hypermasculinity - Abant İzzet Baysal Üniversitesi Sosyal Bilimler

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hypermasculinity - Abant İzzet Baysal Üniversitesi Sosyal Bilimler
AİBÜ Sosyal Bilimler Enstitüsü Dergisi, Semih TEZCAN’a Armağan, Cilt:13, Yıl:13, 13:213-229
TURKOLOGIE ALS STECKENPFERD? VON PAUL HORN
BIS CARL FRANK
Klaus KREISER*
TURCOLOGY AS A HOBBY HORSE: FROM PAUL HORN
TO CARL FRANK
Abstract
During and after the First World War the interest for Turcica in Germany was
enormous. Considering the nearly complete absence of Turcologists working on
a full-time basis at Universities, the increasing demand in surveys and
translations of Modern Turkish Literature was fulfilled by Orientalists (such as
Horn, Frank, Merx, M. Hartmann, Schrader), dilettanti (Hachtmann, Seidel,
Szamatolski, Kaufmann) and native speakers (Ahmed Muhideddin, Habib Edib).
My article attempts to give a general idea of the beginnings of writing and
translating contemporary Turkish literature in Germany. My contribution
concentrates on Paul Horn, Otto Hachtmann and Carl Frank but touches also on
lesser known German pioneers of Turcology.
„Wenn die Orientalisten sich nicht entschließen können Literaten zu
werden, müssen die Literaten eben Orientalisten werden.“ (Otto
Hachtman, 1917).
Die jüngere türkische Literatur zwischen der Mitte des 19. und den
Anfängen des 20. Jahrhunderts hat in den deutschsprachigen Ländern
große Aufmerksamkeit erfahren. Zwischen der Geschichte der türkischen
Moderne von Paul Horn von 1902 und dem Überblick von Otto Spies aus
dem Jahr 1943 (Die türkische Prosaliteratur der Gegenwart) liegen vier
Jahrzehnte, in denen eine wachsende Gruppe von Autoren die
zeitgenössische Literatur durch Übersetzungen für Leser des Deutschen
erschloss. Für eine zukünftige Geschichte der Turkologie, zu der dieser
Artikel mit einen kleinen Baustein beitragen will, bildet diese Periode ein
besonderes Kapitel: Turkologie blieb weiterhin ein zum Teil auf hohem
Niveau betriebenes Steckenpferd von Laien, hochgebildeten Dilettanten
Diese Arbeit entstand während meiner von der Mercator-Stiftung und der
Sabancı Üniversitesi als Senior Fellow geförderten Arbeit über deutsch-türkische
Kultrbeziehungen. [email protected]
*
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und Orientalisten im Nebenfach, gleichzeitig aber bahnte sich die
akademischen Emanzipation des Faches an.1
Die Turkologen dieser Epoche waren Pioniere. Ihnen standen keine
Literaturgeschichten und Hilfsmittel wie Lexika oder Handbücher zur
Verfügung. In seinem Beitrag zur Enzyklopädie des Islams bekräftigte
Köprülü-Zade Mehmed Fuad (1890-1966): “There is not yet a literary
history on really scientific lines, either in Turkey nor Europe”2
Abgesehen von der umfangreichen Monografie von İsmail Habib [Sevük]
(1892-1954) über die nach-tanzimatzeitliche Literatur (Türk Teceddüd
Edebiyatı Tarihi, Istanbul 1924) existierte bis zur Schriftreform kein
größeres literaturgeschichtliches Werk in türkischer Sprache. Wenn man
der Türk Dili ve Edebiyatı Ansiklopedisi3 folgt, war der weithin
vergessene Literat Abdülhalim Memduh (1866-1905) der erste Verfasser
eines Werks, das den Titel „Geschichte der Osmanischen Literatur“ trug.
Seine Tarih-i Edebiyat-ı Osmaniye aus dem Jahr 1306/1889 behandelt auf
133 Seiten etwa 20 Dichter. İbnülemin Mahmud Kemal (1870-1957) hat
ihm ein vergiftetes Lob gespendet: „Güzel yazılmıṣ ise de tarihî ve ilmî
bir kıymeti haiz olmadıgı söylense haksızlık edilmiṣ olmaz.“4 Die
wenigen Bücher, die danach unter dieser Überschrift erschienen, waren
eher Lehrmittel für Sekundarschulen und das Dârülfünûn5.
Vor diesem Hintergrund verdient die Geschichte der türkischen Moderne
des bedeutenden Straßburger Iranisten (und Turkologen) Paul Horn
(1863-1908) und seiner Nachfolger Otto Hachtmann und Martin
Hartmann (1851-1918) einige Aufmerksamkeit.6 Das kleine Buch
schließt, freilich mit ganz unterschiedlichen Ansatz an HammerZur ersten Orientierung vgl. Herzog, Christoph: „Notes on the Development of
Turkish and Oriental Studies in the German Speaking Countries“, in: Türkiye
Araṣtırmaları Dergisi 8/15 (2010), 7-76; Gül, Bülent und Semran Cengiz,
“Almanya’da Türkoloji Çalıṣmalar. Tarihî geliṣim, Türkologlar, Dergiler”, in:
Türkbilig. Türkoloji Araṣtırmaları 11 (2016) 76-115.
2
Encyclopaedia of Islam 4 (Leiden 1936) 938.
3
Istanbul 1977, 1, 19.
4
Son asır Türk ṣairleri <Kemâlü‘ṣ-Şuarâ>, haz. Hidayet Özcan, 3, Ankara
2000, 1315.
5
Özege, Nr.19786-19788.
6
Kettenhofen, Erich, “Paul Horn ein deutscher Iranist <1863-1908>“, in: Nāmeye Irān-e Bāstān 2/2 (2002-2003), 81-97. Für eine knappe Darstellung durch
denselben Verfasser vgl. auch „Paul Horn“, in Encyclopaedia Iranica 12,
476-477 (online). Prof. Kettenhofen hat für seine Horn-Bibliographie 134
Arbeiten (einschließlich Zeitungsartikel und Rezension) zusammengetragen,
unter denen etwa 10 zur Turkologie gerechnet werden können.
1
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Purgstalls Geschichte der osmanischen Dichtkunst bis auf unsere Zeit an.
Der österreichische Orientalist hatte seine monumentale Blüthenlese, dem
Titel getreu, bis in die 1830er Jahre fortgeführt. Er behandelt zum
Zeitpunkt des Erscheinens des vierten Bandes (Pesth 1838) noch lebende
Autoren wie z.B. den Sahhaflar Şeyhi-Zâde Esad Efendi (1789-1848).
