Im Wohnheim für Asylbewerber - Diakonie Ruhr

Transkript

Im Wohnheim für Asylbewerber - Diakonie Ruhr
D4
ADVENT
RHEINISCHE POST
MONTAG 13. DEZEMBER 2010
R-FEUSO3
S E R I E ( 2 ) WO H I N W Ü R D E J E S U S H E U T E G E H E N ?
Im Wohnheim für Asylbewerber
„Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen“ – Jesus wählt dieses Beispiel, um den Menschen Barmherzigkeit aufzutragen. Jedes Jahr suchen Fremde in
Deutschland Obdach. Sie stellen Anträge auf Asyl und leben in Wohnheimen, solange das Verfahren läuft. Zum Beispiel in Brilon im Sauerland.
Angekommen in Deutschland: Eine Familie aus Aserbaidschan ist in einem Asylbewerberheim im sauerländischen Brilon gelandet. Heimisch werden kann man dort nicht.
VON DOROTHEE KRINGS (TEXT)
UND ANDREAS KREBS (FOTOS)
Ein Ort wie aus dem BiedermeierKalender: Marktplatz mit Fachwerkhäusern,
mittelalterlichem
Rathaus, romantischem Brunnen.
Alles ist mit Schnee bedeckt, als
habe jemand Puderzucker in ein
Bilderbuch gepustet. Malerisch
liegt das Städtchen Brilon in den
Bergen des Hochsauerlands. Für
Touristen nennt man sich „Stadt
des Waldes“ und hat Langlauf-Loipen parat. Es kann sich dort wohlfühlen, wer willkommen ist.
Safura träumt davon, wieder
in einer Apotheke zu
arbeiten oder als Pflegerin
Safura K. (Name von der Redaktion geändert) hatte von Brilon noch
nie gehört. Aber die junge Frau aus
Aserbaidschan fand, dass der Name
gut klinge, sehr deutsch. Doch dann
fuhr der Bus aus dem Auffanglager
für Asylbewerber im Münsterland
immer weiter in die Berge, immer
tiefer in den Wald. „Da waren keine
Städte, keine Menschen, kein Licht,
da habe ich angefangen zu weinen“, sagt Safura (29), „ich habe geahnt, dass nichts Gutes kommt.“
Der Bus hielt am Ortsausgang
von Brilon an einem langgestreckten Haus direkt an der tristen Ausfallstraße. Darin bekamen Safura
und ihre Familie ein Zimmer zugewiesen. Einen Raum für Vater, Mutter, das zehnjährige Kind. Ein
Schlafsofa stand darin, ein Kühlschrank und drei Stahlspinde. Angekommen in Deutschland.
Safura hat Kaffee gekocht. Verlegen bittet sie in das Zimmer der Familie. Ihr Mann und sie haben versucht, den Raum wohnlich zu verkleiden. Sie haben die Stahlschränke rausgeschleppt, eine Tagesdecke
über das Sofa gelegt, auf dem sie
nun zu Dritt schlafen, eine Kommode und einen Teppich besorgt. Für
die Tochter haben sie ein Katzenposter an die Wand gehängt und
Tannenzweige in eine Vase gesteckt
mit Plastikperlketten als Schmuck.
Weil heute Gäste in ihr Zimmer
kommen, haben sie Nüsse, Knabbersachen, eine Schachtel Pralinen
auf den Couchtisch gestellt. Gastfreundschaft ist Ehrensache in ihrer
Heimat. In der ehemaligen Sowjetrepublik Aserbaidschan tischt man
auf, was man hat.
Safura und ihre Familie leben seit
zehn Monaten in Brilon. Ihr Asylverfahren läuft. Sie sind nach
Deutschland gekommen, weil man
sie daheim bedroht hat. Die genauen Umstände wollen sie nicht erzählen, solange ihr Verfahren läuft,
aber vor allem ihre Tochter sei in
großer Gefahr gewesen. „Wir konnten nicht lange überlegen“, sagt Safura, „wir haben unser Kind genommen und sind weg.“
Die Tochter sitzt auf der Bettsofakante, hat die Ellbogen auf den
niedrigen Kacheltisch gestützt, die
dunklen Augen schauen zur Mutter.
