gewesen, ohne den Einfluss der Großmutter. Für die Mutter
und den Vater sind Religion und Aberglaube nicht sehr wichtig, während die
Großmutter
und
abergläubisches
Ritualhandlungen
die
Erzählerin
Bündnis
auf
dem
schon
geschlossen
Friedhof
am
Anfang
haben,
zusammen
der
dadurch
Geschichte
ein
dass
sie
die
haben.
Das
ausgeführt
Austauschen von Erfahrungen und Kenntnis zwischen der Großmutter und
dem Mädchen sind in der Geschichte in den Vordergrund gebracht. Die
Erzählungen der Großmutter und ihre Rituale sind für das Mädchen die
einzigen Sachen, die Stabilität aufzeigen. Trotzdem wird am Ende der
Geschichte deutlich gemacht, dass auch die Märchen keine Ruhe mehr
131
Müller: “Türkische Frauengeschichte(n).” S. 141.
59
bringen
werden:
die
Tradition
der
mündlichen
Überlieferung
wird
unterbrochen, dadurch dass die Erzählerin einsieht, dass sie das Märchen
über die Groβvater von Ay
șe, den Dorfmoschee -Hodscha, schon kennt. Es
stellt sich heraus, dass die türkische Kultur für die junge Frau keine
Geheimnisse mehr hat. Auf einmal begreift sie auch, dass ihre Großmutter
auch Schwächen hat: die Enttäuschung, die diese mit dem erstaunten Ausruf
“O” zeigt, als sie entdeckt, dass sie die Geschichte nicht mehr zu erzählen
braucht,
weist
auf
die
Unterdrückung
der
starken
Nostalgie
nach
der
Vergangenheit.
“Großmutter, ich kenne diese Geschichte.” “Woher kennst du sie denn? Hast du
meinen Großvater im Traum gesehen?” “Meine Mutter hatte sie mir erzählt.” “O”,
sagte Großmutter. “Der Mund deiner Mutter soll gesund bleiben. Das hat sie gut
gemacht.” Ich merkte auf Ĭstanbuler
dem
Friedhof, daß meine Großmutter auch
einmal ein Kind gewesen war. Ich hatte immer gedacht, sie wäre als alte Frau
geboren. 132
Die Großmutter ist also in den Augen der Ich-Erzählerin plötzlich
nicht
mehr
die
starke
‘Lebensmentorin’,
unbestreitbaren
Quellen
der
verschwiegene
Nostalgie,
Kenntnis
Stolz
und
ihre
mehr,
Erzählungen
sondern
kindliche
deuten
sind
eher
Bewunderung.
keine
auf
Die
Erzählungen sind deswegen auch nicht total einwandfrei; die mündliche
Tradition ist unvollständig, selektiv und sie beruht auf einer Mystifizierung
von alltäglichen Ereignissen und Figuren. Die Erzählerin ist eigentlich zu alt
und sogar zu klug geworden, um jene Geschichten als zuverlässige Quellen
von Wahrheit und Kenntnis zu betrachten. Die Großmutter ist ja nicht als
alte Frau geboren, das heißt: sie hat ihre Weisheiten ebenfalls von jemandem
bekommen; sie hat die meisten Geschichten wahrscheinlich auch nicht selbst
erlebt, sondern hat sie nur vom Hörensagen. In diesem Moment sieht die
Ich-Erzählerin ihre Großmutter und sich selbst vielleicht nur noch als
verschwindend kleine Glieder in der Erzählungskette.
Die
uralten
Geschichten
unterstützen
die
Plotentwicklung,
aber
trotzdem funktionieren sie eher als kontrastive Betonung der überwiegend
stabilen Vergängenheit im Gegensatz zum rasch wechselnden Kontext des
Alltags. Das Erzählen hat eine saubernde, erziehende Funktion, denn es soll
die Erzählerin mit der Andersartigkeit des modernen Alltags konfrontieren:
132
Özdamar: Karawanserei. S. 377.
60
die Kontinuität des Weitererzählens betont die Diskontinuität zwischen alt
und neu. Jene Diskontinuität wird noch einmal extra in den Vordergrund
gestellt, dadurch dass die Hauptfigur eine Vorliebe fürs französische Theater
entwickelt.
Die orientalistischen
türkische)
Überlieferung
Märchen
werden
und
jetzt
die orale (arabische
der
westlichen,
und
schriftlichen
Überlieferung entgegengesetzt.
[…] schwor ich mir, daß ich später in meinem Leben Schauspielerin werde. Und
wenn ich in der Nacht in unserer engen Steinhauswohnung auf dem Korridor in
meinem Bett mit der Katze über meiner Brust lag und für die Toten betete, betete
ich auch für Molière die arabischen Gebete. 133
Meiner Meinung nach enthält dieses Zitat den Anlass für die spätere
Abfahrt nach Deutschland: weil sie zufälligerweise die Texte von Molière
kennenlernt, sieht sie gleich ein, dass die enge, türkische Gesellschaft sie
(oder:
ihre
Kreativität)
unterdrückt
und
bedrückt.
Die
enge
Steinhauswohnung und die Katze auf ihrer Brust können hier als Metapher
für die Unterdrückung ihrer Freiheit gesehen werden. Die teleologische
Entwicklung und Progression spielen also doch eine Rolle in dieser
Geschichte, trotz des so genannt männlichen Charakters jener Plotmuster.
Der
teleologische
Plot
entfaltet
sich
allmählich,
dadurch
dass
die
emanzipierte Haltung der Ich-Figur zur Befreiung und Progression führt,
anstatt einer zyklischen Wiederholung von zum Beispiel islamitischen oder
türkischen Bräuchen. Die Bedrückung, die sie auf einmal fühlt, mündet aber
zuerst in einer ernsthaften Identitätskrise, die noch stärker wird, weil das
Mädchen gerade in der Pubertät steht. Sie fängt an zu schreiben, kann aber
mit
ihren
dichterischen
Eltern
oder
Qualitäten
ihrer
werden
Großmutter
unterschätzt,
nicht
weil
darüber
sie
reden,
scharf
mit
ihre
der
Nüchternheit der älteren (analphabetischen) Generationen kontrastieren:
Ich las dem Onkel die Sätze aus dem Wassermelonenzimmer vor. Meine Mutter
schämte sich, sie sagte: “Diese närrischen Wörter werden ihren dünnen Körper noch
dünner machen.” Der Onkel sagte: “Aman Fatma, bist du närrisch? Kauf ihr Bücher
der klassischen Dichter.” 134
Der Onkel ist somit der einzige, der ihr Talent anerkennt. Das ist für die IchErzählerin der Anlass, sich gleich in ihn zu verlieben. Der sexuelle Trieb,
den sie jetzt erfährt, macht sie noch närrischer. “Ihr Feuer sollte jemand
133
134
Özdamar: Karawanserei. S. 273.
Ibid., S. 328.
61
löschen” 135, behauptet Ay
ș e, und obgleich die Großmutter am liebsten ihre
Enkelin verheiraten würde, verrät ihre romantisch-naive Gelassenheit, dass
Ayşe sich noch sehr gut an ihre eigenen Verliebtheiten erinnern kann. Die
wunderschöne untenstehende Beschreibung der ‘süßen Bonbon-Mimik’ soll
den Leser davon überzeugen, dass Ayşe noch ein junges Herz hat und somit
ihre Enkelin sehr gut versteht:
Ich erzählte meiner Großmutter, daß ich einen Jungen liebte, der Klarinette spielte,
weil sie ein Saxophon nicht kannte. Großmutter löste ihr Kopftuch vom Kinn, das
Kopftuch hing über ihrer Schulter, die Wangen rosa, und ihr Mund bewegte sich so,
als ob ich ihr gerade einen süßen Bonbon zum Lutschen gegeben hätte. Großmutter
sagte: “Ist er schön?” “Sehr schön.” Großmutter sagte: “Wenn er schön ist, nehmen
wir ihn als Mann zu dir, du bist auch schön. Zwei Nackte gehören ins selbe Bad.”
