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Verlagerung von Arbeit und die Umstrukturierung
der globalen Informationswirtschaft
Jörg Flecker
FORBA Schriftenreihe 2/2006
Erschienen in:
Baukrowitz, Andrea; Berker, Thomas; Boes, Andreas; Pfeiffer, Sabine; Schmiede, Rudi; Will, Mascha (Hg.)
Informatisierung der Arbeit – Gesellschaft im Umbruch
edition sigma, Berlin 2006
Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt
A-1020 WIEN, Aspernbrückengasse 4/5
Tel.: +431 21 24 700
Fax: +431 21 24 700-77
[email protected]
http://www.forba.at
Inhalt
INHALT
EINLEITUNG ................................................................................................................................................ 1
MIT DEM INTERNET ZUR NETZWERKÖKONOMIE?................................................................................. 3
UMSTRUKTURIERUNG TRANSNATIONALER UNTERNEHMEN .............................................................. 4
UMBRUCH IN DER INTERNATIONALEN ARBEITSTEILUNG .................................................................... 6
SCHLUSSFOLGERUNG .............................................................................................................................. 8
LITERATUR................................................................................................................................................ 10
Schriftenreihe 02/2006 ___________________________________________________________________________I
Verlagerung von Arbeit
EINLEITUNG
Unter der Bezeichnung „Offshore Outsourcing“ oder „Offshoring“ hat die grenzüberschreitende und teilweise weltweite Aus- und Verlagerung von Arbeit zunächst in den
USA und dann in Europa Eingang in die tagespolitische Diskussion gefunden. Dabei
wurden insbesondere der Verlust von Arbeitsplätzen und die Konkurrenz durch Niedriglohnländer betont. Je nach Standpunkt wurden daraus Forderungen nach protektionistischen Maßnahmen oder nach einer Senkung der Arbeitskosten abgeleitet. Die Aufregung ist wohl deshalb besonders groß, weil nun so genannte Wissensarbeiter, also
hoch qualifizierte Angestellte und damit Angehörige der Mittelschichten und nicht etwa
Fließbandarbeiterinnen der Bekleidungs- oder Elektronikindustrie, betroffen sind.
Während sich die Aufmerksamkeit auf spektakuläre Fälle richtete, wurde häufig übersehen, dass die auffälligen Verlagerungen von Arbeit nur die äußere Erscheinungsform
eines Prozesses sind, in dem sich internationale Unternehmen umstrukturieren und die
internationale Arbeitsteilung eine neue Gestalt bekommt. Auslagerungen haben die
Zusammensetzung von Unternehmen vieler Branchen geändert; andererseits entstanden
große, weltweit agierende Unternehmen, welche auszulagernde Dienstleistungen auf
dem Markt anbieten. Daraus folgen Verschiebungen zwischen Branchen, die allerdings
statistisch nicht ausreichend erfasst werden können. Informationen etwa über den Markt
von Outsourcing-Dienstleistungen gewähren ebenfalls keinen Einblick in die Dynamik
der Entwicklung. Untersucht man hingegen Prozesse der Verlagerung von Arbeit, wird
es möglich, Einblicke in diesen Strukturwandel im globalen Maßstab zu gewinnen.
Die EMERGENCE-Projekte1 hatten genau dies zum Ziel: die (grenzüberschreitende)
Verlagerung von Arbeit auf der Basis von Informations- und Kommunikationstechnologien zu untersuchen. Den Ausgangspunkt bildeten die wissenschaftlichen Arbeiten und
Diskussionen über Telearbeit und eWork sowie über die Internationalisierung der Wirt-
1
Das Projekt EMERGENCE wurde von der Europäischen Kommission im Rahmen des Programms
„Information Society Technologies“ (IST) finanziert und von einem internationalen Konsortium unter
Leitung von Ursula Huws (Institute for Employment Studies, Brighton/Analytica, London) zwischen
März 2000 und März 2003 durchgeführt. Die Untersuchung umfasste statistische Analysen, eine
Unternehmensbefragung und eine von FORBA koordinierte qualitative Studie, in der etwa 60
Fallstudien von EMERGENCE-PartnerInnen und SubauftragnehmerInnen in EU-Ländern und
mittelosteuropäischen Ländern durchgeführt wurden.