Manchmal souffliert sie ein deutsches Wort. Aysel sieht aus, wie Walt
Disney eine orientalische Prinzessin gezeichnet hätte. Seit zehn Monaten besucht sie die Grundschule
im Nachbarort. „Klasse Vier b“, sagt
sie stolz, und dass die Schule ihr
sehr gut gefalle. „Ich habe Freundinnen, ich kann spielen, ich lerne
Deutsch.“ Obwohl die Sprache für
sie neu ist, kommt sie gut mit im
Unterricht. Die Freundinnen allerdings bringt sie lieber nicht mit in
ihr Zuhause. „Eine war mal hier“,
Deutschbücher, aus denen Aysel und
ihre Mutter lernen.
sagt sie, „aber wir treffen uns lieber
wieder bei ihr.“
Im Zimmer nebenan wimmert
ein Baby. Die kurdische Familie M.
lebt dort, Vater, Mutter, drei Söhne,
eine Tochter, ein Enkelkind. Das
Baby ist sieben Monate alt und
herzkrank. Ein Schlauch windet
sich aus dem Strampler der Kleinen. Er führt zu einem Apparat, der
den Herzschlag kontrolliert. Alle
paar Minuten piepst das Gerät. Das
Kind hängt im Arm der Mutter wie
eine Puppe, blass, merkwürdig still.
„Ich mache mir Sorgen um das
Baby“, sagt Dilan M., Oberhaupt
der Großfamilie. „Auch meine Frau
ist krank, sie hat hier Depressionen
bekommen, immer in diesem Zimmer, das ist für keine Familie gut.“
Dilan M. kramt eine Plastiktüte hervor, darin hat er Papiere gesammelt. Briefe von Ärzten und aus
dem Krankenhaus, auf denen die
Erkrankungen seiner Frau bescheinigt sind. Er zieht Zettel um Zettel
aus der Tüte, breitet sie auf dem Boden aus wie einen traurigen Schatz.
Seine Frau sitzt dabei, das Kopftuch
tief in die Stirn gezogen. Sie sagt
nichts, ihre Mimik ist regungslos.
Dann holt Dilan M. noch ein Handy
aus der Tasche, zeigt ein Foto, auf
Blick in den Flur des Asylbewerberheims in Brilon.
dem man den Teppich aus dem
Zimmer erkennt und darauf eine
Kakerlake. „Die kommen abends,
wenn wir unsere Matratzen ausrollen“, sagt er.
20 Menschen leben im Asylbewerberheim von Brilon. Sie kommen aus Syrien, Somalia, Afghanistan, Usbekistan, dem Kosovo.
Gleich am Eingang ist ein Zimmer,
das sich vier junge Männer aus vier
unterschiedlichen Kulturkreisen
teilen. Allerdings gibt es nur drei
Etagenbetten, der Vierte muss auf
einem durchgesessenen Sofa schlafen. Dabei stehen gerade zwei Zimmer leer. Doch die Türen sind abgeschlossen. Niemand soll sich dorthin ausbreiten. Einmal pro Woche
schaut ein Hausmeister vorbei.
Morgens um sechs tritt er vor die
Zimmertüren, erzählen die Bewohner, kontrolliert, ob nur die Berechtigten in den Betten liegen. „Man
hat hier keine Privatsphäre“, sagt
Safura, „selbst im Ehebett nicht.“
In ihrer Heimat war Safura Apothekerin. „Ich habe diese Arbeit geliebt und würde alles darum geben,
wenn ich wieder in diesem Beruf arbeiten könnte.“ Manchmal geht sie
in Brilon in eine Apotheke und
schaut sich an den Regalen die
Schildchen an. Sie versucht so, die
Namen der Medikamente zu lernen. Und sie genießt den Geruch.
Und das Gefühl, wieder in einer
Apotheke zu stehen. „Als Krankenpflegerin könnte ich auch arbeiten“, sagt sie, „Spritzen setzen kann
ich auch.“ Und dann beugt sich Safura nach vorn, faltet ihre Hände,
spricht plötzlich inständig: „Mir gefällt Deutschland so gut. Hier sind
alle so höflich. Und es ist sauber.
Und wir haben gesehen, wie die Polizei im Ort einen teuren Wagen angehalten hat. Das würde in unserer
Heimat nie passieren, aber in
Deutschland, da sind alle Menschen gleich.“
Aysel kommt ins Zimmer. Sie hat
nebenan ein bisschen mit dem
Baby der kurdischen Nachbarn gespielt. Jetzt will sie etwas zeigen. Ihr
Malbuch. Ein großformatiges Heft
mit rosa Einband. Topmodel steht
darauf. Auf jeder Seite sind die Umrisse einer Frau abgedruckt mit
Wespentaille, wallendem Haar,
Abendkleid. Aysel hat die Figuren
ausgemalt. Penibel. Seite um Seite.