Ich sagte: “Nein, Großmutter, wir trinken nur Tee.” 136
Ayșe löst gleich ihr Kopftuch, obgleich sie sonst zwei Kopftücher
übereinander trägt, was beinhaltet, dass sie normalerweise eher altmodisch,
abergläubisch und gehemmt ist. Das Kopftuch lösen ist in dem Sinne
Ausdruck einer kindlichen Aufregung, als ob sie sich in diesem Moment
sehr stark an die frühere Freiheit aus ihrer Jugend erinnert, an die Zeit, in der
sie noch kein Kopftuch tragen musste. Ihr altmodisches, pragmatisches
Benehmen soll jetzt dem romantischen Gefühl nachgeben. Die Emotion von
Ayse ist jedoch anders als die nüchterne Reaktion der Mutter, die lieber
nicht will, dass ihre Tochter sich von den Männern zu einem unfreien
Lebensstil
verführen
lässt.
Dafür
ist
die
Hauptfigur
jedoch
viel
zu
unabhängig: gleich nachdem ihr Bruder Ali in die Schweiz gegangen ist,
fühlt sie wieder den unheimlich starken Drang nach Freiheit, plötzlich
“merkte [sie], dass [ihre] Füße nicht mehr am Boden waren.” 137 Sie lässt
sich die Haare rasieren, um ihre Sehnsucht nach freiem Benehmen zu
befriedigen und erneut spürt sie dieselbe Art Nervosität, die sie einst gefühlt
hat, bevor sie in der Psychiatrie gelandet war. Ihre Nervenkrankheit ist – wie
bei Molière 138 – zwar eingebildet und gewissermaßen inszeniert, aber es ist
trotzdem das Symptom einer innerlichen Unzufriedenheit.
135
Ibid., S. 330.
Özdamar: Karawanserei. S. 337.
137
Ibid., S. 364.
138
Der eingebildete Kranke von Molière (1673) handelt von einem Hypochonder, der sich von
zahlreichen Ärzte versorgen lässt. Die Ärzte kümmern sich aber nicht sosehr um seine Gesundheit, als
um sein Geld. Die Ich-Erzählerin hat eine Rolle in diesem Stück gespielt.
136
62
Die
Nervenkrankheit
und
ihr
hyperenergetisches
Benehmen
stehen
gerade gegenüber den depressiven Launen und dem Mangel an Energie der
Mutter. Sowie die Mutter von der Gesellschaft überfordert und deswegen
auch depressiv wird, so wird das Mädchen nicht genug stimuliert oder
motiviert, so dass sie letztendlich nervenkrank wird. Da sie sehr resolut für
sich selbst geschworen hat, sie werde Schauspielerin werden, begreifen wir,
dass
jene
Nervenkrankheit
erst
in
einer
neuen,
kreativen
Umgebung
aufgelöst werden kann. Die enge Atmosphäre der türkischen Gesellschaft
war damals noch nicht progressiv genug, als dass sie ein richtiger Ort für sie
bieten
könnte;
es
gab
einfach
noch
zu
viel
Konformierung
und
Indoktrination.
Die Identitätskrise hat selbstverständlich damit zu tun, dass sie das
Eigene nicht mehr als normal anerkennt. Die Selbstverfremdung ist so
abrupt,
dass
es
zu
psychischen
Problemen
führt.
Die
Naivität
und
Unbesorgtheit, die sie einst in der Übergangszone zwischen der Kindheit
und
dem
Früherwachsensein
gekannt
hat,
sind
jetzt
verschwunden.
Sie
bekommt Angst vor dem Eigenen: das sehen wir indirekt in ihrer Angst vor
dem Atatürkmausoleum, sowie in der Angst vor der Schule. Sie sieht
allmählich ein, dass sie nur einen verschwindend kleinen Teil der Welt
kennt; ihr beschränkter Erfahrungshorizont wird sie daran hindern, ihre
literarischen Qualitäten zu entwickeln. Sie will nicht alles kennen, sondern
sie will über alles schreiben können:
Ich ging wieder in das Gymnasium, es war die gleiche Schule, der gleiche Garten,
aber irgendwas war zu groβ, waren die Lehrer zu groβ? Die Kreide war zu groβ. Die
Namen, die die Schüler auf ihre Tische gekritzelt hatten, warenβ. auch zu gro
Beatles, Beethoven. […] 139
Zu diesem 10-Finger-Tipp-Kurs kamen auch zwei Universitätsschulerinnen.
Sie erzählten von Mozart. Der Name machte mir Angst. Wie schrieb
Mozart? 140
[…]
man
Sie bekommt also Angst zum Schreiben, Angst für die fremden
Wörter, die nach nichts verweisen, weil der türkische Kontext zu beschränkt
ist für solche groβen Wörter. Die Schule vermittelt jetzt Kenntnis über den
Westen, aber sie ist noch zu sehr in den türkischen Kontext eingebettet; sie
hat ihre Strukturen noch immer nicht weiterentwickelt. Deswegen sind die
139
140
Özdamar: Karawanserei. S. 364.
Ibid., S. 368.
63
Kreider also zu groβür fjene Schule, die neue K
altmodischen
pädagogischen
Strukturen
enntnis passt nicht zu den
hinzu.
Die
Indoktrination,
der
Patriottismus und die bekannten sozio-kulturellen (patriarchalen) Strukturen
der türkischen Gesellschaft kommen ihr jetzt fremd vor.
Sie kennt sogar ihren Bruder Ali nicht mehr, der jetzt seine Autorität
des ältesten Sohnes gelten lässt und seiner Schwester verbietet, noch in
seiner Nähe zu laufen.
Aus dem Dunklen kam eine fremde Stimme. Ich dachte, in der Kellerwohnung in
der unbarmherzigen Grabmalstraße gibt es einen Geist, der halb Mann, halb Frau
und ein Riese ist. Es war mein Bruder Ali. Ali hatte eine andere Stimme gekriegt, er
wollte nicht mehr neben mir auf der Straße laufen. 141
Es fällt jedoch auf, dass Ali nicht sosehr nach dem islamitischen
Gesetz handeln wollte, in dem die Ehre der Familie vom ältesten Sohn
beschützt werden soll, sondern dass er vielmehr Angst davor hat, dass die
Mädchen denken würden, seine Schwester sei seine Geliebte. Es ist also nur
eine Strategie zum Verführen der Frauen. Trotzdem wird die junge Frau sich
allmählich bewusst, dass sie in der Türkei als Frau immer weniger als die
Männer sein wird. Ihre emanzipatorische Anpassungsfähigkeit hat ihr lange
Zeit
geholfen:
als
sie
zum
Beispiel
die
Tücher
ihrer
Tage
in
den
Wassermelonenraum vor den Männern des Hauses verstecken muss, macht
sie aus diesem Raum letztendlich einen Ort der Kreativität, in dem sie zu
schreiben anfängt.