Aufbauend auf dem europäischen EMERGENCE-Projekt wurde im Asian-EMERGENCE-Projekt die
Verlagerung von Arbeit aus Europa in asiatische Länder sowie zwischen asiatischen Ländern
untersucht. Das Projekt wurde von der Kommission der Europäischen Union im Rahmen des
Programms „Asia IC&T“ finanziert, von Ursula Huws geleitet und zwischen April 2002 und
September 2003 durchgeführt. Parallel dazu und im Anschluss daran wurden EMERGENCE-Projekte
in Australien und Kanada durchgeführt und in den USA vorbereitet.
Derzeit koordiniert Jörg Flecker im Rahmen des von der EU-Kommission finanzierten „Integrierten
Projekts“ WORKS („Work Organisation and Restructuring in the Knowledge Society“) eine
Fallstudienreihe über die Folgen der Restrukturierung von Wertschöpfungsketten in 13 europäischen
Ländern (www.worksproject.be).
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schaft und Verschiebungen in der internationalen Arbeitsteilung. Was die Internationalisierung und internationale Arbeitsteilung betrifft, war vor allem bedeutsam, dass die
Herausbildung von Wertschöpfungsketten (Gereffi/Korzeniewicz 1994; Gereffi et al.
2005) und die „Aushöhlung“ von Unternehmen durch Auslagerung nicht auf die Industrie und auf Produktionsarbeiten beschränkt blieb. Beispielsweise erfolgen auch die
Herstellung von Computer-Software und die IT-Dienstleistungen zunehmend in Netzwerkstrukturen, da auch die Unternehmen dieser Branche Forschung, Entwicklung, Programmierung und Wartung zunehmend aus dem Unternehmen auslagern und in andere
Länder verlegen. Den Grund für diese Entwicklung sehen AutorInnen des World Investment Report darin, dass die Faktoren für eine „nationale Orientierung“, wie
Beschaffungsentscheidungen der öffentlichen Hand, Sprache, Zertifizierung, Schutz des
intellektuellen Eigentums etc., im Prozess der Globalisierung an Bedeutung verlieren.
So wurden beispielsweise internationale Standards und Zertifizierungen geschaffen,
welche die national unterschiedlichen Bedingungen einebnen und die Herausbildung
eines einheitlichen Marktes unterstützen. Auch verlangen die transnationalen Unternehmen als Kunden der Computerbranche „nahtlose“ globale Dienstleistungen für alle
ihre Standorte rund um den Globus möglichst aus einer Hand (UNCTAD 2002:11).
Wird für einen Kunden Software entwickelt, müssen nicht alle damit verbundenen
Aufgaben an einem Ort und damit in Kundennähe ausgeführt werden. Eine Aufspaltung
des Entwicklungsprozesses mit arbeitsteiliger Durchführung ermöglicht auch eine
räumliche Trennung der verschiedenen Aufgaben. So können insbesondere Programmieren und Kodieren in Niedriglohnländer verlagert werden (ebd.:12).
In den EMERGENCE-Projekten wurden die Auslagerung und die räumliche Verlagerung von Tätigkeiten, die an einem Computerarbeitsplatz ausgeübt werden und die einer
Telekommunikationsverbindung bedürfen, in Europa, Asien und Australien untersucht.
Neben Software-Entwicklung und IT-Dienstleistungen handelte es sich um folgende
Aufgaben bzw. Unternehmensfunktionen: Kundenbetreuung, Verkauf, Daten- und Texterfassung, Rechnungswesen, Personalwesen sowie Design und andere kreative Funktionen. Damit konnten Einblicke in die Dynamik der Restrukturierung der Unternehmen
und der Wirtschaft insgesamt und insbesondere in die Entwicklung der Arbeitsteilung in
der globalen Informationsökonomie gewonnen werden.