Kurz vor der Publikation von Horns Buch war Elias John Wilkinson Gibb
(1857-1901) verstorben, dem es gelang, den reinen biographischen
Aufbau von Hammers Werk und seiner osmanischen Vorgänger zu
überwinden. Auch Gibb konstatierte im Vorwort des ersten Bandes: „The
History of Ottoman Literature has yet to be written.“7 Die posthum
erschienenen Bände seiner History of Ottoman Poetry, die der Iranist
Edward Granville Browne (1862-1926) betreute, reichen bis zu Ziya
Paṣas (1825-1880) Dichtung. Der Einfluss Gibbs auf die moderne
Literaturgeschichtsschreibung war entsprechend begrenzt.
Die von Paul Horn als „als eine unter Zeitnot entstandene Skizze“
bezeichnete Auftragsarbeit behandelt die Periode von İbrahim Şinasi
(1826-1871) bis zur Jahrhundertwende. Übrigens war Şinasis Şair
Evlenemesi den deutschen Lesern durch Hermann Vámbérys Sittenbilder
aus dem Morgenlande8 schon bekannt. Horns Werk kam im vierten Band
der Litteraturen des Ostens in Einzeldarstellungen heraus.9 Er hat zur
selben Reihe auch eine zuvor erschienene Geschichte der persischen
Litteratur beigetragen.
In der Einleitung und etwas ausführlicher in einem Prospekt des
Amelang-Verlags findet man die Begründung, warum die vormoderne
osmanische Literatur in dieser ambitionierten Reihe fehlt. Ich zitiere den
Text vollständig, weil er ein Musterbeispiel für die bei Orientalisten und
Nichtorientalisten tief sitzende Überzeugung von dem sterilen
Epigonentum der osmanischen Dichter darstellt. Man kann zugespitzt
sagen, dass Hammers „Blüthenlese“ mehr Menschen der osmanischen
Literatur entfremdet, als für sie gewonnen hat.
7
London 1, 1900, 5.
Berlin 1876, 37-46.
9
Die Türkische Moderne erschien zusammen mit einer wesentlich
umfangreicheren Geschichte der byzantinischen und neugriechischen Literatur
von Karl Dieterich. Der griechisch-türkische Band wurde nach dem Tode des
Verfassers noch zweimal aufgelegt (1909, 1916). Da der türkische Teil nicht
einzeln in den Handel kam, war seine Verbreitung begrenzt. Vgl. das Digitalisat
https://archive.org/details/geschichtederbyz00dietuoft.
8
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„Von der modernen Litteratur der Türken hat das Abendland bisher
nur aus gelegentlichen Aufsätzen in Zeitschriften Kenntnis erhalten. Ein
eingehende Darstellung derselben zu schreiben, wäre allerdings noch
nicht an der Zeit, aber ihre Entwicklung bis zur Gegenwart ein wenig
ausführlicher zu zeichnen, als dies bislang geschehen ist, lohnt doch und
ist sogar Pflicht für eine Sammlung, welche die „Litteraturen des
Ostens“ umfassen will. Indes genügt auch hier, der Lage der Dinge
entsprechend, vorläufig ein kurzer Abriss. Dass er auf Byzanz und
Griechenland folgt, wird nicht befremden. Eine Darstellung der gesamten
türkischen Litteratur hätte allerdings in den sechsten Band (Persien und
Arabien) gehört, die türkische Moderne allein passt aber nicht mehr nach
Asien, sondern nach Europa. Und da bot ihr der Band mit Byzanz die
natürliche Unterkunft.
Der Leser, welcher Hammers vierbändige „Geschichte der Osmanischen
Dichtkunst“ einmal in den Händen gehabt hat, wird vielleicht erstaunt
sein, wenn er die in diesem umfangreichen Werke behandelte Litteratur
hier völlig unberücksichtigt sieht. Er hat in Hammer und danach auch in
Gibb, von dessen weit wertvollerer ‘History of Ottoman Poetry’ bisher
der erste Band vorliegt, begeisterte Verehrter derselben kennen gelernt
und mochte daher füglich erwarten, sie auch hier wiederzufinden. Aber
hier soll nur von der türkischen Moderne, die erst seit der Mitte des
vorigen Jahrhunderts datiert, die Rede sein. Nun, die ältere türkische
Litteratur hat der Leser bereits im sechsten Bande10 kennen gelernt, d. h.
wenigstens ihr Wesen und ihre Bestrebungen. Aber das war völlig
ausreichend; denn sie war tatsächlich nichts als ein Abklatsch der
persischen. Die Türken sind wohl imstande gewesen, ein grosses Reich
zu erobern und an seine Stelle zu treten, aber eine eigene Kultur haben sie
nicht schaffen können. In der Litteratur — d. h. in ihrer
Kunstschriftstellerei, die sie selbst allein als Litteratur rechnen — wurden
sie bald die sklavischen Nachahmer Persiens und sind dies mehrere
Jahrhunderte mit einer Gewissenhaftigkeit geblieben, die ihresgleichen
sucht. Dem nüchternen Sinne des Türken musste persische Phantasterei
von Hause aus tiefinnerlich zuwider sein; er erkor sich aber trotzdem die
persische Weise, die ihm eben imponiert hatte, zum Vorbild, und blieb
Der 6. Band der Reihe mit den Abschnitten über persische Literatur (ebenfalls
von Paul Horn) und über arabische Literatur (Carl Brockelmann) war vor dem 4.
Band auf den Markt gekommen. Er berücksichtigt, dass sei hier noch einmal
betont, die osmanische Literatur an keiner Stelle!
10
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nun dem Übernommenen, bieder und ehrlich wie seine Natur ist, treu. Es
galt ihm als klassisch, an dem er nicht zu rütteln wagte."
Horn hatte sich schon früher gelegentlich mit osmanischen Gegenständen
befasst. Eine Italienreise ermöglichte ihm die Durchsicht der persischen
und türkischen Manuskripte des Vatikans.111899 hielt er sich in Istanbul
auf, um Handschriften des Divans von Sultan Selim zu kollationieren.