Als die Tantentücher in diesem sehr kleinen Wassermelonenraum hingen, fing ich
an, darin zu schlafen. Ich machte in der Nacht Kerzen an, saß im Bett, schrieb
Sätze, hing die Blätter zwischen die nach Soda riechenden Tantentücher an die
Wäscheleine, die Wäsche roch sauber, ich roch nach Melonen. Ich roch mich gerne,
roch das Papier gerne, ich ließ mir in dem Barbierladen, in den mein Vater ging,
meine Haare nicht auf 0, aber sehr kurz, auf Nr. 1 schneiden. 142
Durch ihre emanzipierte Haltung macht sie immer aus der Not eine
Tugend, bis sie dazu jedoch am Ende keine Kraft mehr hat. Sie kann sich
letztendlich nicht mehr an der Hoffnung aufrichten: sie “versuchte in den
Himmel zu klettern, der Himmel war steil.” 143 Vorher hatte sie sich noch an
den Worten ihres Vaters aufgerichtet, als er sie während ihrer Krankheit zu
141
Özdamar: Karawanserei., S. 323.
Ibid., S. 326.
143
Ibid., S. 366.
142
64
trösten versuchte. 144 In dem Moment, in dem sie keine Hoffnung mehr hat,
sagt sie ihren Eltern schließlich, dass sie nach Deutschland gehen wird.
Der Roman ist teleologisch aufgebaut, aber anders als bei Özdogan
wird nicht gezielt auf die Anpassung an die Normen und Werte der soziokulturellen Umgebung. Es wird schon früh suggeriert, dass die Hauptfigur
immer aus der Reihe tanzen wird. Es wird unterstellt, dass die Keime der
Kreativität und der literarischen Qualitäten schon von jung an in ihr
anwesend
sind.
Ihre
ganz
persönliche,
kindlich-naive
Wahrnehmung
der
Wirklichkeit kulminiert so in eine Art Dichtung-Wahrheit, die sie dazu
anregt,
zu
schreiben.
Die
orientalistischen
vonș Ay e
Erzählungen
und
Fatma und die okzidentalen, ‘klassischen’ Erzählungen führen zum eigenen
Schreibstil und veranlassen sie dazu, ihre eigenen Erzählungen zu schreiben.
Durch
die
ganze
Geschichte
werden
vor
allem
die
Übergangsmomente
betont, die jedoch – im Gegensatz zu den Schwellenerfahrungen in der
Tochter des Schmieds, sowie die Ehe, die Schwangerschaft usw. - nicht
universal oder kollektiv bedingt sind, sondern ganz persönlich und ‘anders’
sind. Es gibt immer einen emanzipatorischen Bruch mit der normativen
Umgebung, dadurch dass sie in jedem Moment auf der Schwelle zwischen
zwei Welten steht: sie ist nie an einem Ort, sondern immer an zwei Orten
zugleich.
Die
Distanz
zur
männlichen
und
zugleich
auch
zur
weiblichen
Gemeinschaft macht, dass sie besser dazu im Stande ist, den Vielfalt und
Kompliziertheit der Gesellschaft zu beschreiben. Als ungeborenes Kind ist
sie nicht nur im Uterus, sondern lebt sie auch schon zwischen den Soldaten.
Als Baby befindet sie sich auf der Schwelle zwischen Leben und Tod, als
Mädchen lebt sie in einer Männerwelt, als junge Frau lebt sie zwischen
Himmel und Erde, denn ihre Füße berühren die Erde nicht mehr. Die
‘Zigeunerin’ hat uns vor allem beweisen wollen, dass alle Übergangszonen zwischen dem Eigenen und dem Fremden - als antithetische, mögliche
Wirklichkeiten gegenüber dem konformierten und normierten Leben gelten
können. Die Synthese des Fremden und Eigenen gibt es dann, dadurch dass
man
144
die
Normalität
verfremdet
und
das
Fremdartige
normalisiert:
die
Ibid., S. 314.
65
Abfahrt nach Deutschland ist in dem Sinne für sie die am meisten heilsame
Methode, sich wieder normal zu fühlen.
Dadurch
dass
Özdamar
ihre
eigene
Lebensgeschichte
auf
so
persönliche Art und Weise beschrieben und inszeniert hat, könnte man
schließen, dass das Endergebnis – der Roman – jene Synthese des Eigenen
und Fremden verkörpert, denn die biographische Erzählung wirkt tatsächlich
befremdend, während das Fremde fürs deutsche Publikum hier gerade als
sehr erkennbar und normal beschrieben wurde.
8. Die Handlung und der Plot in der Tochter des Schmieds:
Kontinuität und Zyklizität.
Den
Plot
in
der
Tochter
des
Schmieds
könnte
man
als
einen
Familienplot bestimmen, in dem die Ereignisse in der Familie des
Schmieds behandelt werden. Die Kontinuität und Stabilität des Alltags
spielen eine viel größere Rolle als in der Erzählung von Özdamar. Die
Progression zu einer neuen, modernen Gesellschaft wird nur am Ende
vorgeführt,
als
Plotentwicklung
kausale
ist
jedoch
Legitimation
wenig
der
persönlich:
Migration.
in
jedem
Die
Moment
bekommt der Leser das Gefühl, dass die teleologische Entwicklung von
A bis Z universal und kollektiv bedingt ist. Die Tugenden und Lasten
des Lebens werden sachlich und nüchtern beschrieben, als ob der
Mensch
in
seinem
Leben
immer
mit
der
selben
Problemen
und
Konflikten konfrontiert wird.
Die Erzählerin aus der Karawanserei hat sich wenigstens noch
gefragt, “warum die Menschen mal so, mal so sind. ” 145 Özdogan hat
den Charakter von Menschen und ihre Handlungen jedoch als ziemlich
vorhersagbar
geschildert.
Der
starke
Schmied
kultiviert
seine
Umgebung, die schöne Fatma bezaubert jeden mit ihrer Schönheit, mit
ihren
Märchen
und
mit
ihrem
schlichten
Benehmen,
die
böse
Stiefmutter vernachlässigt die Kinder des Schmieds; der Schmied sagt
145
Özdamar: Karawanserei. S. 69.
66
sogar über Arzu, dass sie hässlicher als Fatma ist. Sein Feind Tufan
fängt einen Streit an, anstatt mit dem Schmied über seine Probleme zu
reden. Die schlechten Menschen lügen und betrügen (Zeliha, Özlem,
Tufan) und die guten Menschen werden nur betrogen und belogen. Die
Handlungen
sind
Darstellung
mit
anderen
eingerahmt,
die
Worten
in
einer
stark
mit
dem
sehr
Schwarz-Weißpositiven
oder
negativen Charakter von Leuten zusammenhängt.
So
wird
schon
am
Anfang
des
Buches
der
unkomplizierte,
schlichte Charakter des Vaters von Timur extra betont. Seine noblen
Charakterzüge
werden
dem
nüchternen
Charakter
von
seiner
Frau
Zeliha auf unverholene Art und Weise entgegengesetzt. Timurs Vater
war
großzügig:
genetisch
die
übertragen
Timur von
der
verschwenderischen
worden,
Erzählinstanz
denn
auch
Launen
später
öfters
sind
werden
als
wir
offensichtlich
sehen,
freigebig und
dass
sogar
verschwenderisch dargestellt wird.
Wenn die kleinen Mädchen vor der Schmiede auf der Straße spielten, ging
Necmi manchmal hinaus und rief sie zu sich. Dann nahm er sie mit zum
Krämer, wo die Mädchen ihre Röcke schürzten und jedes eine Handvoll
Süßigkeiten hineinbekam. Und Timurs Vaters hatte riesige Hände. Als er
anfing, in der Schmiede zu arbeiten, hatte Timur diese Gewohnheit seines
Vaters übernommen. 146
Es fällt auf, dass Özdogan durch die Plotentwicklung vor allem
auf die Kontinuität des schlichten Charakters in der Familie des
Schmieds fokussiert hat. Nicht nur die Komplementarität der Eltern,
Necmi und Zeliha, wird oft betont, sondern auch die Tatsache, dass er
ihre guten (körperlichen und mentalen) Eigenschaften geerbt hat, in
Kombination mit einer tüchtigen und verantwortlichen Aufziehung. Es
ist, als ob Özdogan uns hätte sagen wollen: das positive Gleichgewicht
von nature-nurture hat zweifellos zum charismatischen Charakter des
Schmieds geführt. Die freundliche Natur des Vaters und die sachliche,
nüchterne aber zugleich auch sorgsame Natur der Mutter: durch diese
Kombination hat die Erziehung von Timur viel abgeworfen.