In diesem Beitrag sollen die Ergebnisse aus den EMERGENCE-Projekten über die
Motive und Formen der Verlagerung von „eWork“ sowie über die Verlagerungsprozesse, Organisationsformen und Auswirkungen als ‚Fenster’ auf die globale Restrukturierung von Arbeit genutzt werden. Thesen von der Auflösung von Großunternehmen
und der Entstehung einer Netzwerkökonomie werden im Lichte des empirischen Materials diskutiert. Dabei wird im Einzelnen auf die Umstrukturierung transnationaler
Unternehmen, auf die Restrukturierung der Informationswirtschaft und auf die Dynamik
der internationalen Arbeitsteilung eingegangen.
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MIT DEM INTERNET ZUR NETZWERKÖKONOMIE?
Der Trend zum Outsourcing und Offshoring hat durch die enorm ausgeweiteten technischen Möglichkeiten und durch das Auftreten internetgestützter Vermittler- und Maklerdienste zweifellos an Dynamik gewonnen. Das Aufspalten von Unternehmen und das
Auslagern von Arbeit sind für Großunternehmen einfacher und kostengünstiger geworden. Aber auch für kleine Betriebe stellt die grenzüberschreitende Auslagerung von
Arbeit kein unüberwindliches Hindernis mehr dar. Ein Beispiel dafür ist die Firma
Second Hand Print Ltd. in Sheffield, die ihren Handel mit gebrauchten Druckmaschinen
über eine neue Internetpräsenz verstärkt elektronisch abwickeln wollte. Sie schrieb die
Erstellung der Homepage aus und vergab den Auftrag an ein Eine-Person-Unternehmen
in Sheffield, das aber von vornherein geplant hatte, die Durchführung des Auftrags
weiter zu vergeben. Dazu bediente es sich einer internetgestützten Maklerfirma in London, Brightwork.com. Die internationale Ausschreibung ergab in kürzester Zeit eine
Reihe von Angeboten, wobei jenes der Firma Fluidum in Budapest am kostengünstigsten war. Diese ungarische Firma führte den Auftrag durch, setzte dafür aber Programmierer in Kurgav, Sibirien, ein und vergab das Webdesign nach Cselyabinsk, ebenfalls
in Russland. Internet und intermediäre Firmen können also bewirken, dass IT-gestützte
Verlagerungen von Arbeit nicht auf Großunternehmen beschränkt bleiben, die sich
aufwändige Outsourcing-Projekte leisten können. Allerdings blieben Verlagerungsfälle
wie der eben geschilderte, also Auslagerung über das Internet und ohne persönlichen
Kontakt, in unserem Sample auf abgegrenzte und klar spezifizierte Aufgaben, wie eben
das Programmieren von Websites, beschränkt.
Dieses Beispiel passt sehr gut in das Bild, das in den Diskussionen über „small is
beautiful“ und die „Netzwerkgesellschaft“ von den aktuellen und zukünftigen Wirtschaftsstrukturen und Arbeitsformen gezeichnet wird. Die neuen Technologien erlauben, so heißt es, eine drastische Senkung der Transaktionskosten, weshalb es Unternehmen leichter fällt, sich auf ihre Kernkompetenzen zurückzuziehen und alle anderen
Aufgaben auszulagern (Hagel/Singer 2000). Das führe nicht nur zu einem Boom beim
Outsourcing, sondern auch zu neuen Geschäftschancen für Klein- und Mittelbetriebe,
die ohnehin die günstigeren Voraussetzungen für Erfolg im flexiblen Kapitalismus
haben als Großunternehmen (Schmidt 1996; Schienstock et al. 1999).
Nun erweitern neue technische Möglichkeiten zweifellos die Optionen für die Gestaltung der Organisation und der Arbeit, die Antriebe für bestimmte Richtungen der Restrukturierung sind jedoch in den ökonomischen Kalkülen der Unternehmen und in den
Kontrollinteressen des Management zu finden. Im genannten Beispiel etwa hat die
Anbieterfirma großes Interesse daran, die über das Internet gewonnenen Kunden an sich
zu binden und den elektronischen Marktplatz wieder zu verlassen, weil sie dort zu nicht
kostendeckenden Preisen anbieten muss, um einen Auftrag zu ergattern. Insgesamt wäre
es irreführend, einen einzigen Trend der Restrukturierung zu unterstellen, wie es häufig
unter Anwendung der Metapher des Netzwerks geschieht. Die Herausbildung so genannter virtueller Organisationen durch Vernetzung von Kleinstunternehmen ist nur eine
Tendenz unter mehreren – und meines Erachtens bei weitem nicht die bedeutendste.