Manchen Models hat sie Kleider
aus Geschenkpapier aufgeklebt.
„Schön, ne“, sagt sie und streichelt
sacht über das Papier.
Fragt man Aysel nach ihrer Lieblingsfarbe, sagt sie Rosa. Fragt man
sie, was sie einmal werden möchte,
sagt sie Polizistin.
Unten im Haus wird jetzt gekocht. Am Herd steht ein Mann aus
Burma. Linsendunst zieht durch
den Flur. Es gibt eine Küche für alle,
eine Waschmaschine für alle, ein
Bad. Das ist für Safura das
Schlimmste. „Ich habe gleich ganz
viel Desinfektionsmittel gekauft“,
sagt sie, „aber ich ekel mich trotzdem.“ Außerdem ist das Bad oft besetzt, wenn sich ihre Tochter morgens für die Schule fertig machen
muss. „Manchmal muss sie dann so
los und sich in der Schule waschen“, sagt Safura und schlägt die
Hände vors Gesicht. Sie schämt
sich für diese Geschichte.
In den ersten Wochen nach der
Ankunft habe sie nur geweint, sagt
Safura. „Ich sehne mich so danach,
privat zu sein. Eine winzige Wohnung würde genügen“, sagt sie. Das
einzige, was ihr hilft, wenn die Tränen kommen, ist der Gedanke an
ihre Tochter. „Sie soll es besser haben, sie soll studieren, Elite werden“, sagt Safura und schaut zu Aysel, doch die lächelt nur, sagt nichts.
Lieber will sie noch was zeigen.
Aysel läuft zu ihrem Tornister, der
auf der Kommode steht wie ein
Prunkstück. Sie hüpft vor Aufregung, bis sie endlich ihren neuen
Schatz gefunden hat: zwei weiße
Turnschläppchen. „Ich habe Tanzunterricht“, sagt sie und macht ein
paar Bewegungen vor. Sie darf in einer Gruppe der Caritas mitmachen.
Jazztanz für Kinder. Aysel liebt das.
„Und nächste Woche treten wir auf
– richtig vor Leuten.“
Ihre Schulaufgaben muss Aysel
am niedrigen Couchtisch machen.
Die Mutter achtet darauf, dass dann
der Fernseher ausgeschaltet wird.
„Abends gibt es manchmal Streit“,
erzählt sie, „mein Mann will dann
gucken, aber Aysel muss schlafen,
sie hat doch Schule.“
Safura und ihr Mann haben einen
Antrag auf Arbeitserlaubnis gestellt. Sie haben gehört, dass im nahen Touristenzentrum Winterberg
Küchenhilfen dringend gesucht
werden, sobald der erste Schnee
fällt. „Vielleicht können wir dann so
viel verdienen, dass wir hier ausziehen dürfen“, sagt Safura. Arbeiten,
eine Wohnung finden, Aysel eine
Zukunft bieten. Das ist ihr Traum.
Der Traum vom kleinen Glück in
Deutschland.
Das sagt der Präses
➔ INTERVIEW Nikolaus Schneider
Was würde Jesus zu den Menschen
sagen, die wir in dieser Serie porträtieren? Wir haben mit Nikolaus
Schneider, dem Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland und
EKD-Ratsvorsitzenden,
darüber
gesprochen.
Welches Wort würde Jesus Menschen
in einem Wohnheim für Asylsuchende verkünden?
Schneider Als Jesus geboren wurde,
trachtete König Herodes ihm nach
dem Leben. Deshalb mussten Maria und Josef mit dem Kind nach
Ägypten fliehen. Sie waren also
selbst Asylsuchende. Im Wissen darum würde Jesus vielleicht die
Menschen erst einmal in die Arme
schließen, sie segnen und sagen:
„Kommt her zu mir, alle, die ihr
mühselig und beladen seid; ich will
euch erquicken.“
Welche Heimat könnte Jesus den
Asylsuchenden verheißen?
Schneider Verheißen würde er die
Heimat bei Gott, weil es in dessen
Haus viele Wohnungen gibt. Aber
ich bin auch überzeugt: Menschen,
die meinen, für Asylsuchende sei
hier kein Platz, würde er ermahnen:
„Beachtet Gottes Gebot, lasst den
Fremdling unter euch wohnen und
sorgt für ihn wie für Witwen und
Waisen.“
Lesen Sie morgen In der Herberge der
Sterbenden – ein Tag in einem Hospiz

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