Die aus dieser Arbeit hervorgegangene, drucktechnisch äußerst
aufwendige Farblithographie wurde von Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1904
Sultan Abdülhamid II. übersandt.12
Der Straßburger Gelehrte hatte offensichtlich bis zum Erscheinen seiner
Türkischen Moderne außer einem kleinen Artikel in der Münchener
Allgemeinen Zeitung13 nichts zu diesem Thema veröffentlicht. Als Iranist
mit Kenntnissen der französischen Gegenwartsliteratur verfügte er jedoch
über die wichtigsten Voraussetzungen für das Verständnis des
osmanischen Schrifttums im 19. Jahrhundert. Unter den lebenden
Autoren berücksichtigt er unter anderem Halid Ziya Uṣakî-Zâde (18661945), Hüseyin Rahmi (bei Horn: Hüssên Rechmi!) [Gürpınar] (18841940) und Ahmed Râsim (1864-1932). Letzteren fasste er in einem
Kapitel mit einem Mehmed Müncî (bei Horn „Müneddschi“)
zusammengefasst, dessen Name bzw. sein hier behandelter Roman
„Diyana“ in den Literaturlexika fehlt.14 Von Halid Ziyas Werken stellte
Horn u. a. Bir Ölünün Defteri vor, das der bemerkenswerte Habib Edib
[Törehan] (1890-1968) 1918 ins Deutsche übertragen sollte.15
„Aus italienischen Bibliotheken. Die persischen und türkischen Handschriften
des Vatikans“, Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 51
(1897),1-65.
12
Dīvān-i balāghat-i unvān-i Salīm Khān-i avval bā ihtimām-i Pāvl Hūrn;
muntahab az haft-i nusah-i muhtalifah. Bar hasb-i amr-i hazrat-i Vilhilm-i Sāni /
Diwan in persischer Sprache, im Auftrage des Kaisers Wilhelm II herausgegeben
von Paul Horn, Univ. Prof. in Strassburg, Berlin: Reichsdruckerei 1904, 132 S.
Dazu dazu ders. „Der Dichter Sultan Selim I.“, Zeitschrift der Deutschen
Morgenländischen Gesellschaft 60 (1906) 97-111.
13
Nr. 193/1900.
14
Özege Nr. 4272. Eine kurze Erwähnung ohne Lebensdaten von Ramazan
Korkmaz, in: Halman, Talat (ed.) :Türk Edebiyatı Tarihi 3 (2006), 98.
15
Halid Sia, Tagebuch eines Toten, Berlin: Verlag „Der Neue Orient“ 1918.
Schon zuvor war eine Auswahl Türkische Geschichten (Berlin: Kiepenheuer
1917) erschienen. Beide Bücher entstanden unter Mithilfe einer sonst
unbekannten Dame namens Friedel Pappenheim. Zu seiner Biographie jetzt Bali,
Rafi N. „Unutulmuṣ bir Tüccar ve Gazete Patronu Habib Edip Törehan“, in
11
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Horn liefert insgesamt gelungene, nüchterne Inhaltsangaben und
ausgeglichene Wertungen seiner häufig trivialen Beispiele. Zu Halid Ziya
schreibt er beispielsweise, nachdem er außer Bir Ölünün Defteri zwei
weitere Romane besprochen hat:
„Aber Charakterzeichnung ist noch die schwächste Seite der
jungtürkischen Autoren, welche die innere Entwicklung ihrer Figuren
weniger durch deren Handlungen, als durch eigene, den Leser nicht selten
langweilende Reflexionen anzudeuten suchen. Alles in allem ist Chálid
Zijá ein geschickter Erzähler, der stets von Anfang an in medias res geht
und den Leser zu fesseln weiss.“
Seine Urteile über Politik und Gesellschaft fallen eher naiv aus. Ein
Beispiel muss genügen:
„Der regierende Sultan Abdel Hamid II. ist bis zu einem gewissen Grade
ein warmer Förderer der jungen Litteratur. Man wird nicht leicht in einem
anderen Lande derartig mit Ordensternen geradezu beladene Litteraten
finden wie z. B. Achmed Midchat oder Abdel-Haqq Hámyd. Der
Exzellenzen unter den Schriftstellern sind gar nicht wenige.“16.
Das Straßburg der Jahrhundertwende war kein idealer Arbeitsplatz für ein
turkologisches Projekt. Zwar wirkte hier von 1872 bis nach seiner
Emeritierung (1906) mit Theodor Nöldeke (1836-1930) ein weithin
bekannter Orientalist, auch war die Kaiserliche Landes- und
Universitätsbibliothek in kurzer Zeit zur größten Hochschulbibliothek
Deutschlands angewachsen, jedoch schien Nöldekes Interesse an der
Osmanistik erloschen zu sein. Seine wenigen einschlägigen Arbeiten
waren ausnahmslos vor den Straßburger Jahren erschienen.17 Jedenfalls
fehlten alle Primärquellen für Horns Unternehmen, von Sekundärliteratur
ganz zu schweigen. Sein Leipziger Verlag musste sich in die Beschaffung
der Bücher aus Istanbul einschalten. Ansonsten war Horn auf die
Unterstützung von Fachgenossen angewiesen. Im Vorwort nennt er den
hilfsbereiten Georg Jacob (1862-1937), der damals in Erlangen lehrte.18
Toplumsal Tarih, Mayıs 2011, 46-53. Vgl. aber mit abweichenden und wohl
zuverlässigeren Zeitangaben bei Çankaya, Ali: Yeni Mülkiye Tarihi ve
Mülkiyeliler 4, Ankara (1968-1969), 1341-1342.
16
Geschichte der türkischen Moderne, 9.
17
Spiegelberg, Wilhelm: „Die orientalischen Studien an der deutschen
Universität Straßburg“, in: Das Deutsche Vaterland 4 (Wien 1922) 47-49. Hier
wird Horn als „Iranist und Türkologe“ nebenbei erwähnt.
18
Kreiser, Klaus: „Jacob, Georg <1862-1937>“, in: Türkiye Diyanet Vakfı İslâm
Ansiklopedisi 23 (Istanbul 2001) 567-568. Von Jacob kenne ich nur eine kleine
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An derselben Stelle klagt er darüber, dass ihm selbst das neueste
Bücherverzeichnis (Esâmi-i Kütüb) des bekannten Verlegers Arakel nicht
zur Verfügung stand. Eine berechtigte Klage, denn bei Arakel kamen
wichtige Autoren heraus.19 Es sei „nicht leicht hier im Westen, zu
erfahren, was in der Türkei an litterarischen Neuigkeiten erscheint“.
Letztlich wäre er gezwungen gewesen, „vieles herzlich Unbedeutende“
zu lesen. Sympathisch wirkt seine Methode, Titel, die er nicht nur in
Händen gehalten, sondern auch durchgearbeitet hatte, durch einen
Asteriskus zu kennzeichnen.