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Aus Beispielen wie dem eben angedeuteten lässt sich nämlich keine Tendenz zur allgemeinen Verbreitung von Netzwerken aus Kleinfirmen und Selbstständigen in der Informationswirtschaft ableiten. Zwar stellt das Internet die technischen Grundlagen für
Telekooperation und verteilte Arbeit zur Verfügung und macht damit Netzwerkstrukturen effizienter und billiger, entscheidend ist jedoch, von wem die ausgelagerten Funktionen bzw. Aufgaben übernommen werden: Sind das Kleinbetriebe und Selbstständige –
was auf die Auflösung von Großunternehmen und die Bildung von Netzwerken hindeuten würde? Oder geht die Arbeit an unternehmensexterne Dienstleistungsanbieter,
die selbst Großunternehmen sind und sich auf einzelne Unternehmensfunktionen spezialisieren?
UMSTRUKTURIERUNG TRANSNATIONALER UNTERNEHMEN
Wenn wir das umfangreiche empirische Material aus den EMERGENCE-Projekten
zunächst als ‚Fenster’ auf die Umstrukturierung internationaler Unternehmen nützen, so
sehen wir sowohl eine Tendenz der Dezentralisierung als auch eine der Konzentration
und Zentralisierung. Seit den späten 1980er und frühen 1990er Jahren hält der Trend
zur Auslagerung von Unternehmensfunktionen und zur Neugestaltung der Unternehmensstrukturen unter dem Schlagwort: „Konzentration auf Kernkompetenzen“ an.
Diese Strategien sind durch Kostenersparnisse, aber auch durch Fragen der Managementkapazität, der verfügbaren Qualifikationen und des Qualitätsmanagements
motiviert. In Ländern mit Branchenkollektivverträgen, wie in Deutschland und Österreich, spielt die Möglichkeit der Flucht aus dem Tarifvertrag bzw. des Wechsels in
einen für die Arbeitgeber günstigeren Tarifvertrag ebenfalls eine Rolle (Hendrix et al.
2003).
Ziel der Auslagerungen kann es auch sein, die organisatorische Flexibilität zu erhöhen.
Ein anschauliches Beispiel dafür ist der Kundenservice in unternehmensinternen Call
Centers, von wo bei voller Auslastung Anrufe an externe Callcenter-Betriebe weitergeleitet werden können. Aber auch in der Software-Entwicklung und im IT-Support bedienen sich die Unternehmen der Dienstleistungsanbieter, um Spitzen abzudecken. Wie
Beispiele der Verlagerung nach Indien zeigten, nutzen europäische Unternehmen die
kostengünstigen indischen Firmen oder Unternehmensstandorte bisweilen in exzessiver
Weise, um Flexibilitätsanforderungen abzuwälzen. Das führte in einem konkreten Fall
auf Seiten der indischen Beschäftigten zu dem Eindruck, dass die Deutschen generell
schlecht organisiert und chaotisch seien (Hirschfeld 2004).