Die riesigen Hände des alten Schmieds sind zum Beispiel schon
eine Anspielung auf die körperliche Kraft und vielleicht auch auf die
146
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 12.
67
Qualität seines Handwerkes. Die körperlichen Qualitäten des jungen
Schmieds Timur sind auch von Anfang an betont: er ist ein starker
Löwe und stolzer, breitschultriger Leiter. Trotz jener Kraft und seines
stolzen Charakters, macht er doch, was von ihm verlangt wird: er
gehorcht seinen Eltern. Der Schmied übernimmt die Schmiede von
seinem
Vater,
ohne
zu
rebellieren.
Er
verheiratet
sich
nach
dem
Wunsch seiner Mutter mit Fatma, nachdem er sich jenem Plan ein
wenig widersetzt hat. Die Tradition der türkischen Gesellschaft und die
sozio-kulturelle Struktur besorgen dem Schmied keine Schwierigkeiten,
wohl im Gegenteil. Er passt sich gefügig seinem Schicksal an, und
weiß sogar das Beste aus der Situation zu machen. Es wird schon sehr
früh
deutlich
gemacht,
dass
das
Verantwortlichkeitsgefühl
des
Schmieds und seine Lebensfreude ihm zum Vorteil gereichen werden.
Mit der richtigen Frau an seiner Seite, wird er ja ein möglichst
bequemes Leben führen.
Timur ist dankbar, er ist dankbar, und er glaubt, daß das Leben immer größer
und schöner werden wird, solange Fatma an seiner Seite ist. Gestern noch war
er ein kleiner Junge, und heute ist er mit ihr verheiratet und glaubt, daß sie
alle Gefahren gemeinsam meistern werden. 147
Die
Anpassungsfähigkeit
an
die
Normen
und
Regel
des
Patriarchats finden wir übrigens nachher auch bei Gül zurück: die
absolute
Eingliederung
in
den
System
wird
also
von
der
älteren
Generation an die jüngere Generation weitergegeben.
Die
Zyklizität
des
Lebens
ist
hier
allerdings
mehrmals
akzentuiert worden: der Sohn erbt die Schmiede und sorgt für seine
Mutter und Schwester nach dem Tod des Vaters. Seine Mutter spornt
ihn
dazu
an,
die
Fatma
zu
heiraten.
Er
gehorcht
seiner
Mutter
letztendlich; der Schmied und seine Frau führen eine glückliche Ehe
und bekommen rasch drei Kinder. Es wird übrigens nach der Geburt
des dritten Mädchens kein Geheimnis daraus gemacht, dass Timur auch
einen Sohn bekommen will, um die Zyklizität aufrecht zu erhalten:
-Vier Töchter, dem Herrn sei es gedankt. Er streicht Gül abwesend über den
Kopf, läßt seine Hand in ihrem Nacken ruhen. – Doch wenn der Allmächtige
mir auch einen Sohn schenken könnte…Er sieht auf Arzus Bauch, es ist das
147
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 28.
68
erste Mal, daß er diesen Wunsch laut vor seiner Ältesten äußert. – Wenn der
Barmherzige mir einen Sohn schenkt, gelobe ich, daß ich aufhören werde zu
rauchen. 148
Der Sohn ist der wichtigste Erbe, weil jener die Schmiede
später übernehmen soll. Der Sohn bleibt außerdem als einziger in der
Elternwohnung, um für die eigenen Eltern zu sorgen, während die
Mädchen
immer
bei
den
Schwiegereltern
einziehen.
Die
Mädchen
nehmen auch eine Aussteuer mit, die dann selbstverständlich nur der
Familie des Ehemannes zu Gute kommt.
Die Komplementarität von Zeliha und Necmi, den Eltern von
Timur, echot weiter in die Ehe von Fatma und Timur: Necmi war auch
sehr
verschwenderisch,
Zeliha
hat
immer
das
Geld
verwaltet.
Als
Timur die Schmiede übernimmt, tut sie für ihren Sohn dasselbe, so dass
es den Anschein hat, dass die Frauen doch immer mehr common sense
haben als ihre Ehemänner. Die Männer sind impulsiv, die Frauen sind
berechnend.
Die
Aufgabenverteilung
und
unterschiedlichen
Bereiche,
in denen entweder der Mann oder die Frau die Verantwortlichkeit trägt,
sind so stark von den sozio-kulturellen, gender-orientierten Strukturen
der Gesellschaft beeinflusst worden, dass sie überhaupt nicht in Frage
gestellt werden. Fatma verwaltet später auch das Geld von Timur, weil
er
offensichtlich
keine
Sparsamkeit
kennt.
Die
Männer
bekommen
natürlich sowieso mehr Chancen, das Geld zu verschwenden, weil sie
nicht immer zu Hause bleiben müssen. Die Vergnügungsfahrten von
Timur sind ja Privilegien, die überhaupt nur für Männer gelten. Der
asketische Sparzwang von Frauen wie Fatma, Zeliha beruht in dem
Sinne auf einer Art Scheinverantwortlichkeit; sie verwalten zwar das
Geld ihres Mannes, aber die Männer entscheiden trotzdem darüber, was
sie mit dem Geld anfangen wollen. Als Timur sein Geld in Ankara
vergeudet, sagt Fatma auch nicht einmal etwas darüber.
Sie fand, daß sie Glück gehabt hatte mit diesem Mann. Es machte ihr nichts
aus, daß er die Hälfte des Geldes, das er für die Teppiche erhalten hatte,
verjubelte, auch wenn sie einen ganzen Sommer dafür am Webstuhl gesessen
hatte. Natürlich gab es manches, das sie störte. […] Fatma machte sich keine
Sorgen, er verdiente gut, es war immer Geld da, aber sie hatte begriffen, daß
er mit diesem Geld nicht umgehen konnte, und sie ahnte, daß auch andere
148
Ibid., S. 112.
69
Tage kommen würden. Doch solange er an ihrer Seite war, konnte sie auch
diesen Tagen lächelnd entgegensehen. 149
Das
optimale
Glück
in
einer
komplementären
(Muß)Ehe
erreicht man also vor allem durch zahlreiche Kompromisse, durch
Wohlwollen
und
wohlüberlegtes
Stillschweigen,
um
des
lieben
Friedens willen. Diese kompromittierende Haltung findet man auch bei
Gül wieder, obwohl die Erzählinstanz indirekt anzeigt, dass es in der
Ehe von Gül nicht dasselbe Gleichgewicht gibt, als in der ersten Ehe
ihres Vaters:
Als der Mann der Familie verwaltet Fuat das Geld, investiert es in
Glücksspiel oder Alkohol.[…] Was ihm in jungen Jahren das Glücksspiel ist,
wird ihm im mittleren Alter das Lottospielen sein und im Alter, wenn er es
geschafft hat, einiges auf Seite zu legen, die Börse. Nie wird er den Traum
aufgeben, ohne Arbeit von einem Tag auf den anderen reich zu werden. 150
Die Komplementarität fehlt hier gewissermaßen, weil der Respekt und
das
Vertrauen
nicht
ausreichend
sind.