Die Geschichte der türkischen Moderne enthält etliche Proben aus
veröffentlichten deutschen Übersetzungen. Besonderes Gewicht legte
Horn auf Ahmed Midhat. Nachdem er sämtliche 25 Teile von dessen
leicht gestrickten Letâ’if-i rivayat zusammenfassend berücksichtigt,
räumt er nicht weniger als vier Seiten der humoristischen Erzählung Obur
ein.20 Obur war bereits 1879 in Dresden zusammen mit anderen Stücken
Ahmed Midhats in deutscher Sprache erschienen. Horn nennt als
Verfasser der deutschen Version einen „Dr. E. S.“ und fügt einen
vierseitigen Auszug nach dessen Türkisches Highlife ein. Tatsächlich
waren diese Teile der Letâ’if nicht unter dem vollen Namen des
„Verdeutschers“ erschienen.
Unter „Dr. E. S.“ verbirgt sich der sächsische Arzt Erich Seidel (18521922), der sich vor allem als ausgezeichneter Kenner der arabischislamischen Medizingeschichte einen Namen gemacht hat.21 Seine
Beiträge zur Turkologie sind dagegen weithin vergessen. Zu diesen
gehört neben der genannten Entdeckung Ahmed Midhats für das deutsche
Publikum eine gründlich kommentierte Verdeutschung des Horos
Kardaṣ: Bruder Kikeriki oder die Geschichte eines Kindes in
Sprichworterzählungen nach der armenotypen Druckausgabe von 1886
zum ersten Male aus dem Türkischen übersetzt von Ernst Seidel. Der
gelehrte Dr. med. et phil. hat diese Arbeit ebenso wie Turkish Highlife in
dem kleinen Dresdener Grünberg-Verlag, vielleicht auf eigene Kosten,
drucken lassen. Zwei Jahre zuvor hatte Georg Jacob eine andere, auf
Arbeit, die sich nicht ausschließlich der Volksliteratur widmet: „Die Literatur der
osmanischen Türken“, in: Nachrichten der Gießener Hochschulgesellschaft 1
(1918), 49-55. Typisch für Jacob ist, dass er auch in der modernen türkischen
Novelle eine Beziehung zum Meddah-Genre sieht „wenn auch der große
Wandel, der sich vollzogen hat, nicht bestritten werden soll“ (53).
19
Özege Nr. 891-898. Der umfangreichste Katalog erschien im Jahr 1311/1893.
20
18-21; (cüz. 13 nach Özege Nr. 15627).
21
Nachruf von M. Meyerhof, in: Der Islam 13 (1923), 280-281.
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einem undatierten Druck in osmanischen Lettern beruhende Übersetzung
als 5. Band in seine Türkische Bibliothek aufgenommen.22 Seidel hat
Istanbul auf Ferienreisen, wahrscheinlich wiederholt, besucht und dort
das armenische Buchwesen einschließlich der Druckereien gründlich
kennengelernt. Da er sich gute Kenntnisse des Armenischen angeeignet
hatte, konnte er souverän mit den von Orientalisten bzw.Turkologen wie
Jacob und anderen beklagten „Sprachunarten“ der armenischen
Überlieferer umgehen. Da ich das Buch auf nur auf zwei
wissenschaftlichen Bibliotheken weltweit nachweisen konnte,23 sei hier
wenigstens der Schlusssatz von Seidels Kommentar zitiert (127):
„Fassen wir das Ergebnis der vorstehenden Ausführungen zusammen, so
erscheint mir erwiesen, dass den Armeniern ein erheblicher Anteil bei der
Bewahrung und Überlieferung der wohl in geringerem Maße von
türkischem Boden aufgenommen, in ausgedehnteren aus der alten Heimat
mitgebrachten Stoffe des Xoroz Qaradasch, ein ausschlaggebender Anteil
bei deren literarischer Fixierung, Umgestaltung, Zusammenschweißung,
Schmückung und Veröffentlichung zuzuweisen ist.“
Außer Ernst Seidel möchte ich zumindest einen weiteren kenntnisreichen
Freizeitturkologen kurz würdigen: Ludwig Szamatolski übertrug den
„verbreitetesten der anatolischen Volksromane Köroglu nach einer
Istanbuler Lithographie des Jahres 1302 h. zum ersten Male ins
Deutsche“.24 Szamatolski war Oberlehrer an einer Berliner Realschule
und hatte sich intensiv mit türkischer Literatur befasst. Gleichzeitig war
Xoros Kardasch / Bruder Hahn. Ein orientalisches Märchen- und
Novellenbuch, Hrsg. Georg Jacob Berlin, 1906, XIV, 122 S.
23
Ich konnte das Exemplar des Orient-Instituts Istanbul einsehen und bedanke
mich an dieser Stelle erneut bei Dr. Astrid Menz. Ein weiteres Exemplar hütet
die Lane Medical Library der Stanford University.
24
“Aus türkischer Volks- und Kunstdichtung”, Berlin: Weidmannsche
Buchhandlung 1913, 8-27 (Wissenschaftliche Beilage zum Jahresberichte der
Sechsten Städtischen Realschule zu Berlin. Ostern 1913). Als Digitalisat im
Katalog der Universitätsbibliothek Düsseldorf. Die Vorlage von 1302/1885 bei
Özege Nr.13295. Teilweise bediente sich der Übersetzer der Ausgabe von Ignaz
Kúnos. Als Anhang zu Köroǧlu findet sich eine Übersetzung der oben genannten
Kurzgeschichte Üzümcü von Ahmed Hikmet. Einen weiterer Text des in der
deutsch-türkischen Literatur gut eingeführten Ahmed Hikmet erschien ebenfalls
in Berlin 1913 unter dem Titel Schönheit und Liebe. Auffällig ist die Angabe
eines sonst unbekannten „Osmanischen Verlags“. Das einzige nachweisbare
Exemplar liegt in der Bibliothek des Orientalischen Seminars der Universität
Kiel. Mein Dank geht an Herrn Florian Remien, M.A., für Bereitstellung einer
Kopie,
22
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er ein engagierter Osmanophiler und Anhänger des Ancien Régime, der
seinen Beitrag mit einer heftigen Polemik gegen Martin Hartmann und
dessen in seinen Augen unaufrichtige Türkenfreundschaft abschließt.
Horn konnte den deutschsprachigen Leser noch auf einige (wenige)
weitere Übersetzungen hinweisen. Er erwähnt Muallim Nacis (bei Horn
Müallym!) Sünbüle (bei Horn Sümbüle) die der vielsprachige
Heidelberger Theologe und Orientalist Adalbert Merx (1838-1904) ins
Deutsche übertragen hatte.25 Merx überreichte „dies schöne Stückchen
modernster türkischer Literatur“ seiner Frau Sophie als Geschenk am 31.