Neben der Aufspaltung und Auslagerung ist aber auch die Zusammenfassung von Aktivitäten an einem Standort eine wichtige Tendenz in der Umstrukturierung von Großunternehmen. In einer Reihe von Unternehmensfunktionen lassen sich nämlich Skalenerträge dadurch erzielen, dass bisher verteilte Arbeiten an einem Ort konzentriert werden,
wodurch die Kosten für die Infrastruktur, für Schulungen und für das Management
sinken (UNCTAD 2004:165). Hinzu kommen Vorteile im Wissensmanagement, aber
auch im Hinblick auf die Attraktivität des Betriebes für IT-Fachleute, denn größere
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Einheiten bieten bessere Lern- und Aufstiegschancen als kleine Betriebe. Dies betrifft
Informationstechnik-Dienstleistungen wie Rechenzentren, Software-Entwicklung und
IT-Unterstützung, aber auch IT-gestützte Dienstleistungen wie Call Center oder
business process outsourcing im Personalwesen. Die heute verfügbare Infrastruktur für
Telekommunikation, für den Datentransfer und die Fernwartung von Software
beispielsweise erleichtert es ungemein, bisher geografisch verstreute Einheiten und
Tätigkeiten zusammenzuführen. Bei der Standortwahl spielen Kostenunterschiede und
Arbeitsmarktaspekte eine Rolle. In den EMERGENCE-Fallstudien konnte aber auch
beobachtet werden, dass größere Betriebe höhere Chancen haben, eine Konzernumstrukturierung zu „überleben“. Damit werden die ursprüngliche Verteilung von Standorten und die geografische Lage neu erworbener Einheiten zu einem intervenierenden
Faktor (Flecker/ Kirschenhofer 2002).
Zur Nutzung von Skalenerträgen können Aufgaben sowohl unternehmensintern, als
auch – nach einer Auslagerung – bei einem Dienstleistungsanbieter räumlich und organisatorisch zusammengefasst werden. Nicht zuletzt deshalb kam es im letzten Jahrzehnt
zu einem enormen Wachstum der IT-Dienstleistungsbetriebe infolge der Auslagerung
der IT-Funktion aus Industriebetrieben, Banken oder dem öffentlichen Dienst. Häufig
wurden dabei nicht nur die Aufgaben ausgelagert, sondern es wechselte auch das Personal seinen Arbeitgeber. So konnten die IT-Dienstleister spezifisches Branchenwissen
erwerben und rasch wachsen (Miozzo/Grimshaw 2005). Der Markt der IT-Dienstleister
ist inzwischen hochgradig konzentriert: In Deutschland vereinigen die vier größten
Anbieter, nämlich T-Systems, Siemens Business Services, IBM und EDS, nicht weniger
als 80% des Marktes auf sich (Boes/Schwemmle 2004). Zudem ist die Branche stark
internationalisiert, wodurch eine neue Art von multinationalen Konzernen entstanden ist,
die anderen Unternehmen ihre Dienstleistungen anbieten. Beim Business Process Outsourcing und bei den IT-Dienstleistungen sind IBM Global Services, EDS, Accenture und
Hewlett Packard weltweit führend, in der Call-Center-Branche Firmen wie Convergys,
ICT Group, Sitel und Sykes (UNCTAD 2004:158).
Der Wettbewerbsvorteil der internationalen Anbieter stammt dabei nicht nur aus Skalenerträgen oder der Reputation. Ihnen ist es auch leichter möglich, ihren transnationalen Kundenunternehmen rund um den Globus zu folgen und einheitliche Dienste anzubieten. T-Systems beispielsweise gibt an, innerhalb von drei Monaten in der Lage zu
sein, seinen 60 internationalen Top-Kunden an einen neuen Standort zu folgen (Kirschenhofer/Ramioul 2005). Zugleich nutzen die internationalen IT-Dienstleister Kostenunterschiede zwischen Ländern und Kontinenten, indem sie Arbeit intern im Unternehmen auf unterschiedliche Standorte verteilen oder selbst wiederum Aufgaben auslagern. Deutsche Unternehmen wie Siemens oder T-Systems arbeiten in der SoftwareEntwicklung seit Jahren mit „Mischsätzen“: Durch die Zusammenarbeit von Unternehmenseinheiten in Deutschland, Österreich oder einem anderen „alten“ EU-Mitgliedsland mit Standorten dieser Unternehmen in Mittelosteuropa oder Russland konnten die
Gesamtkosten der Software-Entwicklung gesenkt werden. Während die Kundenbetreuung und das Design bei Betrieben in Kundennähe verbleiben, werden Aufgaben des
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Programmierens oder Codierens innerhalb des Konzerns nach Mittelosteuropa, Russland oder Indien verlegt.