Die
Erzählinstanz
redet
geringschätzig über das naive Verlangen von Fuat, über Nacht reich zu
werden: es wäre besser, sein Geld mit Schwitzen zu verdienen, anstatt
es nur so zu gewinnen. Er hätte die Verwaltung des Geldes besser
seiner Frau überlassen oder er hätte sich wenigstens auf ehrliche Arbeit
konzentrieren können, ohne dem sofortigen Erfolg nachzujagen.
Das Geld in der Pappschachtel mehrt sich, doch eines Tages, in diesem
grauen matschigen Herbst, beobachtet Gül, wie Fuat einen Schein in den
leeren Karton legt. Sie sieht ihn fragend an. – Es ist weg, sagt Fuat leichthin.
Gül hebt die Hände, schiebt den Kopf vor und zieht die Augenbrauen hoch:
Wohin? – Das Leben ist ein Spiel. Wer nichts gewagt, der gewinnt auch
nichts, stellt Fuat fest. Es scheint ihn nicht zu bedrücken. – Wenn du mir eine
Nähmaschine kaufen würdest, könnte ich auch etwas verdienen, sagt Gül. –
Wieviel würde das denn sein? – Zehn Kuruş sind zehn Kuruş, sagt Gül. 151
Fuat hat also das Geld verspielt. Der Gegensatz zum noblen
Charakter des Schmieds ist auffallend: der Schmied hat wenigstens
noch einiges angeboten bekommen für sein gutes Geld: er hat immer
einige Tage in Ankara verbracht, um zur Ruhe zu kommen. Er hat
übrigens
die
Wertschätzung
Arbeit
ist
von
bei
Fatma
Fuat
immerhin
ganz
und
sehr
gar
geschätzt;
jene
verschwunden.
Die
sarkastische Bemerkung -“Wieviel würde das denn sein?” – zeigt dem
Leser
die
Arroganz
von
Güls
Ehemann.
Die
verschwenderischen
149
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 24.
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 296
151
Ibid., S. 288
150
70
Launen von Fuat sind nicht so unschuldig wie die vom Schmied, eben
weil er den Respekt seiner Frau noch nicht verdient hat. Meiner
Meinung nach steht Fuat deswegen auch für die moderne Zeit Symbol:
der Unterschied zwischen dem schlichten Charakter des Schmieds und
dem arroganten Charakter von Fuat deutet auf eine Zerstörung der
ursprünglichen Komplementarität von Mann und Frau. Fuat guckt nach
vorne, Gül guckt nach hinten. Fatma und Timur haben jedoch von der
Hand in den Mund gelebt, sie haben gemeinsam jeden Tag “lächelnd
entgegengesehen”,
sowie
Fatma
es
im
obenstehenden
Zitat
schön
formuliert hat.
Der Plot kippt trotzdem auf einmal ins Negative um, als Fatma
stirbt und ihre drei Kinder und Timur allein zurückbleiben. Der Alltag
geht jedoch unerschütterlich weiter, und bald bekommen die Kinder
eine ‘neue’ Mutter. Die rasche Entscheidung, Arzu als neue Frau zu
nehmen, soll die pragmatische, normierte Lebensweise noch
einmal
extra betonen. Arzu hatte schon eine Ehe geführt; diese Ehe musste
später jedoch aufgelöst werden, weil ihr Mann nicht dazu im Stande
war, ihr Kinder zu schenken. Diese unglückliche Frau bekommt jetzt
eine neue Chance, sich einen Platz in der Gesellschaft zu erobern. Ohne
Kinder und Mann würde es ihr überhaupt nicht gelingen und würde sie
noch lange “zum Gespött der Leute” 152 sein. Die berechnende Haltung
von Zeliha wird in untenstehendem Zitat zwar stark betont, aber dem
Leser wird auch gezeigt, dass Tradition und Normativität am stärksten
die Haltung der Leute beeinflussen. Es gibt ja für jede Situation Regeln
und Ausnahmen; wie auch für die Situation von Arzu und Timur:
Kennst du Arzu, die Tochter des Kutschers Faruk? [Hülya] – Diese junge
Frau, die drei Brüder hat. […] – Ja, genau die. Ihr Vater wird sie uns
bestimmt geben. – Wieso? Wieso sollte er das tun? Warum sollte er seine
Tochter mit einem Witwer verheiraten? Nur weil Timur etwas Geld hat?
Warum sollte Faruk seine Tochter jemandem geben, der drei kleine Kinder
hat, die man großziehen muß? Zeliha schüttelt langsam den Kopf. – Du
kennst die Geschichte nicht? […] Sie haben sie verheiratet, als sie vierzehn
war, und dann […] hat sich herausgestellt, daß er ihm nicht steht. […] – Sie
ist noch…? Zeliha nickt. 153
152
153
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 105
Ibid., S. 62.
71
Der
radikale
Pragmatismus,
der
auch
im
unbewogenen
Erzählstil widerspiegelt wird, steht ja in schroffem Gegensatz zum
emotionalen Benehmen der Ich-Erzählerin und ihrem kindlich-naiven
Schreibstil
in
der
Karawanserei.
Die
Mitglieder
der
traditionellen
türkischen Gesellschaft werden von den zahlreichen Regeln, die die
öffentlichen
und
privaten
Bereiche
ganz
präzis
und
effizient
strukturieren, dominiert. Der freie Wille ist hier der pragmatischen
Ordnung der Gesellschaft untergeordnet. Es scheint so, als ob es für
jede bekannte Situation bestimmte Regeln gibt. Die ganze Gesellschaft
ist also sehr streng organisiert und somit gerade das Gegenteil der
chaotischen,
vielseitigen
Gesellschaft,
die
Özdamar
beschrieben
hat.
Die Kollektivgeschichte von Özdogan fokussiert deswegen auch gar
nicht auf Dissidenten oder deviante Figuren, die aus der Reihe tanzen.
Die Dissidenz wird einfach totgeschwiegen oder tabuisiert. So wird
zum Beispiel nicht darauf eingegangen, was gerade mit dem damaligen
Ehemann von Tante Hülya passiert ist; in der Erzählung von Özdogan
wird
fast
alles
verschwiegen,
was
die
öffentliche
Ordnung
stören
könnte.
Die
Plotentwicklung
ist
nur
indirekt
beschäftigt
mit
dem
unehrlichen Schicksal der Frauen, die oft in der Tat zum Schweigen
verurteilt
sind
patriarchalisch
und
keinen
strukturierten
richtigen
Gesellschaft
Ausweg
aus
bekommen.
der
Der
streng
Erzähler
verrät auf einmal seine pessimistische Sichtweise, als er über die
aussichtslose Situation von Gül redet:
Alle haben gelogen. Sie weiß die
ist allein. Zum ersten Mal in
niemanden, zu dem sie gehen
Allein. Wenn es einmal so weit
aber das weiß sie noch nicht. 154
Wahrheit, aber sie kann sie nicht teilen. Sie
ihrem Leben ist sie ganz allein. Es gibt
könnte, niemanden, der ihr glauben wird.
gekommen ist, hört es nie wieder ganz auf,
Jene Kommentar des Erzählers verrät die künftige Plotentwicklung und
die
Handlungen
fundamentale
der
Einsamkeit
Figuren
von
durch
Gül
ist
die
ganze
anders
als
Geschichte.
Die
im
von
Roman
Özdamar nicht durch eine emanzipierte Haltung verursacht worden,
sondern durch den passiven Konformismus. Dadurch dass sie immer
154
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 81.