Mai 1898 zum fünfundzwanzigjährigen Hochzeitstage“. Horn erlaubte
sich bei der Erwähnung von Sünbüle eine milde Kritik an der Merx’schen
Arbeit: „…die Poesie der Unschuld, die über dem Ganzen schwebt, wirkt
selbst in der deutschen Übersetzung noch, die gar zu ehrlich das uns
ungewohnte türkische Satzgefüge nachzuahmen sucht.“ Auch in dieser
für die Epoche typischen Gelegenheitsschrift eines Orientalisten führt der
Verfasser in der Einleitung seine Beschlagenheit in der neueren
osmanischen Literatur vor, denn „Wir haben in Deutschland immer noch
die Vorstellung von türkischer Literatur, die Joseph v. Hammer vermittelt
hat, der trotz aller Anfechtungen unvergleichlich große Kenner dieses
Gebietes.“ Sein Urteil über die ältere türkische Literatur ist vernichtend.
Zu Bâkî schreibt Merx: „Man legt ein solches Buch angewidert aus der
Hand“ und stellt die Frage „Wer soll an diese leeren Kunststücke die
kostbare Zeit wenden, die es kostet sie zu verstehen.“26 Die übrigen
Seiten der Einleitung sind den türkischen „Litteraten“ der Gegenwart
gewidmet (Şinasi, Kemal, Ahmed Midhat).
An einigen Stellen übertrug Horn gebundene Rede selbst, nicht ohne sich
über seine „hingeworfenen Reimereien als Notbehelf“ zu entschuldigen.
Die Beispiele aus Tevfik Fikret (1867-1915) entnahm er allerdings einem
Artikel, den der Journalist Friedrich Schader (1865-1922) in der
Halbmonatsschrift für Literaturfreunde. Das litterarische Echo kurz
Aus Muallim Nadschis’s Sümbüle. Die Geschichte seiner Kindheit. Aus dem
Türkischen übersetzt von Adalbert Merx, Berlin: Georg Reimer 1898, XV, 60 S.
26
Bâkîs Divan wurde wenige Jahre später von dem tschechischen Orientalisten
Rudolf Dvořák (1861-1919) mit Unterstützung des K.K. Ministeriums für Cultur
und Unterricht in Wien herausgegeben. Es geschah zum erstenmal, “dass ein
türkischer Klassiker, auf Grund eines umfangreichen Handschriftenmaterials,
nach der für europäische Klassikerausgaben üblichen Methode, vollständig
gedruckt wurde (Bâkî’s Dîvân. Ghazalijjât, Leiden: Brill 1908-1911, Bd.1-2).
25
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zuvor veröffentlicht hatte.27 Schrader gehört als promovierter Indologe
zur Gruppe der begabten und produktiven Dilettanti, die außerhalb des
Elfenbeinturms wirkten. Übersetzungen von Prosastücken finden sich
beispielweise in dem Band Türkische Erzählungen, den Max Rudolf
Kaufmann (1886-1963) herausgab.28 Schrader und Kaufmann arbeiteten
als Journalisten für den Osmanischen Llyod in Istanbul, einer wichtigen
Plattform für die Popularisierung türkischer Literatur unter deutschen
Lesern. Schrader hatte beispielsweise in einer „Belletristischen Beilage“
des Osmanischen Llyod vom 25. Juli 1913 eine Erzählung von Aka
Gündüz (1886-1958) unter dem Titel „Tinte für den Friedensschluß“)
übersetzt. An einer anderen Stelle machte er auf ein kleines patriotisches
Prosastück Üzümcü von Ahmet Hikmet aus Türk Yurdu aufmerksam, das
daraufhin, wie schon erwähnt, von Ludwig Szamatolski übersetzt wurde.
Schrader hatte von dieser Übersetzung wohl keine Kenntnis. Jedenfalls
fügte er seine eigene Version in den eben genannten Auswahlband von
1916 ein.
Wenige Jahre nach dem Erscheinen von Horns Arbeit entschloss sich der
Amelang-Verlag Die türkische Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts in
einem „Ergänzungsheft“ bearbeiten zu lassen, das Ende 1916 erschien.
Der Bearbeiter Otto [Wilhelm] Hachtmann (1877-nach 1935?) schloss
unmittelbar an seinen Vorgänger an. Nur im Falle Mehmed Emins
entschied er sich für eine erneute, ausführlichere Behandlung. Hachtmann
war 1912 mit einem Thema zur französischen Stilistik promoviert worden
und hatte sich als Studienrat an einem Dessauer Gymnasium intensiv mit
der neuosmanische Literatur befaßt. Der sonst ungern Lob austeilende
Martin Hartmann verdankte ihm reiche Anregungen und Belehrungen. Er
rühmt seinen Mitstreiter für die türkische Moderne als einen Mann „der
seine knappen Mußestunden als Gymnasiallehrer ganz dem Einarbeiten
in das moderne Osmanisch und seinen Literaturblüten gewidmet hat. In
kurzer Zeit orientierte er sich. Sein feines Gefühl für die psychologischen
Vorgänge, die gewisse Übergänge in den Denk-Sprach-Formen bedingen,
ließ ihn schnell die Menge der sprachlichen Erscheinungen sichtend
ordnen und die wesentlichen Gruppen scheiden. Für die Bewertung der
literarischen Erzeugnisse kommt ihm eine gediegene Kenntnis der in
„Neutürkisches Schrifttum“, in: Das Litterarisches Echo 3 (1900), Sp. 16861690. Zu Schrader und Kaufmann will ich vorläufig auf die ausführlichen und
kenntnisreichen Artikel in wikipedia.de verweisen.
28
München: Delphin-Verlag 1916. Mit Texten von Hüseyin Cahid, Ahmed
Hikmet, Aka Gündüz, Halid Ziya, Ali Bey und Mehmed Emin.
27
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ihrer Wirkung auf die Türkische Moderne bedeutenden französischen
Literatur zu statten.“29
Zwei Jahre nach dem Erscheinen seines Buchs gab eine Zeitschrift
Hachtmann die Gelegenheit, sein Thema im Sinn eines „Studienführers“
noch einmal aufzugreifen30. Diese Arbeit erschöpft sich nicht in
gründlichen
bio-bibliographischen
Daten,
sondern
ist
ein
leidenschaftliches Plädoyer dafür, das Studium und vor allem das
Übersetzen der türkischen Gegenwartsliteratur nicht den Orientalisten zu
überlassen (unter denen er Horn und M. Hartmann durchaus schätzte). In
einer weiteren kleinen Schrift popularisierte Otto Hachtmann sein in so
kurzer Zeit erworbenes Wissen: Türkisch, wie man es erlernt und lehrt.