UMBRUCH IN DER INTERNATIONALEN ARBEITSTEILUNG
Die Diskussion über die „Neue internationale Arbeitsteilung“ (Fröbel et al. 1977) in den
1970er Jahren bezog sich darauf, dass Länder der Dritten Welt nicht mehr nur Rohstoffe
an die Industrieländer lieferten, sondern zunehmend als Standorte für die arbeitsintensive Industrieproduktion interessant wurden; die zunehmende Kapitalintensität der
Produktion hat in der Folge Spekulationen darüber ausgelöst, ob denn die Arbeitsplätze
bei abnehmender Lohntangente und großer Bedeutung von Qualifikation und Wissen in
die Industrieländer zurückkommen. Im letzten Jahrzehnt sind ähnliche Verschiebungen
in der Informationswirtschaft zu beobachten. So hat insbesondere Indien eine bedeutende Stellung auf dem Weltmarkt für Software und für IT-gestützte Dienstleistungen
erringen können (UNCTAD 2004).
Die Fallstudie über Shore-Offshore,2 ein internationales Unternehmen im Bereich Finanzdienstleistungen mit etwa 28.000 Beschäftigten weltweit, ist in dieser Hinsicht sehr
instruktiv. Im Jahr 2000 beschloss die Konzernleitung ein globales „re-engineering“ des
Personalwesens. Die bis dahin in den einzelnen Ländern wahrgenommenen Aufgaben
des Human Resource Management sollten vereinheitlicht, gestrafft und zentralisiert
werden. Nach einer Standardisierung und Digitalisierung der Abläufe wurde die Arbeit
in einem IT-gestützten Dienstleistungszentrum in der indischen Niederlassung des
Unternehmens zusammengefasst. Teil des zwei Jahre dauernden Projekts war es auch,
einen Teil des Personalwesens zu automatisieren und alle Beschäftigten des Konzerns
bestimmte bisherige Tätigkeiten der Personalabteilung in Selbstbedienung ausführen zu
lassen. In der Folge sind 140 indische Beschäftigte mit der Datenverarbeitung, mit
Analysen und in einem Call Center beschäftigt und bearbeiten mit weit ausgebauter ITUnterstützung die Personalangelegenheiten des weltweit tätigen Unternehmens. Aus
Sicherheitsgründen wurde ein zweites back office in Kuala Lumpur eingerichtet. Die
früheren Personalabteilungen an den verschiedenen Standorten des Unternehmens wurden verkleinert, insgesamt etwa hundert Beschäftigte verloren im Zuge der Umstrukturierung ihre Arbeitsplätze (Hirschfeld 2004). Auf ähnliche Weise verlegten manche
Unternehmen auch ihre Forschungs- und Entwicklungszentralen in Länder wie Indien.
Das Beispiel illustriert durchaus generelle Untersuchungsergebnisse. So wurden in der
Literatur über ausländische Direktinvestitionen unterschiedliche Phasen der Aktivitäten
multinationaler Konzerne in einem Land unterschieden, die eine Aufwertung ausländischer Standorte im Laufe der Zeit implizieren (Dunning 1993). Auch die
EMERGENCE -Fallstudien zeigen, dass Verlagerungen nicht als einmalige Maßnahmen, sondern eher als offene Prozesse verstanden werden sollten. Gerade in der SoftwareEntwicklung können sich ursprünglich lohnkostenmotivierte Ansiedlungen, denen
2
Name des Unternehmens geändert.