72
geschwiegen hat, immer die Verantwortungsvolle gewesen ist, immer
betrogen und belogen worden ist, immer sich selbst geblieben ist und
kaum Emanzipation oder Entwicklung nachgestrebt hat, wird sie am
Ende eine verbitterte Frau sein. Die kleinen Dinge, die sie für sich
selbst tut, sind wenig zahlreich, im Gegensatz zum egozentrischen
Benehmen der Ich-Erzählerin in der Karawanserei.
Jahrelang wird sie das Geld, das sie für Zigaretten braucht, von ihrem
Haushaltsgeld abzwacken und ohne Fuats Wissen rauchen. Sie wird
Sonderangebote studieren und Schnäppchen jagen, sie wird auf eine
Strickjacke oder einen Wintermantel verzichten, um ihren Töchtern den einen
oder anderen Wunsch zu erfüllen. Doch da es bei weitem nicht alle Wünsche
sein werden, wird sie ergrimmt sein über ihren Mann, der seinen Freunden
oder selbst Fremden gegenüber gern großzügig ist und sie viel häufiger
einlädt, als es die Höflichkeit und der Anstand verlangen. Seinen Töchtern
aber wird er nicht einmal eine zweite Barbiepuppe kaufen. 155
Die
Freiheit
von
opportunistische
Gül
beschränkt
Handlungen,
die
sich
also
keineswegs
auf
das
einzelne,
angeberische
Benehmen von Fuat übertreffen können, der sich selbst und sogar
Fremden
gerne
verwöhnt.
Die
egoistische
Haltung
von
Fuat
wird
dadurch noch schlimmer, dass er anderen gegenüber großzügig ist, aber
nicht seiner Familie. Hier sehen wir wiederum den Kontrast mit dem
Schmied, der vor allem seiner Familie gegenüber großzügig war, und
die Meinung der anderen Leute weniger wichtig fand. Die Geschichte
von
Özdogan,
die
ganze
Schwarz-Weiß-Darstellung
Plotentwicklung,
charakterisiert
könnte
werden:
somit
der
wie
eine
Schmied
und
seine Tochter sind wirklich zu gut für die lügende Welt, sie sind mit
ihrem
schlichten
Charakter
fast
noch
allein
auf
der
Welt.
Ihre
Handlungen werden so oft idealisiert, dass sie zu Konzepten geworden
sind; sie repräsentieren das einfache, traditionelle Leben in der Türkei,
in dem Menschen sich nur um die Familie kümmerten und weniger mit
sich selbst beschäftigt waren. Es ist, als ob Özdogan mit dem Finger
auf den Kapitalismus gezeigt hat, der eine Umwertung aller Werte
verursacht hat.
155
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 297.
73
9. Die Figurencharakterisierung: von Kategorisierung in der Tochter
des Schmieds bis zur Personalisierung in der Karawanserei.
Marion
Gymnich
hat
die
Modelle” 156
“mentale[n]
aus
der
rezeptionsorientierten Narratologie von Ralf Schneider, “mittels derer
sich
die
Konstruktion
lässt” 157,
beschreiben
als
von
Figuren
Ausganspunkt
im
für
Rezeptionsprozess
eine
gender-orientierte
Analyse genommen. Ich werde die mentalen Modelle benutzen, um zu
zeigen,
dass
die
Charakterisierung
der
Figuren
der
graduellen
Verschiebung von Konformismus zur Emanzipation entspricht.
Das erste Modell handelt von der Kategorisierung von Figuren.
Jene
Kategorisierung
Soziale
vereinigt.
Kategorien
Die
stereotypisierte
beruht
und
logische
Geschichte
auf
unserem
literarische
Kategorien
Argumentation
von
Wissen,
Özdogan
wäre
mehr
laut
werden
hier
Schneider.
zu
dann,
Typen
dass
kategorisierte
die
Figuren
enthält, als die Geschichte von Özdamar. Ich habe vorher schon einige
Charakterzüge erwähnt, die in der Tat auf eine gewisse Kategorisierung
deuten.
Der
erste
Typus
ist
zum
Beispiel
die
böse
Stiefmutter/Adoptivmutter. In der Tochter des Schmieds wird Arzu
undoppeldeutig als opportunistisch umschrieben. Es hat nichts damit zu
tun, dass sie die Stelle der biologischen Mutter eingenommen hat,
sondern vielmehr mit der unzulänglichen Verantwortlichkeit und der
fehlenden Sorgsamkeit. Ich verweise andermal auf die ‘Volksweisheit’
über Stiefmütter, die anscheinend der Realität entspricht:
Das Mädchen, dessen Mutter stirbt, hält sich für eine Mutter, sagt man. Weißt
du das? [Gül] –Ja. Meistens glauben die Leute, daß Gül nicht zuhört, wenn
die Worte der Ahnen in ihrer Gegenwart zitiert werden. Wer keine Mutter hat,
hat auch keinen Vater. Stiefmütter geben verwässerten Ayran und die
verbrannte Ecke des Brotes. Sie kennt diese Sprichwörter, die für sie alle das
gleiche bedeuten: Sie muß auf ihre Schwestern achtgeben. 158
156
Marion Gymnich: “Konzepte literarischer Figuren und Figurencharakterisierung.” In:
Erzähltextanalyse und Gender Studies. Hrsg. von Vera und Ansgar Nünning. Stuttgart: Metzler. 2004.
S. 122-142, hier S. 130-131.
157
Ibid., S. 130.
158
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 100.
74
Der bedingungslose Altruismus der biologischen Mutter, die Bindung
der Mutter zu den eigenen Kindern impliziert hier zweierlei: Arzu wird
sich immer mehr um ihre eigenen Kinder kümmern, als um die Kinder
des
Schmieds.
Deswegen
muss
Gül
also
ihre
Verantwortlichkeit
aufnehmen und die fehlende Mutterliebe zu kompensieren versuchen.
Die zweite Kategorisierung in der Figurencharakterisierung ist
die der Schwiegermutter. Zeliha und Berrin, die Schwiegermutter von
Arzu und Fatma bzw. die Schwiegermutter von Gül, sind meistens
skrupellose
Frauen,
die
von
einer
Art
Kaltblütigkeit
charakterisiert
werden. Das patriarchale System ist eigentlich dafür verantwortlich: als
junge Mädchen sind sie auch einst die Dienstmagd der Schwiegereltern
gewesen. Das System hat sie hart gemacht und Gül ist natürlich sehr
weich. Je älter die Frauen werden, je mehr Verantwortlichkeit, Macht
und Autorität sie bekommen. Es ist jedoch auffallend, dass hier von
Sympathie und Einfühlung kaum die Rede ist.
[Berrin]- Was ist das? fragt sie. Ist heute dein fauler Tag? Willst du, daß wir
alle frieren ? [Gül] – Es ist gar nicht so kalt. Ich mache es sofort nach dem
Frühstück, sagt Gül und nimmt aus Trotz noch einen Schluck von ihrem Tee.
Es wird schon nicht das ganze Haus auskühlen, wenn sie den Ofen zehn
Minuten später anmacht. Außerdem haben sie alle schon mal in Zimmern
geschlafen, in denen es gefroren hat. Auch ihre Schwiegermutter. – Los, los,
sagt Berrin, sitz nicht so faul rum und spiel mir den Teegenießer. 159
Die
Kategorisierung
der
Schwiegermutter
als
eine
gefühllose,
durch das Leben und patriarchale System kalt und hart gewordene Frau,
liegt also deutlich vor. Die Schwiegermutter von Fatma ist in der
Karawanserei
unendlich
viel
sympathischer
und
empathischer
dargestellt worden. Sie entspricht mehr oder weniger dem Typus der
“Mentorenfigur
im
Bildungsroman” 160,
aber
ihre
Persönlichkeit
ist
nicht nur mit der Erziehung des Mädchens verbunden. Sie ist eine
unabhängige,
dynamische
Gestalt,
die
selbst
noch
eine
gewisse
Entwicklung zur Emanzipation und zu freiem Denken erlebt. Sie ist
von ihrem Sohn abhängig, aber idealisiert ihn nicht, wohl im Gegenteil.