Die Wege zur Erlernung der türkischen Sprache, nebst einer Einführung
in die türkische Literatur.31
Inzwischen war mit Ya‘kub Kadri Karaosmanoǧlu (1889-1974) ein neuer
Stern am türkischen Dichterhimmel aufgetaucht, über den Hachtmann
urteilsicher schrieb: „Dieser junge Schriftsteller scheint mir höchster
Beachtung würdig“32Er ging noch weiter: „Ich halte Qadri für den
größten Künstler unter den modernen türkischen Erzählern: er gehört zu
den wenigen, die genial zu nennen sind.“ In der Tat gehört Ya’kub Kadri
zu den in den folgenden Jahrzehnten am meisten ins Deutsche
übersetzten Autoren.33
Hachtmann hat nach dem Ausbruch des Weltkriegs und der damit
einhergehenden Konjunktur des Türkei-Interesses wesentlich günstigere
Hartmann, Martin: Dichter der neuen Türkei, Berlin: Der Neue Orient 1919,
15 (Urkunden und Untersuchungen zur Geistesentwicklung des heutigen Orients.
Heft 3).
30
Hachtmann, Otto: „Die neue und neueste türkische Literatur. Eine Einleitung
zu ihrem Studien“, Die Welt des Islams (1917/8), 57-77.
31
Stuttgart: “Die Lese“ Verlag 1916, 37 S.
32
Hachtmann a.a.O. 22.
33
Yakub Kadri wurde ins Deutsche zuerst von Carl Frank übertragen. Es folgte
Irmgard Engelke (1897-1987) mit zwei kurzen Stücken im Feuilleton der
Türkischen Post vom 20. und 23. 11.1926. Engelke war eine 1925 in Kiel mit
einer osmanistischen Dissertation promovierte Turkologin, die 1926 in Istanbul
lebte, bevor sie in die Dienste der Berliner Staatsbibliothek trat (freundliche
Auskunft des Staatarchivs Hannover, wo ihr Nachlass (Nr. 15/1988) verwahrt
wird. Vollständige Romane haben später Max Schultze-Berlin (1935) und
Annemarie Schimmel (1947) übersetzt. Der Turkologe und Osmanist HansJoachim Kißling hat 1948 eine Auswahl von Erzählungen in deutscher Sprache
herausgegeben.
29
223
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Arbeitsbedingungen als Horn im fernen Straßburg. Dessau liegt in der
Nähe orientalistischer Hochburgen wie Halle, Leipzig und Berlin. Die
Bibliothek der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft in Halle
sammelte systematisch türkische Literatur, in Leipzig stand er in
Verbindung mit dem kenntnisreichen Lektor Ahmed Muhieddin. In
Berlin lehrte Martin Hartmann am Seminar für Orientalische Sprachen.
Als Institution darf der Leipziger Verlag von Otto Harrassowitz (18451920) im geographischen Dreieck Berlin-Halle-Leipzig nicht unerwähnt
bleiben. Die Bedeutung der türkischen Sprache und Literatur für das
deutsche Geistesleben dieser Jahre zeigt sich deutlich in seinem „BücherKatalog“ Nr. 377. Der wohl wichtigste europäische Importeur
orientalischer Bücher bot 1917 nicht weniger als 1372 Nummern auf 70
Seiten zu folgenden Themen an: Türkische Grammatik, Lexikographie
und Literaturgeschichte. Die Türkische Moderne seit ihrer Begründung
durch Schinasi. Türkische Volksliteratur.
Der Verlag behauptete, dass in seinem Katalog, die osmanische Literatur,
„in einem Umfang verzeichnet ist, wie die bisher noch nicht geschehen
ist. Dieser Anspruch wurde durchaus eingelöst.. Beispielweise enthält der
Katalog 16 Titel von Abdülhak Hamid, 24 von Muallim Naci, 25 von
Namık Kemal. Ahmed Midhat ist mit nicht weniger als 105 Titeln
vertreten, die wie alle übrigen sorgfältig erfasst, ins Deutsche übersetzt
und teilweise kommentiert sind.
Die enge Verbindung zwischen Harrassowitz und der sich kräftig
entwickelnden Turkologie wird durch ein von Martin Hartmann
verfasstes, enthusiastisches Vorwort über „Die Literatur der Neuen
Türkei zu diesem Katalog sichtbar.34
„Die neueste Entwicklung der Osmanischen Literatur ist ein Stück der
gewaltigen Gesamtentwicklung der Osmanischen Nation und des
Osmanischen Reiches. Hundertjährige Fesseln sind gesprengt, und nur
wenn das Türkenvolk sich etwa von neuem in eine innere Knechtschaft
locken lassen, sich selbst in einem schönen Anlauf, den es genommen,
untreu werden sollte, wäre mit Wiederkehr politischer und
wirtschaftlicher Ohnmacht zu rechnen. Wird auf der Bahn fortgeschritten,
so werden auch in der Literatur in steigendem Maße die guten Kräfte der
Nation zu jener mannigfaltigen und eindringenden Betätigung gelangen,
die bei den Kulturvölkern anzutreffen ist.“
34
1-8.
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Hartmann teilt mit so gut wie allen Zeitgenossen die Auffassung, dass die
Literatur der Osmanischen Türken bis an die Schwelle der Neuzeit von
einer „Dürftigkeit“ war, die sich nur aus den ungünstigen politischen und
gesellschaftlichen Zuständen begreifen lasse.35 Ohne hier auf Hartmanns
z. T. wichtige turkologische Arbeiten eingehen zu können,36 mache ich
noch eine Anmerkung zu dem eben genannten Ahmed Muhieddin (18921923). Seine Leipziger Dissertation Die Kulturbewegung im modernen
Türkentum (1921) war sicher die meistzitierte Arbeit eines osmanischen
Wissenschaftlers in deutscher Sprache. An der Universität Leipzig
unterrichtete er im Sommersemester 1918 je eine Stunde „Die moderne
türkische Dichtung“ und „Gedichte moderner türkischer Dichter“.37 Über
die fruchtbare enge Zusammenarbeit Muhieddins mit August Fischer
(1865-1949) ab 1916 schrieb die Leipziger Turkologin Heidi Stein:
„Fischer hatte inzwischen die Überzeugung gewonnen, dass das
Türkische an den deutschen Universitäten über Gebühr vernachlässigt
worden war, und er arbeitete sich mit Muhieddins Hilfe gründlich in das
Neuosmanische ein.“ Ein interessantes Produkt dieser Zusammenarbeit
war die Anthologie aus der neuzeitlichen türkischen Literatur mit einer
literaturgeschichtlichen Einführung und einem Glossar aller
ungewöhnlichen Wörter und Wendungen (Leipzig 1919).38
Obwohl Hachtmann und Martin Hartmann in engem Austausch standen
(Vorwort Hachtmann: „für vielfache Förderung meiner Arbeit zu
herzlichem Dank verpflichtet“), arbeiteten sie unabhängig voneinander.