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Verlagerung von Arbeit
anfangs lediglich das Codieren von Programmen übertragen wurde, zu höherwertigen
Aufgaben weiterentwickeln und so ihre Position im Konzern bzw. in der Wertschöpfungskette verbessern. Insbesondere in Indien waren die Unternehmen mit einer hohen
Fluktuation bei den IT-Fachkräften konfrontiert. Nur mit der Übertragung interessanter
Aufgaben und mit dem Angebot von Lernchancen in der Arbeit konnte der kostspielige
Verlust von eingearbeiteten Arbeitskräften während der Laufzeit eines Projekts vermieden werden. Auch in Mittelosteuropa stellten wir Unzufriedenheit in jenen Betrieben
fest, denen nur einfache Aufgaben fernab von Projektleitung und Kundenkontakt übertragen wurden. In Verbindung mit den hohen Qualifikationen der Beschäftigten und den
Anstrengungen speziell der indischen IT-Branche im Bereich des Qualitätsmanagements ergibt sich ein Druck in Richtung einer Aufwertung der Standorte in den
Niedriglohnländern. Viele Firmen, die von den niedrigen Löhnen zum „offshoring“
verführt wurden, sind (auch) wegen der hohen Qualität dabei geblieben, wie der World
Investment Report feststellt: „Qualitätsverbesserungen wurden von den großen
europäischen Konzernen als die drittwichtigsten Verbesserungen durch Offshoring
genannt (nach Senkung der Lohnkosten und anderer Kosten); oft übertrafen diese die
Erwartungen“ (UNCTAD 2004:165).
Ein weiteres Zeichen für die Veränderungen in der internationalen Arbeitsteilung ist die
Rolle, die indische IT-Dienstleister inzwischen auf dem Weltmarkt spielen. Unternehmen wie Infosys, Satyam oder Tata sind mittlerweile zu global players geworden. In
den letzten Jahren haben indische Firmen ihre Präsenz in Europa verstärkt, um Kunden
besser ansprechen und vor Ort betreuen zu können (Huws 2003). Einige unter ihnen
nehmen nicht nur marktorientierte Direktinvestitionen in Europa vor, um mit Betrieben
vor Ort die Kundenbetreuung zu verbessern, sondern nutzen auch niedrige Lohnkosten
in Osteuropa. Insbesondere Rumänien ist zum Zielland indischer Ansiedlungen in der
IT-Branche geworden, weil die Löhne in Rumänien weniger als ein Drittel der indischen betragen (Kirschenhofer/Ramioul 2005).
Die Verschiebungen in der internationalen Arbeitsteilung erfahren überdies eine Beschleunigung durch den erwähnten Aufstieg der globalen IT-Dienstleistungsunternehmen. Denn die grenzüberschreitende Auslagerung von Arbeit kann sich auch daraus
ergeben, dass Unternehmen wie T-Systems, SBS oder EDS, an die andere Unternehmen
Aufgaben auslagern, international operieren und daher in der Lage sind, Aufgaben an
ihren verschiedenen, weltweit verteilten Standorten durchführen zu lassen. Damit können auch Outsourcing-Projekte, mit denen deutsche oder europäische Unternehmen gar
nicht von vornherein eine grenzüberschreitende Verlagerung im Sinn hatten, zumindest
teilweise zu einer Verlagerung von Arbeit nach Osteuropa oder Asien führen. Diese
Dynamik dürfte sich verstärken, denn gerade die globalen IT-Dienstleistungsunternehmen werden in letzter Zeit von Ansiedlungsagenturen vieler Länder umworben, welche
Direktinvestitionen im Bereich der exportorientierten Dienstleistungen anziehen wollen
(UNCTAD 2004:158).
Für Europa ist Offshoring im engeren Sinn, also die Verlagerung von Arbeit nach Übersee, von geringerer Bedeutung als die Nutzung von Arbeitsmärkten in Mittelosteuropa
oder Russland. So zeigte eine Auswertung der europäischen Arbeitskräfteerhebung,
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dass die IT-Dienstleistungen zwar in ganz Europa wachsen, ihr Wachstum aber in den
neuen Mitgliedsländern der EU in Mittelosteuropa aber sehr viel größer und in Westund Nordeuropa am niedrigsten ist. Dies könnte bedeuten, dass die neuen Mitgliedsländer zunehmend die Rolle von IT-Dienstleistern übernehmen (Huws et al. 2004).