Sie ist zwar von den alten, patriarchalen Strukturen beeinflusst worden,
aber sie redet mehr darüber, als dass sie tatsächlich ihre Macht und
159
160
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 258.
Gymnich: “Figurencharakterisierung”. S. 130.
75
Weisheit benutzt. Ich habe schon erwähnt, dass die Beziehung zu ihrer
Schwiegertochter
Verständnis
ja
offensichtlich
beruht,
aber
nicht
trotzdem
immer
eine
auf
gegenseitigem
gewisse
Sanftheit
und
gegenseitigen Respekt aufzeigt. Als Fatma depressiv ist, versucht Ayşe
sie dazu zu motivieren, aufzustehen:
Großmutter ging mit einem Spiegel zu meiner halben Mutter, hielt ihr den
Spiegel vor das Gesicht, sagte: “Steh auf.” Mutter sagte nichts. Großmutter
hielt den Spiegel weiter vor ihr Gesicht, viele Fliegen kamen und setzten sich
auf diesen Spiegel […]. 161
Die Großmutter/ Schwiegermutter ist in der Karawanserei nicht mehr
kategorisiert, sondern personalisiert.
Zwar ergeben sich auch aus dem personalisierten mentalen Modell
Interferenzen, Hypothesen und Erwartungen, doch werden diese nicht
automatisch und unbewußt auf das Auftreten bestimmter, verläßlicher
Handlungen und Eigenschaften gerichtet, da solche nicht in dem Maße a
priori verfügbar sind wie bei Kategorisierung. 162
Die Emanzipation der Großmutter hat jene Personalisierung verursacht;
sie lässt sich von ihrer Enkelin dermaßen beeinflussen, dass sie selbst
ihre zweite Jugend erlebt.
Die
Kategorisierung
von
Fuat
ist
oben
schon
ausführlich
besprochen: er wird als Prototyp der Generation dargestellt, die wegen
des Geldes nach Deutschland gezogen ist. Fuat ist ein Kapitalist, der
außerdem nicht viel Respekt vor den Wünschen seiner Frau hat. Er ist
so egoistisch, dass er nicht einmal die Familie mehr respektiert. Die
Diskrepanz zwischen dem Altruismus von Gül, die alles für die Familie
macht,
und
seinem
Egoismus
ist
ja
auch
ein
Symptom
für
die
Diskrepanz zwischen der traditionellen türkischen Gesellschaft und der
künftigen
deutsch-türkischen
Gesellschaft.
Im
Gegensatz
dazu
steht
logischerweise die Kategorisierung vom Schmied und seiner Tochter:
sie
beide
sind
Konformismus
die
und
Repräsentation
des
kollektiven,
des
goldenen
schlichten
Zeitalters,
des
Charakters
der
türkischen Leute auf dem Lande in den fünfziger und sechziger Jahren.
Ab
und
zu
bekommen
Entstereotypisierung
161
162
und
wir
einige
Kommentare
Individualisierung
dazu,
beitragen
die
sollen:
zur
die
Özdamar: Karawanserei. S. 288.
Gymnich: “Figurencharakterisierung”. S. 131.
76
gender-Stereotypisierung
wird
an
einigen
Stellen
im
Buch
von
Özdogan abgeschwächt. Ich habe im Kapittel über die Erzählinstanz
schon
darauf
hingewiesen,
Charakterzügen
betont
sind.
bei
Jenes
dem
das
das
Schmied
und
Gleichgewicht
gender-Stereotypisierung
und
hat
ideale
Gleichgewicht
seiner
also
radikaler
Tochter
zur
am
von
meisten
Abschwächung
Kategorisierung
der
geführt.
Deswegen gibt es bei Özdogan auch eine Art Individualisierung der
Figuren.
Die Individualisierung des Schmieds und seiner Tochter ist das
zweite mentale Modell, das in meiner Lektüre vertreten ist. “Der
Unterschied
zwischen
Kategorisierung
und
Individualisierung
ist
[jedoch] nicht grundsätzlicher, sondern vielmehr gradueller Natur.” 163
Der Schmied und seine Tochter sind meiner Meinung nach idealisiert
und
stereotypisiert
dargestellt,
aber
ab
und
zu
“erfolgt
aufgrund
zusätzlicher textueller Informationen eine Erweiterung des “mentale[n]
Modell[s] einer zuvor kategorisierten Figur um neue Merkmale und
Erwartungen”. 164 Die Individualisierung von Gül ist am deutlichsten
auf der letzten Seite des Buches. Gül, die in der Geschichte vor allem
Angst bekommen hat, redet jetzt über den Tod und spricht zum ersten
Mal recht aus ihrem Herzen:
Ich habe keine Angst vor dem Tod, sagt sie, glaub mir, ich habe keine Angst
mehr vor dem Moment, in dem der Engel des Todes kommt, um mich zu
holen. Vor ein paar Jahren noch war das anders. Da wollte ich nicht sterben,
wenn ich gerade glücklich war. […] Ich habe gelogen, aber ich habe nicht
betrogen, und ich habe mich nie verkauft in diesem Leben, ich habe nie
jemanden bespitzelt oder etwas geklaut. Vielleicht auch nur deshalb, weil es
die Umstände nicht erfordert haben. 165
Dieses letzte Bekenntnis ist ganz ehrlich und offen; hier sehen wir Gül
auf einmal
als
eine
menschliche
Gestalt,
obgleich
sie sich
selbst
beschönigt und mit der Aussage “weil es die Umstände nicht erfordert
haben” ihr passives Benehmen doch mehr oder wenig zu rechtfertigen
versucht. Sie hat in ihrem Leben nichts falsch gemacht, weil es keinen
Anlass dazu gab. Eigentlich könnten wir konkludieren, dass der freie
Wille von Gül den Umständen immer untergeordnet gewesen ist, nur
163
Gymnich: “Figurencharakterisierung” S. 131.
Ibid.
165
Özdogan: Die Tochter des Schmieds. S. 308.
164
77
deshalb hat sie sich nicht slecht benommen. Sie gestattet trotzdem für
sich selbst, dass sie auch einmal glücklich gewesen ist. Jenes ehrliche
Zeugnis
ist
meiner
Meinung
nach
wertvoller
als
die
ständige
Idealisierung von Gül durch die Erzählinstanz.
Die mentalen Modelle der Entkategorisierung und Personalisierung
treffen wir nur in der Karawanserei an. Entkategorisierung bedeutet
nach
Schneider “de[n]
Informationen
Figur
über
konfrontiert
Vorgang […],
eine
zuvor
wird,
welche
bei
dem
kategorisierte
die
der Rezipient
bzw.
bisherige
mit
individualisierte
Ausgestaltung
des
Modells […] als inadäquat erscheinen l[ässt].” 166 Die Mutter von Gül
ist in dem Sinne entkategorisiert worden: sie ist eine Mutterfigur, die
von der modernen Gesellschaft und ihrem (unverantwortlichen) Mann
überfordert wurde, und deswegen depressiv geworden ist. Sie ist keine
statische
Figur;
keineswegs
ihre
mütterliche
bedingungslos
oder
Verantwortlichkeit
von
den
ist
äußeren
außerdem
Umständen
unabhängig. Im Gegensatz zur unzulänglichen Verantwortlichkeit der
Stiefmutter Arzu in der Tochter des Schmieds ist das menschliche
Benehmen von Fatma in der Karawanserei eben dafür zuständig, dass
die Mutterfigur von Fatma entkategorisiert wurde: sie ist nicht der
Ausdruck der positiven oder negativen Bewertung der Mutterfigur, sie
kann nicht einfach in diese oder jene Kategorie eingegliedert werden.