Hachtmanns Türkische Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts behandelt
sechs von den 25 Autoren, denen sich Martin Hartmann widmete. So gut
wie gleichzeitig mit Hachtmanns „Ergänzungsheft“ veröffentlichten die
Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen im Jahr 1916 den
ersten Teil von Martin Hartmanns „Aus der neueren osmanischen
Dichtung“ (124-179), der zweite folgte 1917 (86-149). Wenige Tage vor
seinem Tod (5.12.1918) signierte Hartmann das Vorwort der Dichter der
neuen Türkei (Berlin 1919).
Selbst der Bâkî-Herausgeber Dvořak lobte in den ersten Sätzen seiner
Eınleitung dne “neuen Kurs der türkischen Literatur, die sogenannte türkische
Moderne” und ihre “Befreiung vom gezierten persifizierten Kunststil”!
36
Vgl. jetzt außer den bei Herzog, s. Anm.1 genannten Arbeiten über Martin
Hartmann: Cengiz, Samran: „Martin Hartmann ve sarkiyat çalıṣmaları,“ in:
Turkish Studies 6/3 (2011), 1401-1413.
37
Anzeige in Hilal (Hamburg) 3.3. (1918).
38
Stein, Heidi: „Ahmed Muhieddin <1892-1923>. Leipzig’de Bir Türk
Bilimadamı“, in: Tarih ve Toplum 114 (Haziran 1993) 356-358.
35
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Mit Carl Frank (1881-1945) als letztem der hier behandelten Vermittler
des Türkischen, kehren wir nach Straßburg zurück. Frank hatte in Leipzig
orientalischer Philologie studiert, sich in Straßburg habilitiert und lehrte
dort ab 1910 „Orientalistik“, vorab Assyriologie. Ich vermute, dass er
wegen Horns frühzeitigem Tod dessen Türkisch-Deputat übernahm.39 Er
teilte das Schicksal vieler Philologen, die während des Krieges als
Dolmetscher eingesetzt wurden. Nach der Rückgewinnung des Elsass
durch Frankreich unterrichte er in Berlin, 1937 erhielt er eine ordentliche
Professur für Assyriologie an der Universität Marburg. Er ist, meines
Wissens, außer dem berühmteren Fritz Hommel (1854-1936) der einzige
„Nebenfach-Turkologe“ unter den Altorientalisten der Epoche. Kurz vor
Kriegsende schrieb er in einem dem Andenken des Feldmarschalls von
der Goltz gewidmeten Heft des Deutschen Vorderasien- und
Balkanarchivs einen kleinen Artikel „Über moderne türkische
Lyrik“.401920 kam in München ein Bändchen Türkische Erzähler heraus.
Frank war von der schieren Menge der von Türken in zwei Generationen
erzeugten literarischen Werke hingerissen. „Hätten die Türken noch dazu
den technischen Fortschritt gemacht und Kanonen gegossen wie in
Europa, ihre politische Stellung wäre ganz anders gewesen. Der Geist ist
da.“ Es ist etwas irritierend, wenn er längere Proben der modernen
türkischen Dichtung in der „Übertragung“ des deutschen Lyrikers Hans
Bethge (1876-1946) präsentiert, obwohl er natürlich wusste, dass Bethges
Nachdichtungen auf französischen Vorlagen beruhten. Die wichtigste
Quelle von Bethges Türkischem Liederbuch (zuerst 1913) war die
Anthologie de l’amour Turc, das Edmond Fazy mit dem eingangs
erwähnten Abülhalim Memduh („Abdoulhalim Memdouh“) 1905
veranstaltet hatten
Franks Bändchen Türkische Erzähler gibt je eine kleine Probe von den
bedeutendsten türkischen Schriftstellern der neueren und neuesten Zeit“
(Halide Edib, Ahmed Hikmet, Aka Gündüz, Yakup Kadri und Ömer
Seyfeddin). Er hatte die Übersetzungen wohl im Frühjahr 1917
abgeschlossen, konnte sie aber erste „der äußeren Umstände wegen und
andrer, seelischer Not“ erst 1920 in den Druck geben.41 Für das Problem
der Entstehungsbedingungen dieser Übersetzungsliteratur ist auch hier
das muttersprachliche Netzwerk des Forschers interessant. Carl Frank
Spiegelberg (wie Anm. 17, 47) nennt Frank ausdrücklich „auch Vertreter des
Türkischen“.
40
2 (1918) 18-29.
41
Das Titelbild des Bandes beruht auf einem bizarren Unverständnis des Inhalts.
Es zeigt eine Haremsdame neben einem Mohren auf Polster gelagert.
39
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zählt vier Herren auf, die seine „gelegentlichen Fragen“ beantworteten.
Er nennt J. Kasasian42 und Aali Nijad in München sowie Mustapha
Nermi43 und Zeki Memduh in Berlin.
Bis zum Erscheinen von Die türkische Prosaliteratur der Gegenwart von
Otto Spies (Leipzig 1943) blieben die Monographien von Horn,
Hachtmann und M. Hartmann die wichtigsten Übersichtswerke der
neueren türkischen Literatur. Spies behandelte „die bei den beiden
Verfassern fehlenden oder zu kurz gekommenen Autoren der älteren
Generation“ und die jüngeren Schriftsteller der kemalistischen Periode.
Auch er klagte, dass ihn die „deutschen Bibliotheken für die schöne
Literatur meist im Stiche ließen.“ Otto Spies war eine Ausnahme unter
den besprochenen Nebenfach-Turkologen und Dilettanti, weil er, nach
allem was man weiß, sich als junger Mann das Osmanische vor dem
Arabischen angeeignet hatte und ihm bis ans Ende seiner Laufbahn treu
blieb.44
Die Turkologie in den deutschsprachigen Ländern war in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts stärker als andere orientalistische Disziplinen
den weltgeschichtlichen Wendungen unterworfen. Einzelne Turkologen
waren eher Gewinner, andere unzweifelhaft Opfer der Verhältnisse. Die
türkischen Studien hatten anders als die klassischen orientalistischen
Disziplinen so gut wie keine Berührung mit den aus den
Bibelwissenschaften hervorgegangenen Fächern Semitistik und Arabistik.