SCHLUSSFOLGERUNG
Die Informations- und Kommunikationstechnologien haben neue Voraussetzungen für
die Gestaltung von Organisationsformen und Wertschöpfungsketten geschaffen – nicht
zuletzt auch für Branchen wie IT-Dienstleistungen und IT-basierte Dienste. Es wäre
aber verfehlt, von den technischen Möglichkeiten auf die entstehenden Organisationsmuster zu schließen und beispielsweise eine Konvergenz zu netzförmigen Wirtschaftsstrukturen zu behaupten. Vielmehr ist von den ökonomischen und gesellschaftlichen
Triebkräften auszugehen und anzuerkennen, dass die Informationswirtschaft sowohl aus
Netzwerken von Kleinbetrieben als auch aus immer größeren transnationalen Unternehmen gebildet wird, die eine tragende Rolle im Veränderungsprozess der internationalen Arbeitsteilung spielen.
Fallstudien über die Verlagerung von IT-gestützter Arbeit erlauben tiefe Einblicke in
die Prozesse der Umstrukturierung und in den Wandel der internationalen Arbeitsteilung. Sie zeigen auf, welche Motive hinter Verlagerungsentscheidungen stehen und
unter welchen Bedingungen welche Organisationsformen gewählt werden. Die Analyse
konkreter Maßnahmen des Outsourcing und der Verlagerung von Arbeit kann daher
über die Beschreibung IT-gestützter Arbeitsprozesse hinaus Aufschluss über die
Umstrukturierung von Unternehmen, Firmennetzwerken und Wertschöpfungsketten
geben und unser Verständnis für die Dynamik der internationalen Arbeitsteilung
verbessern.
Der Boom bei den IT-Dienstleistungen in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre und die
Diskussion über den IT-Fachkräftemangel (und tatsächliche Engpässe bei bestimmten
Qualifikationen) brachten viele Unternehmen dazu, sich mit der Möglichkeiten der Ausund Verlagerung von Arbeit in andere Länder zu beschäftigen. Die besonderen Rahmenbedingungen zu dieser Zeit können als Geburtshelfer der verstärkten Internationalisierung durch Informatisierung gesehen werden: Nicht nur galten Outsourcing oder der
Aufbau eigener Betriebe in Mittelosteuropa oder in Asien im Management von Unternehmen als Lösung für bestehende Probleme, auch für die Arbeitnehmerseite waren
diese Strategien wenig bedrohlich und daher akzeptabel. Mit der Krise der IT-Dienstleistungsbranche Anfang dieses Jahrzehnts änderten sich die Rahmenbedingungen
jedoch dramatisch: Die Kapazitäten der Firmen waren nicht mehr ausgelastet, IT-Fachkräfte wurden erwerbslos.
Inzwischen waren aber die Betriebe in Mittelosteuropa und in Asien so weit konsolidiert, dass die Unternehmen in Deutschland, Österreich und in der EU insgesamt die
Aus- und Verlagerungen nicht mehr rückgängig machten. Im Gegenteil: Die Kostenvorteile dieser Länder verlockten die Unternehmen dazu, die Kapazitäten dort aufrecht-
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Verlagerung von Arbeit
zuerhalten oder weiter auszubauen und eher in den „alten“ EU-Ländern Beschäftigung
abzubauen. Dies hatte in vielen Fällen mit der relativ raschen Entwicklung der Tochterbetriebe oder Outsourcing-Dienstleister zu tun: Das Argument, dass ohnehin nur einfache und lohnkostensensible Tätigkeiten verlagert würden und die anspruchsvolle Arbeit
in den (alten) EU-Ländern verbleibe, stimmte sehr rasch nicht mehr. Die spezifischen
Rahmenbedingungen der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, verbunden mit den – oft
überzogenen – Klagen über Fachkräftemangel, haben also dazu beigetragen, dass sich
die Verschiebung der internationalen Arbeitsteilung beschleunigt hat. Wäre die Entwicklung anders verlaufen, so hätte der Arbeitsmarkt in Ländern wie Deutschland oder
Österreich in den letzten Jahren wohl stärker von der Verbesserung der wirtschaftlichen
Lage im Bereich der IT-Dienstleistungen profitieren können.
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Literatur
LITERATUR
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