Ich habe schon erwähnt, dass ihr Benehmen manchmal paradox ist: sie
will ihre Tochter vor aller ‘Bösheit’ in der Welt schützen, aber zugleich
will sie, dass die Ich-Erzählerin eine gute Ausbildung bekommt und
sich selbst möglichst gut entwickelt, so dass sie unabhängig von einem
Mann leben kann.
Der Vorgang der Personalisierung ist also vor allem für die
Ich-Erzählerin und die Großmutter in der Karawanserei zutreffend. Die
Ich-Erzählerin
ist
ja
noch
mehr
als
die
Großmutter
personalisiert
worden. Wir müssen ihr Benehmen ständig zu erklären versuchen, denn
manchmal ist ihre Erzählung dermaßen von der eigenen Sichtweise
geprägt
166
worden,
dass
wir
ihre
Handlungen
und
Aussagen
nicht
Gymnich: “Figurencharakterisierung” S. 131.
78
unbedingt
motivieren
oder
erklären
können.
Das
“umfassende[.]
Verständnis der Figur” 167 kommt nach meiner Meinung erst am Ende
der Geschichte: ihre Geisteskrankheit, ihre dichterischen Qualitäten und
ihre emanzipierte, sonderbare Haltung haben alles in allem zur tapferen
Entscheidung der jungen Frau geführt, die Türkei zu verlassen. Das
Verlangen nach dem Fremden, das bei ihr schon von Anfang an
anwesend
ist
charakterisieren
und
die
der
ständige
Ich-Figur
als
Aufenthalt
in
Randbereichen,
normdurchbrechende
Einzelgängerin,
die durch ihren verfremdenden Blick auf die türkische Gesellschaft der
vierziger und fünfziger Jahre eine a-typische Mischung von Naivität
und Emanzipation und von Eigenem und Fremdem hervorgerufen hat.
10. Schlussfolgerung
Ich
habe
mit
diesem
kritischen
Beitrag
über
die
erzählerische
Konstruktion von Weiblichkeit zeigen wollen, dass das Geschlecht des
Autors und somit auch das Geslecht der Erzählinstanz, die Darstellung
von Räumen, die Plotentwicklung, die Handlungen von Figuren und die
Figurencharakterisierung
weitgehend
beeinflusst.
Der
auktoriale
Erzähler in der Tochter des Schmieds hat vorgegeben, die Geschichte
eines Mädchens aus der Türkei zu beschreiben, aber er hat seine
Erzählung
vor
allem
aus
männlicher
Sichtweise
gestaltet.
Die
Subjektivierung von Gül wird durch die Zentralisierung des Schmieds
unterminiert. Sie steht als Hauptfigur immer im Schatten des Schmieds,
der eine Art ideales Gleichgewicht von Tugenden und Schwächen
vertritt. Gül ist zwar auch idealisiert worden, aber sie ist als Frau doch
immer
noch
ein
Anpassungsfähigkeit
Opfer
und
des
ihr
patriarchalen
konformistisches
Systems;
ihre
Benehmen
passive
gelten
in
dieser Geschichte als höchste Tugend.
Die
Erzählinstanz
hat
die
Evokation
von
Tugenden,
wie
Verantwortlichkeit, Sorgsamkeit, Fleiβigkeit u.a. verflochten mit einem
167
Gymnich: “Figurencharakterisierung.” S. 131.
79
gender-stereotypisierten
nach
ihrem
Weltbild:
die
die
jeweilige
Geslecht,
Figuren
sind
kategorisiert
Charaktereigenschaften
je
von
Männern und Frauen sind dazu verantwortlich, dass die Gemeinde eine
weitgehende Aufgabenverteilung durchgeführt hat, um die Gesellschaft
möglichst pragmatisch zu ordnen. Die Komplementarität ist in dem
Sinne das höchste Gut: Mann und Frau sind fast prädestiniert, sich
später zu verheiraten und die Mutter- bzw. Vaterrollen auf sich zu
nehmen. Emanzipation ist in dem Sinne überhaupt nicht möglich; das
würde die öffentliche Ordnung der patriarchalen Gesellschaft zerstören.
Özdogan
Menschen
hat
in
seiner
betonen
Geschichte
wollen:
dadurch
jene
schlichte
Einstellung
dass
sie
den
sich
von
Umständen
unterordnen und der freie Wille nicht als das höchste Gut betrachten,
sondern ihre Familie, gelangen sie zum wirklichen Glück. Die Freiheit
gibt es dann in kleinen Sachen. Der Kapitalismus hat eigentlich das
schlichte, tradierte türkische Alltagsleben gründlich verstört; er hat zum
Beispiel dafür gesorgt, dass die Hauptfigur ihre Familie verlassen hat,
um
nach
Deutschland
zu
ziehen.
Die
Komplementarität
von
den
Geschlechtern kann nicht weiterexistieren, als man das Einfache oder
Eigene nicht mehr schätzt. Das ist meiner Meinung nach die Moral, die
man
im
Buch
von
Özdogan
trifft:
der
Konformismus
wird
in
Deutschland vielleicht als eine Bedrohung des Eigenen betrachtet, aber
in der Türkei hat es die Weiterexistenz von Werten und Normen
garantiert.
Özdamar hat eine radikal andere Positionierung eingenommen:
ihre Erzählperspektive hat dafür gesorgt, dass die Geschichte alles
andere als eine kollektive oder exemplarische Geschichte geworden ist.
Verfremdung
und
emanzipatorische
westlichen
Einfühlung
Entwicklung
Bildungsromane,
kindlich-naive
Perspektive)
wechseln
der
aber
einander
Hauptfigur
der
erinnert
persönliche
verursacht
ständig
zwar
ab:
die
an
die
Schreibstil
Verfremdung.
(die
Die
Personalisierung des Mädchens wird durch die besondere Beziehung
zur Fremden gesteuert: sie ist eine dynamische Gestalt, weil sie immer
die Grenzen ihrer Welt verkennt und erweitert. Das Leben ist für sie
80
eine
Karawanserei:
es
gibt
immer
eine
Fluchtmöglichkeit,
jeder
einzelne Mensch braucht eine Konfrontation mit dem Fremden, um
einzusehen, dass hinter der Schwelle noch tausende möglichen Welten
offenliegen. Die Übergangszone ist
für sie immer am
Wichtigsten
gewesen: die eigene Sichtweise wurde mit Erfahrungen aus der Fremde
ergänzt und schlie
βlich immer neu angepasst. Die Flex ibilität der IchErzählerin verrät eine weitgehende Anpassungsfähigkeit: sie wird sich
immer zu Hause fühlen in der Fremde, dazu aber braucht sie einen
gewissen Kontrast mit dem Eigenen. Es genügt mit anderen Worten
nicht, um sich irgendwo ganz und gar zu Hause zu fühlen; sie braucht
Neuigkeit und Abenteuer um den Erfahrungshorizont ihrer Kenntnis zu
erweitern.
Das
Fremde
und
das
Eigene
sind
komplementär;
sie
relativieren einander und verstärken einander zugleich. Özdamar hat
einen ganz persönlichen Bildungsroman geschrieben, der den Vielfalt
der
türkischen
Gesellschaft
und
die
Möglichkeiten
zur
Selbstentwicklung radikal in den Vordergrund gerückt hat.
81
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