Ihre Positionierung innerhalb der Islamwissenschaft als „Orientalistik im
kleineren Format“ (Maurus Reinkowski) blieb bis heute locker. Ihr haftet
zwischen den stark religionswissenschaftlich geprägten Fächern etwas
Weltkindliches an. Ihre Emanzipation war ein erst gegen Ende des
Jahrhunderts abgeschlossener Prozess.
42
Sicher Jervant Kasasian, geb. um 1885 in Istanbul, registriert als
Zeichenschüler im Matrikelbuch der Münchener Akademie der Künste
(http://matrikel.adbk.de/05ordner/mb_1884-1920/jahr_1906/matrikel-03209).
43
Mustafa Nermi (1890-1971) studierte zwischen 1916 und 1920 an der
Philosophischen Fakultät der Berliner Universität (freundliche Mitteilung des
Leiters des Archivs der Humboldt-Universität Dr. Winfried Schultze vom
22.10.2013) und lebte noch einige Jahre als Korrespondent von Hakimiyet-i
Milliye in Deutschland (Dresden). Er übersetzte aus der deutschen Literatur,
unter anderem lassen sich auszugsweise Wiedergaben von Schillers „Jungfrau
von Orleans“ (Orlean Kızı, Özege Nr. 15793) und der “Hermannsschlacht”
(Özege Nr. 6963) von Kleist nachweisen.
44
Freundliche Mitteilung seines Schülers Prof. Tilman Nagel (Göttingen).
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Abschließend will ich noch ein – wissenschaftsgeschichtlich absolut
unbedeutendes - Buch erwähnen, weil es zeigt, dass das Bedürfnis
jedenfalls aus der Sicht eines großen und angesehenen FremdsprachenVerlags so groß war, dass man eine sprachlich und sachlich völlig
voraussetzungslose Dame aus Karlsruhe mit einer Einführung in die
türkische Literatur betraute.45 Die einzige Qualifikation der Autorin
Bertha Schmidt war, dass sie in den Jahren verschiedene Lehrwerke für
Englisch und Französisch verfasst hatte. Im Vorwort erklärt sie ihre
Beweggründe, für ihren Ausflug in die türkische Kultur.
„Wer Türkisch lernt, will Türkisches lesen. Diesem aufrichtigen Wunsch
kommt diese bescheidene Zusammenstellung entgegen, indem sie von
den beachtenswertesten türkischen Literaturwerken Kenntnis gibt.“ Sie
nennt im kurzen Vorwort drei Quellen, die ihr als „Grundlage“ dienten:
Hammer-Purgstall, Baumgartner46 und Horn. Bertha Schmidts opusculum
würde man heute ein Plagiat nennen, denn ihre nicht weiter
gekennzeichneten Übernahmen aus den Vorlagen sind zum Teil wörtlich.
Hier wurde, selbstverständlich nicht erschöpfend, gezeigt, wie groß die
Nachfrage nach Turcica in den Jahren vor und während des Ersten
Weltkriegs war.47 Das weite Feld der türkischen Volksliteratur, das in
unserem Zeitraum intensiver als die Moderne durch hauptamtliche
Schmidt, Bertha, Übersicht der Türkischen Literatur, Heidelberg: Groos 1916,
VII, 59 S.
46
Der katholische Literaturhistoriker Alexander Baumgartner (1841-1910) war
der Verfasser einer mehrbändigen Geschichte der Weltliteratur. Im ersten Band
Die Literaturen Westasiens und der Nilländer (Freiburg 1897) behandelt er ganz
am Ende die türkische Literaturen, weitgehend Hammer folgend: „Wirft man
einen Blick in Hammers vierbändige Anthologie gewahrt man bald, wie
dieselben Ideen, Formen und Spielereien sich eintönig wiederholen. Moschee,
Harem und Schlachtfeld den ganzen Ideenkreis erschöpfen. Etwas Großes hat die
türkische Poesie bis jetzt nicht erschaffen“. Dennoch kam er nach einem
längeren Zitat eines Gedichts von İzzet Molla zu dem überraschenden Schluß:
„Es ist kein Zweifel. dass die neueren Türken Sinn für Poesie und wirkliche
Dichter haben.“
47
Kreiser, Klaus (Hrsg.), Germano-Turcica. Zur Geschichte des TürkischLernens in den deutschsprachigen Ländern. Ausstellung des Lehrstuhls für
Türkische Sprache, Geschichte und Kultur der Universität Bamberg in
Zusammenarbeit mit der Universitätsbibliothek Bamberg. Bamberg 1987, 161 S.
(Schriften der Universitätsbibliothek Bamberg. 4) - Für die Zeit ab ca. 1960
nützlich, weniger befriedigend für die vorausgehende Epoche ist Türkische
Literatur in deutscher Sprache <1800-2008>, hrsg. von Tayfur Demir.
Duisburg: Dialog Edition 2008.
45
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Orientalisten nicht allein von Georg Jacob sondern auch (gelegentlich)
von Enno Littmann (1875-1958) und Hellmut Ritter (1892-1971) gepflegt
wurde, habe ich hier nur am Rande berührt.48 Auch war nicht die Rede
von
der
unter
Willy
Bang
(1869-1934)
aufblühenden
sprachwissenschaftlichen Turkologie.49
Man kann resümieren, dass beim fast vollständigen Fehlen
„hauptamtlicher“ Turkologen an den Hochschulen der Bedarf an
Übersichten und Übersetzungen von Orientalisten aus anderen Fächern
(wie Horn, Frank, Merx, M. Hartmann, Schrader), von Dilettanti
(Hachtmann, Seidel, Szamatolski, Kaufmann) und von Muttersprachlern
(Ahmed Muhideddin, Habib Edib) des Türkischen zu decken versucht
wurde.
Sollte eines Tages auch die Geschichte der Turkologie in Deutschland ab
den 1960er Jahren geschrieben werden, wird unserem Jubilar Semih
Tezcan als Forscher und Lehrer ein wichtiges Kapitel eingeräumt werden
– freilich nicht unter der Rubrik „Steckenpferd“.
Befremdet liest man bei einem so herausragenden Kenner der türkischen
Moderne wie Friedrich Schrader (s. Anm.27), dass er so wichtige Genres der
türkischen Volksliteratur wie die Schwänke des Nasreddin und die KaragözKomödien als „blöden Witz“ bezeichnet.
49
An der „Turkologischen Abteilung“ des Ungarischen Instituts.
48
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Benzer belgeler

hypermasculinity

hypermasculinity hier völlig unberücksichtigt sieht. Er hat in Hammer und danach auch in Gibb, von dessen weit wertvollerer ‘History of Ottoman Poetry’ bisher der erste Band vorliegt, begeisterte Verehrter derselbe...

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